Berlin. Immer wieder beteuert Schulz, es sei nichts entschieden. Das stimmt. Doch profitieren könnte am Ende nicht die SPD – sondern die AfD.

Ministerien könnten jetzt glatt wegen Inventur schließen. Eine Woche vor der Bundestagswahl wäre es sogar plausibel. Aber auf den letzten Metern versuchen die SPD-Minister unverdrossen, Akzente zu setzen: Katarina Barley mit dem Familienreport, ihre Kabinettskollegen Barbara Hendricks und Heiko Maas mit einem Positionspapier für bezahlbare Wohnungen.

Weder die Kinderarmut noch die steigenden Mieten und Immobilienpreise sind künstliche Aufreger – es sind echte Probleme. Sie passen auch zum Sound der SPD und ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz, der die Gerechtigkeit in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs gerückt hat. Bloß ist es schwierig, „Haltet den Dieb“ zu rufen und Missstände zu beklagen, wenn man Regierungsverantwortung trägt.

Großteil der Wähler noch unentschlossen

Landauf, landab beteuert Schulz, es sei nichts entschieden. Das ist korrekt beziehungsweise eine Binsenwahrheit. Sie betonen zu müssen, ist schon wieder eine Verlegenheit. Angela Merkel muss nicht minder fürchten, dass ihre Wähler zu Hause bleiben werden. Die Kanzlerin muss aufpassen, dass sie am 24. September nicht wie eine Scheinriesin dasteht.

Beide, die Kanzlerin wie ihr Herausforderer, wollen gern glauben (machen), dass ein Großteil der Wähler noch unentschlossen sei. Viele sind tatsächlich ratlos, hin- und hergerissen, aber zumeist doch zwischen den Parteien eines Lagers, zwischen SPD und Linke oder zwischen Union und FDP. Wie viel echte Bewegung ist noch zwischen den einzelnen Blöcken möglich?

Debatten über Flüchtlinge haben der AfD geholfen

Das Problem der SPD ist, dass sie in nahezu jeder Umfrage nicht mal zusammen mit FDP und Grünen oder Linke und Grünen auf eine Mehrheit kommt. Für Schulz ist dieser Wahlkampf eine Mutprobe, genauer gesagt: eine Zumutung, weil er als Spitzenkandidat wie ein Underdog behandelt wird. Ständig muss der Mann erklären, warum er trotzdem gewinnen wird. Seine Hoffnung-stirbt-zuletzt-Rhetorik ist deprimierend, aber der Lage entsprechend: Am ehestens hat die SPD eine Machtperspektive an der Seite der Union in einer großen Koalition, und das wäre bloß ein schaler Sieg.

Wer von der CDU-Kanzlerin genug hat – insbesondere von ihrer Flüchtlingspolitik –, der wird ihr nicht dadurch einen Denkzettel verpassen, dass er ihren Koalitionspartner wählt. Auch die FDP, die Grünen und die Linke sind dafür nicht die ideale Adresse; sie werden längst zu den Etablierten gezählt.

Gauland bedient die Stimmungen am rechten Rand

Hingegen ist die Sternenkonstellation günstig für die AfD. Die neuen Debatten über die Flüchtlinge haben ihr geholfen; nicht geschadet hat ihr auch, dass EU-Kommissionspräsident Juncker plötzlich eine Debatte über eine Erweiterung des Euroraums lostrat. Die AfD ist seit Monaten nahe der Zweistelligkeit, auf der Schlussgeraden sogar darüber. Man fragt sich, ob die Zustimmung zugenommen hat oder ob sich Demoskopen ehrlich machen.

Die AfD macht sich auf skrupellose Art „interessant“. Im Zustand der Unschuld drückt Alexander Gaulands Satz, wonach man den Deutschen nicht mehr die NS-Jahre vorhalten müsse, nur aus, dass die Bundesrepublik aus der Geschichte gelernt hat. Perfide daran ist der Subtext: Der Ruf nach einem Schlussstrich im Umgang mit dem Nationalsozialismus gehört zur Erkennungsmelodie der Rechtsaußen. Gauland bedient die Stimmungen am rechten Rand.

Das Drama ist, dass man ihm mit fast jeder Reaktion auf den Leim geht. Zu seinen Äußerungen schweigen kann man nicht; womöglich werden sie gesellschaftsfähig. Umgekehrt bleibt ein Heiko Maas mit seiner Empörung in seiner Echokammer. Er stimmt keine AfD-Wähler um, er stachelt sie womöglich erst richtig an.