Berlin. Training für den Ernstfall: Russland startet das womöglich größte Militärmanöver. Die Nachbarn im Baltikum und in Polen sind besorgt.

Wer hat Angst vor dem „russischen Bären“? Moskaus Militärmanöver werden seit der Annexion der Krim im März 2014 von der Nato besonders kritisch beobachtet. Nun soll an diesem Donnerstag die vielleicht größte Militärübung Russlands seit Ende des Kalten Krieges starten. Nicht nur in der Ukraine, auch in Polen und im Baltikum ist die Nervosität deutlich zu spüren.

„Sapad“ bedeutet „Westen“ und ist nicht nur Name des diesjährigen Militärmanövers, sondern auch Programm. Für die einwöchige Übung entlang der weißrussischen Grenzen zu Polen und Litauen sollen nach offiziellen Angaben Moskaus insgesamt 12.700 russische und weißrussische Soldaten mobilisiert werden. Dort sollen sie für den Ernstfall trainieren – das Herbstmanöver selbst habe jedoch einen „rein defensiven Charakter“, heißt es aus dem russischen Verteidigungsministerium.

Nato-Experten rechnen mit 30.000 Soldaten

In der Nato werden die Moskauer Angaben zum Umfang der Streitkräfte als unglaubwürdig gesehen. Bereits im August begannen zahlreiche kleinere Übungen der russischen Flotte in der Schwarzmeerregion sowie im ganzen Militärbezirk West, die am Ende in das „Sapad“-Manöver münden könnten. Daher gehen Nato-Experten von einem weitaus größeren Militärmanöver aus: Sie rechnen mit mindestens 30.000 Soldaten – Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sprach zuletzt sogar von 100.000.

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte Russland wiederholt zu mehr Transparenz auf und verwies dabei auf die Einhaltung der Bestimmungen des Wiener Dokuments. Darin heißt es, dass Beobachter anderer Mitgliedsländer der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Zugang zu Manövern gewährt werden muss, „wenn die Stärke des eingesetzten Personals 13.000 erreicht oder überschreitet“.

Einmarschin Georgien geschah aus Manöver heraus

Aus russischer Sicht will man den Wirbel um das angekündigte „Sapad“-Manöver nicht nachvollziehen. Moskau habe Diplomaten und internationale Beobachter über die Übung ausführlich informiert. Außerdem sei die Zahl von 100.000 eingesetzten Soldaten völlig aus der Luft gegriffen, heißt es aus dem russischen Verteidigungsministerium.

Die Militärübung Russlands werde lediglich als Vorwand für eine Intensivierung der Nato-Präsenz an der Ostgrenze verwendet, behauptet man dort. In der Vergangenheit ist Russland allerdings mehrmals von seinen offiziellen Auskünften abgewichen. Und als russische Truppen 2008 in Georgien einmarschierten, geschah dies aus einem Manöver heraus. Nur ein Jahr nach der letzten Übung 2013 okkupierte Russland mithilfe der dort erprobten Taktiken die ukrainische Halbinsel Krim.

Zwar scheinen die Sorgen um einen offenen Konflikt zwischen Russland und den benachbarten Nato-Staaten unbegründet. Doch wird das Manöver die Debatte über stärkere Nato-Einsätze an der Ostflanke erneut aufheizen. Man habe keine Garantien, dass alle Soldaten nach dem Manöver nach Russland zurückkehren würden, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Bis zum geplanten Abzug der Truppen am 20. September werden Spekulationen um Moskaus Strategie hinter dem Manöver andauern. Vor allem aber wird Russlands Präsident Wladimir Putin die Glaubwürdigkeit und Willen der Nato-Verbündeten auf den Prüfstand stellen.