Istanbul/Moskau. Deutsche Rüstungsexporte in die Türkei liegen wegen der Krise weitestgehend still. Nun kauft der Nato-Partner Türkei in Moskau ein.

Die Türkei kauft Russlands modernstes Raketenabwehrsystem vom Typ S-400 und heizt damit Sorgen in der Nato über eine Orientierung des Bündnispartners Richtung Moskau an. Kremlberater Wladimir Koschin sagte der Agentur Tass am Dienstag: „Der Vertrag ist unterzeichnet, seine Umsetzung wird vorbereitet.“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte Journalisten auf seinem Rückflug aus Kasachstan nach Angaben der Zeitung „Hürriyet“ ebenfalls, der Vertrag sei unterschrieben. Die Türkei habe nach seinem Kenntnisstand bereits eine Anzahlung geleistet.

Deutlich weniger deutsche Rüstungsexporte

Während Ankara in Moskau einkauft, liegen Rüstungsexporte aus Deutschland in die Türkei dagegen nach Angaben von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) weitgehend auf Eis. Grund ist der eskalierende Streit mit Ankara. „Die großen Anträge, die die Türkei derzeit an uns stellt - und das sind wirklich nicht wenige - haben wir alle „on hold“ gestellt“, sagte Gabriel am Montagabend bei einer „Handelsblatt“-Veranstaltung in Berlin.

In diesem Jahr hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben Rüstungsexporte von mehr als 25 Millionen Euro in die Türkei genehmigt - deutlich weniger als im Vorjahreszeitraum und ein Bruchteil von dem Geld, das Ankara Moskau für das hochmoderne S-400-System zugesagt haben soll: Türkischen Medienberichten zufolge sollen dafür 2,5 Milliarden Dollar (2,1 Milliarden Euro) fließen.

Einkauf in Russland sorgt für Irritationen

Gabriel war es, der in der Diskussion um EU-Beitrittsgespräche mit Ankara noch im April gesagt hatte, man habe kein Interesse daran, dass die Türkei „in Richtung Russland geschoben wird“. Allerdings ist der Streit mit Ankara seitdem eskaliert, und die Bundesregierung hat im Wahlkampf eine Kehrtwende hingelegt in ihrer Türkei-Politik. Mit ihrer Forderung nach einem Abbruch oder einem Aussetzen der Verhandlungen steht sie in der EU aber weitgehend isoliert da.

Irritationen dürfte der türkische Kauf der S-400 allerdings nicht nur in Berlin und bei der Nato in Brüssel hervorrufen, sondern auch in Washington. Bereits im Juli hatte US-Armeechef Joseph Dunford gesagt, ein Kauf durch die Türkei „wäre eine Sorge“. Bei einer Anhörung des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen des US-Senats in Washington in der vergangenen Woche hatten sich sowohl Republikaner als auch Demokraten besorgt gezeigt. Senator Ben Cardin hatte gesagt, das Geschäft könnte einen Verstoß gegen Russland-Sanktionen darstellen.

Neubewertung der US-Beziehungen mit der Türkei

Bei der Senatsanhörung hatte Steven Cook, ein Experte der Denkfabrik Council on Foreign Relations, eine Neubewertung der US-Beziehungen mit der Türkei gefordert, sollte Ankara das russische Raketenabwehrsystem kaufen. „Wir sollten es nicht nur privat, sondern öffentlich überaus deutlich machen, dass es Folgen für sie hat, wenn sie bei den S-400 voranschreiten.“ Die Türkei ist seit 1952 Nato-Mitglied - drei Jahre länger als die Bundesrepublik.

Die Beziehungen der Türkei sind nicht nur mit Deutschland angespannt, auch das Verhältnis mit den USA ist zunehmend belastet. Wie im Streit mit Deutschland ist einer der Punkte auch hier die Inhaftierung von rund 15 US-Staatsbürgern in der Türkei.

Darunter ist auch ein Pastor namens Andres Brunson. Bereits im Mai hatte US-Präsident Donald Trump von Erdogan die Freilassung Brunsons gefordert - und war damit ebenso erfolglos wie die Bundesregierung, die die Freilassung deutscher Gefangener wie den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel verlangt.

Diese Deutschen waren in türkischer Haft

Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation.
Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation. © dpa | Soeren Stache
Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte.
Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte. © REUTERS | HANDOUT
#FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels.
#FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance /
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt.
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. © dpa | Lefteris Pitarakis
Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt.
Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt. © Facebook/Mesale Tolu | Facebook/Mesale Tolu
Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben.
Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben. © dpa | Linda Say
Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen.
Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen. © dpa | Emrah Gurel
Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“
Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“ © REUTERS | OSMAN ORSAL
Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden.
Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden. © dpa | Privat
Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören.
Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören. © privat | privat
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Ankaras Entfremdung von westlicher Welt

Erdogan entfremdet sich vom Westen und hat schon vor einiger Zeit angekündigt, die Türkei könnte sich künftig stärker an Russland orientieren. Die für militärtechnische Zusammenarbeit zuständige russische Behörde FSWTS bestätigte am Dienstag die Unterzeichnung des Vertrages - und betonte zugleich, dass der Verkauf der S-400 den geopolitischen Interessen Moskaus entspreche.

Russland nutzt das mobile S-400-Raketensystem unter anderem zur Sicherung der Grenzen und zum Schutz der Truppen auf einem Luftwaffenstützpunkt in Syrien. Für die russische Rüstungsindustrie ist das System S-400 „Triumph“ ein wichtiges Export-Produkt - das bislang allerdings kein Nato-Staat einsetzt.

Für die Nato hat derzeit Spanien ein US-Raketenabwehrsystem vom Typ Patriot in der Türkei stationiert, das mögliche Angriffe aus dem Bürgerkriegsland Syrien abwehren soll. Auch Deutschland beteiligte sich durch Entsendung von Patriot-Raketen am Schutz des Bündnispartners, als die Beziehungen mit Ankara noch besser waren. Ende 2015 beendete die Bundeswehr den Einsatz. (dpa)