Berlin/Athen. Nach der Festnahme eines deutschen Paares in der Türkei spricht das Auswärtige Amt eine deutliche Warnung aus: „Es kann jeden treffen.“

Das Regime von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat es wieder getan: In der Türkei ist nach Informationen der Bundesregierung ein weiteres Ehepaar aus Deutschland festgenommen worden.

Das Auswärtige Amt habe konkrete Anhaltspunkte, „dass erneut ein deutsches Ehepaar türkischer Abstammung in Istanbul in Polizeigewahrsam gekommen ist“, sagte der Sprecher des Ministeriums, Martin Schäfer, am Montag in Berlin. Die Festnahme sei am Sonntag bei der Einreise auf dem Flughafen Istanbul-Atatürk erfolgt, hieß es.

Damit geraten die deutsch-türkischen Beziehungen immer mehr in einen Strudel aus Provokationen und rhetorischen Drohungen. Zusätzliche Nahrung hatte der bilaterale Streit durch den Bundestagswahlkampf erhalten, der stellenweise in einen Überbietungswettbewerb über die härtere Gangart gegenüber Ankara ausartete: Beim TV-Duell Anfang September sprachen sich sowohl Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch SPD-Kandidat Martin Schulz für einen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei aus.

Über Vorwürfe gegen Paar noch nichts bekannt

Offizielle Informationen der türkischen Behörden lagen dem deutschen Außenministerium bis Montagabend zwar nicht vor. Es sei aber davon auszugehen, dass einer der beiden festgenommenen Ehepartner immer noch von der Polizei festgehalten werde, betonte Schäfer. Gegen die zweite Person sei eine Ausreisesperre verhängt worden. Über mögliche Vorwürfe gegen das Ehepaar war zunächst nichts bekannt.

Auf die Frage, ob das Auswärtige Amt nun eine förmliche Reisewarnung für die Türkei aussprechen werde, sagte Schäfer, dies sei bislang nicht geplant. Das Außenministerium verhängt in der Regel dann eine Reisewarnung, wenn „für jeden Reisenden eine konkrete Gefahr für Leib und Leben“ besteht. Dies trifft etwa auf Länder wie Libyen, den Jemen oder Syrien zu.

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    Dennoch rief der Sprecher die deutschen Bürger dazu auf, sich mit der Gefahr einer Festnahme in der Türkei auseinanderzusetzen. „Es kann jeden treffen, der in die Türkei einzureisen gedenkt. Man sieht sich in keiner Gefahr, und plötzlich ist man in einem türkischen Gefängnis. Das ist die traurige Realität, der wir gegenüberstehen.“ Der „Albtraum“ setze sich fort.

    Ende August war ein deutsches Ehepaar mit türkischen Wurzeln am Flughafen von Antalya festgenommen worden. Die Frau kam später ohne Auflagen wieder auf freien Fuß. Den beiden wurden Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen, die von der türkischen Regierung für den gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird. In Deutschland hatte der Fall eine Diskussion über eine weitere Verschärfung des Kurses gegenüber Ankara ausgelöst.

    Türkei spricht Reisewarnung für Deutschland aus

    Die türkische Regierung hatte am Samstag eine „Reisewarnung für die Bundesrepublik Deutschland“ ausgesprochen. Darin ruft das Außenministerium in Deutschland lebende oder dorthin reisende Türken zur „Vorsicht“ auf. Der Schritt dürfte eine Retourkutsche für die Verschärfung der Reisehinweise des Auswärtigen Amtes für die Türkei in der vergangenen Woche sein.

    Die deutsch-türkischen Beziehungen sind seit dem Frühjahr 2016 auf eine abschüssige Bahn geraten. Am 31. März überzog der TV-Moderator Jan Böhmermann den türkischen Präsidenten mit einer „Schmähkritik“. Das Gedicht enthielt sexuell konnotierte Schmähungen, mit denen Böhmermann nach eigenen Angaben zeigen wollte, wann Spott die Grenze der Satirefreiheit in Deutschland überschreite. Die Türkei reagierte empört und forderte eine Intervention von Kanzlerin Merkel.

    Zwölf Deutsche sind derzeit aus politischen Gründen inhaftiert

    Der zweite Tiefpunkt wurde nach der Armenienresolution des Bundestages erreicht. Am 2. Juni 2016 hatte das Parlament die 1915 von der damaligen osmanischen Regierung an den Armeniern begangenen Massaker als Völkermord eingestuft. Daraufhin untersagte Ankara Bundestagsabgeordneten den Besuch auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik.

    Mit der neuesten Festnahme vom Sonntag befinden sich nun mindestens zwölf deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen in der Türkei in Untersuchungshaft oder in Polizeigewahrsam.

    Vorwürfe gegen viele Inhaftierte bleiben diffus

    Der prominenteste Häftling ist der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel, der im Februar in U-Haft kam. Was ihm konkret vorgeworfen wird, ist immer noch unklar. Aber Staatschef Erdogan beschuldigte Yücel bereits öffentlich als „Spion“ und „Terrorist“. Yücel, der am Sonntag 44 Jahre alt wurde, hat die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft. Im April wurde die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu festgenommen. Ihr wird „Terrorpropaganda“ zur Last gelegt. Darauf stehen bis zu 15 Jahre Haft. Tolu Corlu hat nur die deutsche Staatsangehörigkeit. Seit Juli befindet sich der deutsche Menschenrechtsaktivist und Fotograf Peter Steudtner in türkischer Haft. Auch hier der Vorwurf: Terrorunterstützung. Über die meisten anderen politischen Gefangenen mit deutscher Staatsbürgerschaft ist offiziell nichts bekannt.

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      Maximaldauer der U-Haft auf sieben Jahre ausgedehnt

      Die Situation der Inhaftierten ist schon deshalb dramatisch, weil sie möglicherweise jahrelang ohne Urteil in Haft gehalten werden können. Mit einem Dekret verlängerte Erdogan kürzlich die Dauer der Untersuchungshaft bei bestimmten Terrordelikten von fünf auf sieben Jahre. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) warf dem türkischen Präsidenten vor, er halte die Deutschen als „Geiseln“ fest, um Druck auf Berlin zu machen.

      Es gibt seit Längerem Spekulationen, Erdogan könnte versuchen, die festgesetzten Bundesbürger gegen türkische Regimekritiker auszutauschen, die in Deutschland Asyl suchen. Erdogan formulierte kürzlich klipp und klar Richtung Bundesregierung: „Wenn sie bei der Auslieferung nicht behilflich sind, dann sollten sie wissen, dass sie die Bürger, die uns in die Hände fallen, von uns auch nicht bekommen können.“