Berlin. Dem Militärbündnis könnte im Konflikt mit der Türkei eine neue Rolle zuwachsen: als bindende Kraft zwischen Erdogans Türkei und Europa.

Bundestagsabgeordnete besuchen deutsche Soldaten im Auslandseinsatz. Eine solche Reise sollte eigentlich keine große Sache sein, sondern eine Selbstverständlichkeit. Denn die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Doch solange der Stützpunkt in der Türkei liegt und die deutsch-türkischen Beziehungen schockgefrostet sind, ist nichts mehr selbstverständlich.

Und so brauchten die Abgeordneten die Unterstützung der Nato, um nach Konya zu gelangen. Dort sind zwischen 20 und 30 Bundeswehrsoldaten stationiert, die sich am Einsatz von Awacs-Flugzeugen der Nato im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) beteiligen.

Besuche bei Soldaten sind für eine Parlamentsarmee wichtig

Der Bundestag hat dem Einsatz zugestimmt und muss Ende des Jahres erneut entscheiden, ob der Einsatz der deutschen Kräfte dort fortgesetzt werden kann und soll. Besuche und Informationen vor Ort sind auch deshalb wichtig und notwendig.

Nach dem Hickhack der vergangenen Wochen ist aber keineswegs sicher, dass dieses Mandat verlängert wird, wenn das Reiserecht infrage steht. Es ist eine zentrale Bedingung für die Zustimmung zum Bundeswehreinsatz, die das Parlament gibt. Ohne Besuchsrecht der Parlamentarier werden die Soldaten nicht in Konya bleiben.

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    Die Nato nutzt ihre Macht nicht richtig

    Es ist nicht anzunehmen, dass den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan derartige demokratische Prozesse tatsächlich interessieren. Der Dauerstreit zwischen Berlin und Ankara hat bereits dazu geführt, dass die Bundeswehr aus Incirlik samt Tornadoaufklärungsjets und Tankflugzeug abgezogen und nach Jordanien verlegt wird.

    Den Besuch in Konya hat die Nato vermittelt und organisiert, ein mächtiger Partner, der seine Macht nicht wirklich nutzt. Zwar ist die Türkei unter Präsident Erdogan zu einem ex­trem schwierigen Mitglied geworden. Aber weder die Nato noch die Türkei wollen am Status quo rütteln. Beide Seiten profitieren voneinander – und das muss man nutzen.

    Die Verbindungen zur Türkei zu kappen, wäre falsch

    Die Nato kann mehr als Schutzmacht spielen für einen Truppenbesuch. Ihr könnte eine ganz ungewohnte Rolle zuwachsen: das Militärbündnis als Vermittler zwischen Erdogans Türkei und Europa. Als bindende Kraft, als Brücke. Aber dafür müsste auch ihr Generalsekretär seine Zurückhaltung aufgeben, sich stärker einmischen. Die Vermittlung des Besuchs in Konya kann dabei ein erster Schritt gewesen sein.

    Es wäre falsch, alle Verbindungen und Verhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei abzubrechen, wie es SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im Fernsehduell mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gefordert hat. Es ist emotional, es ist populär, aber es ist kurzsichtig. Denn was kommt dann?

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      Erdogan ist auch im eigenen Land nicht unumstritten

      Es wird so leicht vergessen, aber: Erdogan ist nicht die Türkei, auch wenn er es gern hätte. Der Präsident ist zwar mächtiger als je zuvor, mächtiger als jeder andere Präsident seit Repu­blikgründer Atatürk, aber er ist auch unter seinen Landsleuten nicht unumstritten. Die Abstimmung im vergangenen April über die neue Verfassung, die dem Präsidenten noch mehr Macht geben sollte, hat in der Türkei zwar eine knappe Mehrheit gefunden, aber in einigen großen Städten wurde sie abgelehnt.

      Immer mehr Türken spüren, dass die Politik ihres Präsidenten sie wirtschaftlich und intellektuell in die Isolation führt. Wer jetzt die Verbindung kappt, spielt Erdogan in die Hände. Denn genau das ist es, was er mit seinen pausenlosen Provokationen bezweckt.