Berlin . Die SPD hatte keine Exit-Strategie für die große Koalition. Nun können die Sozialdemokraten nicht in den Wahlkampfmodus umschalten.

Reden wir über den Abgang, beim Turnen der schwierige, auf jeden Fall der krönende Abschluss jeder Übung. Kein Wackler, kein Standfehler, punktgenaue Landung. Ein Königreich würde die SPD geben – für einen sauberen Abgang nach vier Jahren großer Koalition.

Generalaussprachen kennt man aus Haushaltsdebatten. Am Dienstag kamen die Parteien ohne einen Vorwand aus. Der Weg (bis zum 24. September) war das Ziel, der Wahlkampf Anlass genug.

Schulz sitzt nicht im Bundestag – und kann nicht mitreden

Bis auf die Sozialdemokraten haben alle Fraktionen die Debatte zur Eigenwerbung genutzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte ihre Regierung und damit gnadenlos auch die SPD, Linke und Grünen hielten rigoros dagegen – die Sozialdemokraten aber vollführten auf dem Trapez einen Salto rückwärts, die halsbrecherische Variante. Sigmar Gabriel bedankte sich bei der Kanzlerin, an der Andrea Nahles wiederum kein gutes Haar ließ, und Thomas Oppermann machte beides zugleich: Lob, aber auch Merkel-Bashing.

Das Dilemma der SPD war zu besichtigen. Erstens, der Bundestag diskutiert, aber der Kanzlerkandidat gehört nicht dazu. Ihm fehlt aber nicht nur die Bühne, sondern zweitens auch ein Amt. Er kann nur zuhören, wenn die Kanzlerin erzählt, welchen Weltenlenker sie gerade getroffen oder angerufen hat. Aus gutem Grund haben die Parteien oft Minister oder Länderchefs als Kanzlerkandidaten aufgestellt. Wer regiert, kann agieren, Situationen auf Augenhöhe kreieren, und sei es im Parlament via Bundesratsbank.

Eine große Koalition ist keine Win-win-Konstellation

Das dritte Problem ist, dass Martin Schulz die Arbeit der Regierung nicht schlechtmachen kann, ohne zugleich die SPD-Minister in ein schiefes Licht zu rücken. Die tun sich ihrerseits schwer, in den Spiegel zu gucken, wenn sie über eine Frau herziehen, mit der sie vier Jahre lang harmonisch regiert haben; obendrein zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Jahren. Sie wussten vor vier Jahren genau, was sie taten.

Die Juniorpartnerschaft in einer großen Koalition ist keine Win-win-Konstellation. Wer sich auf sie einlässt, muss das Ende bedenken und eine Exit-Strategie haben. Die SPD hat jetzt schon zum zweiten Mal den richtigen Abgang verpasst. Man kann der Partei schon aus Sorge um die Balance der Demokratie nur raten, im Zweifel lieber in die Opposition zu gehen, als sich auf eine große Koalition einzulassen, weil ansonsten die Verzwergung der SPD voranschreitet. Wenn sie die nächste Wahl verliert, steht sie womöglich vor der grausamen Alternative, entweder doch mit Merkel weiterzumachen oder mit der Linken und AfD die Opposition zu bilden. Beide Varianten stehen für eine unbehagliche Nähe.

Eine der zwei Volksparteien sollte die Opposition stellen

Von diesen Widersprüchen sind auch die Wähler nicht frei, weil einerseits Konsens in Deutschland einen hohen Stellenwert hat, andererseits aber auch und gerade in Zeiten der großen Koalition der Wunsch nach „klarer Kante“ wächst. Beide Stimmungen kann man nicht gleichzeitig bedienen.

Es sollte der Normalzustand sein, dass eine der zwei Volksparteien die Opposition stellt. Dann ist am ehesten zu gewährleisten, dass das Parlament die Regierung kontrolliert, eine Gegenmacht darstellt, die Abgeordneten den Mindestansprüchen gerecht werden, die ein selbstbewusstes Parlament an sich selbst stellen muss. Vieles, was Parlamentspräsident Norbert Lammert am Dienstag kritisch angemerkt hat, stellt sich besonders in Zeiten der große Koalition dar, etwa, dass im Hohen Haus immer noch zu häufig geredet und zu wenig debattiert wird. Lammert hat ihn gekonnt hingelegt, den Abgang: sauber, ohne Wackler und Standfehler, punktgenau. Seine unabhängige Amtsführung muss ihm erst mal einer nachmachen. Sein Nachfolger wird nicht zu beneiden sein.