Berlin. Kanzlerin Merkel und der EU-Kommissionschef Juncker trafen sich zu Gesprächen. Dabei berieten sie auch über den Brexit und die Türkei.

Sie sind wie ein altes Ehepaar, kennen Höhen und Tiefen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Der Luxemburger war nicht Merkels erste Wahl für den Top-Job in Brüssel. Auch in der Eurokrise gerieten sie mehrmals aneinander. Juncker kritisierte die Sparvorgaben der Kanzlerin gegenüber Ländern wie Griechenland als übertrieben. Aber seit sich der EU-Kommissionschef im Herbst 2015 hinter die Flüchtlingspolitik Merkels gestellt hatte, arbeitet das Polit-Paar eng zusammen. Am Mittwoch trafen sich Merkel und Juncker zu einem rund zweistündigen Arbeitsmittagessen in Berlin. Es ging um einige Baustellen Europas.

Die Kanzlerin wünscht sich weitere Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze über den November hinaus. Sie waren als Reaktion auf die Flüchtlingskrise wieder eingeführt worden. Allerdings hatte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos kürzlich Widerspruch angemeldet: Es müsse eine Rückkehr zum Schengensystem des freien Verkehrs von Personen und Gütern geben. Avramopoulos deutete nun in der „Passauer Neuen Presse“ eine Hintertür an: Ein Antrag auf eine Verlängerung der Grenzkontrollen könne etwa dann gestellt werden, wenn eine Gefahr für die innere Sicherheit vorliege. Juncker dürfte sich dem Anliegen Merkels nicht verschließen.

Verfahren gegen Polen

Angesichts der Pläne der nationalkonservativen polnischen Regierung, das unabhängige Justizwesen unter staatliche Kontrolle zu stellen, plädiert Juncker für eine härtere Gangart. Er will die erste Phase eines Rechtsstaatlichkeitsverfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrags einleiten und die Chancen hierfür ausloten. Mindestens 22 EU-Mitgliedsländer sind dafür nötig, dass der Europäische Rat die „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der Grundwerte der EU in Polen feststellt. Es wäre ein ernster Warnschuss Richtung Warschau. Seine Stimmrechte im Rat würde das Land aber nur verlieren, wenn alle EU-Staaten mitziehen. Das gilt als ausgeschlossen, da Ungarn bereits sein Veto angekündigt hat.

Merkel hat zwar die polnischen Vorhaben zur Justizreform gerügt. „Zusammenhalt unter Preisgabe der Rechtsstaatlichkeit ist nicht mehr die Europäische Union“, betonte sie. „Wir können da nicht einfach den Mund halten.“ Aber die Kanzlerin sträubt sich bislang gegen die nukleare Option. Den offenen Eklat, der wegen des Neins aus Budapest zu einer Abstimmungsniederlage führen könnte, will sie vermeiden. In dieser Frage liegen Merkel und Juncker nicht auf einer Wellenlänge.

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    Klare Kante bei Brexit-Gesprächen

    Juncker ist sauer über die Verhandlungstaktik der britischen Regierung bei den Brexit-Gesprächen. Keines der bislang von London vorgestellten Positionspapiere sei zufriedenstellend, klagte er. Für den EU-Kommissionschef ist klar: Bevor das zukünftige Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und Großbritannien definiert wird, müssen die Trennungsmodalitäten feststehen. Es geht um die Finanzlast der Briten, die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und der Briten in der EU sowie die Grenzregelung zwischen Nordirland und Irland. London fordert von Brüssel hingegen „Kreativität“ und will alles parallel verhandeln.

    Der Druck auf die britische Premierministerin Theresa May nimmt zu, ihr läuft die Zeit davon. Derzeit besucht sie Japan, um für ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Ländern zu werben. Doch die Regierung in Tokio gibt sich zugeknöpft: Erst sollen die Briten die genauen Bedingungen des Brexits festzurren.

    In der Sache sind sich Merkel und Juncker einig. Doch während der Mann aus Brüssel schwere verbale Breitseiten Richtung London abfeuert, gibt sich die Kanzlerin moderat im Ton. Sie weiß, dass Europa die Briten auch nach einem Ausstieg aus der EU braucht – bei der Zusammenarbeit der Geheimdienste im Anti-Terror-Kampf, in der Verteidigungspolitik und in der Wirtschaft.

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      Der Umgang mit Erdogan

      Hier sind die Rollen vertauscht. Merkel, die sich im Wahlkampf den SPD-Vorwürfen ausgesetzt sieht, zu weich gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufzutreten, hat ihre Rhetorik verschärft. Gegen eine Ausweitung der EU-Zollunion mit der Türkei werde sie sich querlegen, kündigte sie an.

      Auch die im Flüchtlingsabkommen mit der EU vorgesehenen Visa-Erleichterungen werde es so bald nicht geben. Ankara müsse bei der Herstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse erst liefern und die verhafteten Deutschen wie den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel freilassen. Juncker gibt sich hingegen samtpfötig. Erdogan wolle die EU so lange reizen, bis diese den Beitrittsprozess beende, warnte er. Dann könne er den Schwarzen Peter nach Brüssel oder Berlin weiterreichen. Diesen Gefallen dürfe man ihm nicht tun. Die EU solle vielmehr eine Politik betreiben, die der türkischen Bevölkerung zeige, dass das „System Erdogan“ das Land von der EU entferne.