Berlin. Bei der Gleichstellung von Schwulen und Lesben ist im Alltag noch viel zu tun. Vorbehalte gegenüber Homosexuellen sind noch verbreitet.

Für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen ist in dieser Wahlperiode viel passiert: Vom ersten Oktober an gilt die Ehe für alle; gleichgeschlechtliche Paare können heiraten und bekommen damit dieselben Rechte und Pflichten wie herkömmliche Eheleute. Spät, fast zu spät wird zudem altes Unrecht beendet: Homosexuelle Männer, die in den vergangenen Jahrzehnten mithilfe des Paragrafen 175 strafrechtlich diskriminiert und verfolgt wurden, sollen rehabilitiert und entschädigt werden.

Beides kam erst nach langen Debatten, manche würden sagen, nach Kämpfen gegen ein unzeitgemäß gewordenes Denken. Anderes dagegen hat sich eher leise durchgesetzt. Die Regel etwa, nach der homosexuelle Männer kein Blut spenden dürfen, wurde gerade abgeschwächt. Wer ein Jahr lang keinen Sex mit einem Mann hatte, soll in Zukunft Blut spenden dürfen. Alles gut also im modernen, liberalen Deutschland? Nein, leider nicht. Denn die weitgehende rechtliche Gleichstellung geht noch lange nicht einher mit Normalität im Alltag.

Viele Bundesbürger sind für rechtliche Gleichstellung

Viele Homosexuelle erleben noch immer Ablehnung. Sie überlegen sich in der Regel gut, wo und in welchen Kreisen sie offen mit ihrer Orientierung umgehen können. Das ist nicht nur ein Gefühl: Anfang des Jahres zeigte eine Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter 2000 Deutschen, wie verbreitet Vorbehalte gegenüber Homosexuellen nach wie vor sind. Zwar sind die meisten Bundesbürger für eine rechtliche Gleichstellung, je näher das Thema aber ins Private rückt, desto größer wird die Ablehnung.

Ein schwuler Arbeitskollege? Neun von zehn Deutschen haben kein Problem damit. Ein homosexueller Erzieher in der Kita dagegen – das stört schon jeden vierten. Die Vorstellung schließlich, das eigene Kind wäre lesbisch oder schwul, findet fast die Hälfte der Deutschen unangenehm.

Unterschiede in Lebenslagen von Homo- und Heterosexuellen

Wie selbstverständlich andererseits Politik und Gesellschaft inzwischen mit homosexuellen Männern und Frauen umgehen, und mehr noch, wie selbstverständlich Schwule und Lesben inzwischen Politik und Gesellschaft mitgestalten, das macht deutlich, wie weit der Weg in anderen Bereichen noch ist. Wie schwierig es zum Beispiel noch sein wird, einen rechtlich angemessenen und gesellschaftlich akzeptierten Umgang etwa mit Transsexuellen zu finden.

Auch in einem anderen Punkt kann sich das Land noch nicht zurücklehnen: In seiner neuen Studie kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zu dem Ergebnis, dass es zum Teil große Unterschiede in den Lebenslagen von Schwulen, Lesben und Bisexuellen auf der einen und Heterosexuellen auf der anderen Seite gibt.

Bekämpfung von Homophobie und sexueller Diskriminierung

Manche davon sind selbst gewählt, bei einigen aber dürften auch Erfahrungen mit Ablehnung und Ausgrenzung eine Rolle spielen. Warum zum Beispiel verdienen homosexuelle Männer im Schnitt weniger als heterosexuelle Männer, wie die Studie zeigt? Was sind die Ursachen für den vermuteten „Sexuality Pay Gap“? Um solide Antworten zu geben, ist die Datenlage für Deutschland zu mager – das sagen auch die Autoren der Studie.

Sie fordern daher, die Sozialberichte der Bundesregierung um das Merkmal der sexuellen Orientierung zu erweitern. Auch die EU empfiehlt, zur Bekämpfung von Homophobie und sexueller Diskriminierung regelmäßig vergleichbare Daten zur Situation von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen zu erheben. Das ist nicht nur wissenschaftlich plausibel, sondern auch gesellschaftlich klug: Je mehr man übereinander weiß, desto leichter wird es sein, gegen Diskriminierung vorzugehen und Vielfalt als Gewinn zu betrachten.