Berlin. Die Seite linksunten.indymedia.org hat sich zu einer einflussreichen Plattform der linken Szene entwickelt. Am Verbot gibt es Kritik von Experten.

  • Das Bundesinnenministerium hat die linksextremistische Internetseite Indymedia verboten
  • Laut de Maizière werde dort Hass gesät und zu Straftaten motiviert
  • Ein Polizeiexperte sieht die Schließung kritisch

Sieben Wochen nach den linksextremen Krawallen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg hat das Bundesinnenministerium die linksextremistische Internetplattform „linksunten.indymedia.org“ verboten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, der Weiterbetrieb sei ab sofort eine Straftat. Dazu erließ de Maiziere ein Verbot gegen den Verein. Bei Durchsuchungen im Zusammenhang mit dem Verbot wurden in Baden-Württemberg Waffen sichergestellt.

De Maiziere nannte das Portal die bedeutendste Internetplattform für gewaltbereite Linksextremisten in Deutschland. Seit Jahren nutzten sie das Portal, „um Hass gegen Andersdenkende und Repräsentanten des Landes zu säen“.

Kritik: Plattform „polizeitaktisch wichtig“

Der Hamburger Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Jan Reinecke, kritisierte dagegen das Verbot der Internetplattform. Dies sei „mehr Wahlkampf-Symbolik als sinnvoller Kampf gegen Linksradikale“. Die Plattform sei „polizeitaktisch sogar wichtig, um die Szene, ihre Pläne und Bekennerschreiben zu beobachten. Das fehlt den Polizisten nun in Zukunft“. Reinecke unterstrich zugleich, dass ein „entschlossenes Vorgehen gegen Linksextremisten“ richtig sei. Dies gelte nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel „umso mehr“.

Der Innenminister hatte zurückgewiesen, dass der Wahlkampf eine Rolle für das Verbot gespielt habe. „Wir handeln, wenn es so weit ist, und jetzt ist es so weit.“ Der Anstoß für ein Verbot gehe auch weit vor die Krawalle beim G20-Gipfel in Hamburg zurück, erklärte der CDU-Politiker. Die Vorbereitungen und Ermittlungen hätten einige Zeit in Anspruch genommen, weil man die Betreiber habe ausfindig machen müssen.

De Maizière (CDU) betonte auch: „Es darf keine Rückzugsräume für Extremisten weder rechts noch links geben.“ De Maizière erinnerte daran, dass er bereits das rechte Netzwerk Altermedia verboten hatte. „Unser Ziel ist es auch, die Seite linksunten.indymedia dauerhaft vom Netz zu nehmen oder auszuschalten.“ Der Betrieb sei aber raffiniert geschützt. Dort war am Mittag zu lesen: „Wir sind zur Zeit offline...“

Frankreich soll beim Abschalten helfen

Nach Informationen unserer Redaktion steht der Server in Frankreich. Das Bundesinnenministerium bestätigte auf Nachfrage, dass am Morgen ein Rechtshilfeersuchen an Paris gestellt wurde.

Polizisten tragen vor dem autonomen Zentrum „KTS“ Beweismaterial zu einem Polizeifahrzeug.
Polizisten tragen vor dem autonomen Zentrum „KTS“ Beweismaterial zu einem Polizeifahrzeug. © dpa | Patrick Seeger

Eine Verbotsverfügung sei den in Freiburg lebenden Betreibern der Plattform am Morgen zugestellt worden. Zuerst hatte „Spiegel Online“ über das Verbot berichtet. Es habe gedauert, die Betreiber ausfindig zu machen, denen der Betrieb zugerechnet werde. Die Ermittlungen dauerten bereits länger.

Betreiber wollten G20-Akkreditierung

Zwei der drei Betreiber der verbotenen linksextremistischen Internetplattform „linksunten.indymedia.org“ haben versucht, sich als Journalisten beim G20-Gipfel in Hamburg anzumelden. Nach dpa-Informationen gehören sie zu jenen 32 zunächst überprüften und zum Gipfel Anfang Juli zugelassenen Medienvertretern, denen die Akkreditierung dann wieder entzogen worden war. Zunächst hatte der Deutschlandfunk darüber berichtet.

Mindestens einer bei beiden betreffenden „Linksunten“-Betreiber ist den Sicherheitsbehörden aus der gewaltbefürwortenden linksextremistischen Szene bekannt. Er habe gegen den Ablehnungsbescheid keine Rechtsmittel eingelegt.

Nach Informationen aus Sicherheitskreisen rechnen die Behörden zu den drei zum Kern der „Linksunten“-Betreiber zählenden Männer und Frauen noch einmal mindestens 6 bis 7 weitere zum engeren Kreis jener hinzu, die mit dem Betrieb der Internetseite zu tun hatten. Die Ermittler erhoffen sich von der Auswertung der bei den Durchsuchungen am Morgen sichergestellten Computer und Mobiltelefone Aufschluss über die genaueren Strukturen des nun verbotenen Vereins.

Seite laufe „nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider“

Den Sicherheitsbehörden gilt die Anfang 2009 gestartete Seite als einflussreichstes Medium der linksextremen Szene in Deutschland – und als Forum für gewaltbereite Autonome. Im Zusammenhang mit den Krawallen am Rande des G20-Gipfels spielte die Seite eine wichtige Rolle, auf ihr wurde nach Angaben des Verfassungsschutzes auch zu gewalttätigen Protesten aufgerufen. Auf der Seite können Nutzer anonym Beiträge veröffentlichen.

De Maizière sagte, das Portal werde seit Jahren genutzt , „um Hass gegen Andersdenkende und Repräsentanten des Landes zu säen“. Öffentlich werde zu Gewalt gegen Polizeibeamte und politische Gegner sowie zu Sabotageaktionen gegen staatliche und private Einrichtungen aufgerufen. So verbreiteten Linksextremisten auf der Plattform auch detaillierte Anleitungen zum Bau von Brandsätzen.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Räume in Baden-Württemberg durchsucht

Am Morgen wurden im Zusammenhang mit dem Verbot Räumlichkeiten in Freiburg durchsucht. Gefunden worden seien neben Laptops und IT-Technik unter anderen Messer, Schlagstöcke, Rohre, Zwillen und Butterflymesser. „Aktuell finden noch Durchsuchungen mehrerer Objekte statt“, sagte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU).

G20-Krawalle: Zerstörungswut in Hamburg

Nach Straßenschlachten am Rande des G20-Gipfels sind die Zerstörungen im Hamburger Schanzenviertel groß. Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen am Sonnabendmorgen (8. Juli 2017) die letzten Brände.
Nach Straßenschlachten am Rande des G20-Gipfels sind die Zerstörungen im Hamburger Schanzenviertel groß. Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen am Sonnabendmorgen (8. Juli 2017) die letzten Brände. © dpa | Axel Heimken
Die Randalierer bauten nicht nur Barrikaden und legten Brände, sie plünderten auch Geschäfte – etwa diese Drogerie.
Die Randalierer bauten nicht nur Barrikaden und legten Brände, sie plünderten auch Geschäfte – etwa diese Drogerie. © dpa | Kay Nietfeld
Am Morgen nach den Krawallen wird das Ausmaß der Zerstörungswut sichtbar – und das Aufräumen beginnt.
Am Morgen nach den Krawallen wird das Ausmaß der Zerstörungswut sichtbar – und das Aufräumen beginnt. © dpa | Daniel Bockwoldt
Die Inhaber dieses Geschäftes hatten wohl nicht mit einem solchen Ausmaß von Zerstörungswut gerechnet und ihre Scheiben nicht vorsorglich geschützt.
Die Inhaber dieses Geschäftes hatten wohl nicht mit einem solchen Ausmaß von Zerstörungswut gerechnet und ihre Scheiben nicht vorsorglich geschützt. © dpa | Daniel Bockwoldt
Angezündet wurde in Hamburg in der Nacht so ziemlich alles, von Fahrrädern über Mülltonnen bis zu Autos und Barrikaden.
Angezündet wurde in Hamburg in der Nacht so ziemlich alles, von Fahrrädern über Mülltonnen bis zu Autos und Barrikaden. © REUTERS | FABIAN BIMMER
Die Stadtreinigung versucht am nächsten Morgen das Chaos zu beseitigen.
Die Stadtreinigung versucht am nächsten Morgen das Chaos zu beseitigen. © REUTERS | FABIAN BIMMER
Polizeibeamte räumten am Morgen Miet-Fahrräder von der Straße Schulterblatt im Schanzenviertel.
Polizeibeamte räumten am Morgen Miet-Fahrräder von der Straße Schulterblatt im Schanzenviertel. © dpa | Christian Charisius
In der Nacht zuvor waren gewaltbereite Demonstranten auch mit Pflastersteinen auf Polizisten losgegangen.
In der Nacht zuvor waren gewaltbereite Demonstranten auch mit Pflastersteinen auf Polizisten losgegangen. © dpa | Axel Heimken
Eine Spur der Verwüstung vor der Roten Flora, einem autonomen Zentrum.
Eine Spur der Verwüstung vor der Roten Flora, einem autonomen Zentrum. © dpa | Axel Heimken
Mit so viel Gewaltbereitschaft hatten wohl weder die Polizei noch die Stadtverwaltung gerechnet.
Mit so viel Gewaltbereitschaft hatten wohl weder die Polizei noch die Stadtverwaltung gerechnet. © dpa | Markus Scholz
Brennende Barrikaden im Schanzenviertel.
Brennende Barrikaden im Schanzenviertel. © dpa | Bodo Marks
Die Polizei war mit mehr als 20.000 Einsatzkräften in der Stadt, hatte am Freitagmorgen nochmal Verstärkung aus anderen Bundesländern angefordert. In der Nacht zu Samstag stürmten Spezialeinsatzkräfte der Polizei den verbarrikadierten Teil des Schanzenviertels.
Die Polizei war mit mehr als 20.000 Einsatzkräften in der Stadt, hatte am Freitagmorgen nochmal Verstärkung aus anderen Bundesländern angefordert. In der Nacht zu Samstag stürmten Spezialeinsatzkräfte der Polizei den verbarrikadierten Teil des Schanzenviertels. © dpa | Kay Nietfeld
Spezialkräfte der Polizei versuchten, die Lage im Schanzenviertel unter Kontrolle zu bringen.
Spezialkräfte der Polizei versuchten, die Lage im Schanzenviertel unter Kontrolle zu bringen. © dpa | Michael Kappeler
Die Randalierer plünderten auch einen Supermarkt.
Die Randalierer plünderten auch einen Supermarkt. © Getty Images | Thomas Lohnes
Anarchische Zustände am Rande des G20-Gipfels.
Anarchische Zustände am Rande des G20-Gipfels. © Getty Images | Thomas Lohnes
Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die Randalierer vor. Die Bilanz am Morgen: 197 verletzte Polizisten, zahlreiche Festnahmen, mehrere Haftbefehle. Wie viele Demonstranten verletzt wurden, ist unklar.
Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die Randalierer vor. Die Bilanz am Morgen: 197 verletzte Polizisten, zahlreiche Festnahmen, mehrere Haftbefehle. Wie viele Demonstranten verletzt wurden, ist unklar. © Getty Images | Thomas Lohnes
Zerstörungswut im Schanzenviertel.
Zerstörungswut im Schanzenviertel. © Getty Images | Thomas Lohnes
Zerstörungswut im Schanzenviertel.
Zerstörungswut im Schanzenviertel. © Thomas Lohnes
1/18

Dabei sollte die Verbotsverfügung drei Betreibern der Plattform ausgehändigt werden. Festnahmen oder Verhaftungen waren demnach nicht geplant. Es sollte aber Beweismaterial wie Computer sichergestellt und mögliches Vereinsvermögen beschlagnahmt werden.

Sicherheitsbehörden wenden für Verbot einen Trick an

Auf linksunten.indymedia.org: Die Nachricht vom Verbot der Plattform.
Auf linksunten.indymedia.org: Die Nachricht vom Verbot der Plattform. © dpa | Patrick Seeger

Beim Verbotsverfahren gegen die Plattform wandten die Sicherheitsbehörden einen Kniff an: Förmlich soll es sich um ein Vereinsverbot handeln – die Betreiber wurden demnach von den Behörden als Verein eingestuft. Strobl sagte: „Diese Maßnahmen sind ein schwerer Schlag gegen die linksextremistische Szene in Deutschland.“

Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es: „Bei „linksunten.indymedia“ handelt es sich um das inzwischen wichtigste Medium des gewaltorientierten Linksextremismus. Seit Jahren bietet es ein Forum für weitgehend distanzlose Berichte über linksextremistische Agitation und Straftaten.“

Solidaritätserklärungen für flüchtige RAF-Mitglieder

Der Verfassungsschutz schreibt weiter, die Plattform sei „inzwischen das am meisten genutzte Forum für Selbstbezichtigungsschreiben gewaltorientierter Linksextremisten“. Die meisten der dort veröffentlichten Taterklärungen blieben länger auf der Plattform eingestellt.

Zudem würden dort auch Solidaritätserklärungen für die drei flüchtigen Mitglieder der ehemaligen „Rote Armee Fraktion“ (RAF), Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg veröffentlicht. Die drei sind Tatverdächtige im Zusammenhang mit schweren Verbrechen, sie werden seit langem von der Polizei gesucht.

Unverständnis bei Twitter

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat das Verbot begrüßt. Er sprach am Freitag von einem Schritt in die richtige Richtung und betonte in einer Erklärung: „Linksextreme nutzen die Seite, um Angriffe und Anschläge zu planen und sich danach dort entsprechend zu rühmen. In Berlin wissen wir dies nur allzu gut.“

Auf der Internetseite seien Politiker, Firmen und Polizisten bedroht worden. Geisel fügte hinzu: „Das Verbot trifft die Richtigen. Warum es allerdings erst jetzt kommt, obwohl der Verein schon seit Jahren extremistisch wirkt, muss man sich schon fragen.“ Bei Twitter löste die Verbotsnachricht dagegen vor allem Unverständnis aus. (cu/dpa/küp/law)