Berlin/Madrid. Neue Gesetze, mehr Polizisten, bessere Zusammenarbeit. In vielen Staaten wurden Anti-Terror-Pakete geschnürt. Was hat es gebracht?

Paris, Brüssel, Kopenhagen, Nizza, Berlin, Stockholm, London – und jetzt Barcelona. Radikalisierte Gewalttäter nehmen Europas Metropolen mit Terroranschlägen ins Visier – mal mit Schnellfeuerwaffen, mal mit Sprengstoff, mehrfach schon mit einem Fahrzeug als Waffe. Mit dem Aufstieg des selbst ernannten „Islamischen Staates“ (IS) hat die Zahl der Attentate seit 2015 deutlich zugenommen. Und Europas Regierungen stellten fest: Die Sicherheitsbehörden sind auf die neuen Typologien des Terrors nicht vorbereitet: Sie haben begrenzt Zugriff auf die verschlüsselte Kommunikation, die Prävention steckt noch in den Anfängen, das Personal ist überlastet.

In vielen Staaten wurden im Eiltempo Anti-Terror-Pakete geschnürt, Geld in Jugendprojekte investiert, Gesetze verschärft, die Zusammenarbeit in der EU verbessert. Mehrere mutmaßliche Terroristen wurden gefasst, bevor sie zuschlagen konnten. Datenschützer und Menschenrechtler kritisieren jedoch, dass durch die Maßnahmen die Grundrechte in Gefahr sind. Und auch der aktuelle Anschlag in Spanien zeigt: Europas Polizeibehörden und Geheimdienste scheitern immer wieder auch im Kampf gegen die Gewalt.

Spanien

Das Land galt viele Jahre als äußerst erfolgreich im Anti-Terror-Kampf. Es schien so, als ob die Sicherheitskräfte durch ihre vielen Razzien die radikale Islamistenszene unter Kontrolle halten konnten – bis zur vergangenen Woche, als eine Terrorgruppe in Barcelona und dem Ferienort Cambrils zuschlug und die Sicherheitsbehörden kalt erwischte. Die mindestens zwölf Mitglieder konnten monatelang und unbeobachtet ihre Anschläge vorbereiten. Dabei haben Spaniens Ermittler, deren Fahndungsmethoden geprägt sind durch den jahrzehntelangen Kampf gegen die baskische Terrorgruppe Eta, umfangreiche Befugnisse etwa zum Abhören von Ex­tremisten.

Barcelona trauert nach dem Anschlag

Ein Täter war am Donnerstag mit einem Lastwagen in die Flaniermeile Las Ramblas gefahren. Bis jetzt fahndet die Polizei nach dem Haupttäter, der möglicherweise noch immer auf freiem Fuß ist. Die Stadt trauert.
Ein Täter war am Donnerstag mit einem Lastwagen in die Flaniermeile Las Ramblas gefahren. Bis jetzt fahndet die Polizei nach dem Haupttäter, der möglicherweise noch immer auf freiem Fuß ist. Die Stadt trauert. © dpa | Manu Fernandez
Bei dem Anschlag starben mehr als ein Dutzend Menschen, außerdem gab es viele Verletzte. Am Samstag lagen noch mehr als 50 Terroropfer verletzt im Krankenhaus, wie die katalanischen Notfalldienste mitteilten.
Bei dem Anschlag starben mehr als ein Dutzend Menschen, außerdem gab es viele Verletzte. Am Samstag lagen noch mehr als 50 Terroropfer verletzt im Krankenhaus, wie die katalanischen Notfalldienste mitteilten. © REUTERS | ALBERT GEA
In der Basilika Sagrada Familia in Barcelona wurde am Wochenende mit einer Trauerfeier der Terroropfer gedacht.
In der Basilika Sagrada Familia in Barcelona wurde am Wochenende mit einer Trauerfeier der Terroropfer gedacht. © REUTERS | SUSANA VERA
Auch das spanische Königspaar Felipe VI. (mitte, li.) und Letizia (mitte, re.) sowie Barcelonas Bürgermeister Ada Colau legten auf der Flaniermeile Kerzen nieder. Der Monarch sagte: „Wir haben keine Angst und werden niemals Angst haben.“
Auch das spanische Königspaar Felipe VI. (mitte, li.) und Letizia (mitte, re.) sowie Barcelonas Bürgermeister Ada Colau legten auf der Flaniermeile Kerzen nieder. Der Monarch sagte: „Wir haben keine Angst und werden niemals Angst haben.“ © dpa | Emilio Morenatti
Die Menschen sind fassungslos: Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte die Angriffe in Spanien für sich. Mehrere Glaubenskämpfer hätten sie ausgeführt und „Kreuzfahrer“ ins Visier genommen, teilte der IS im Internet mit.
Die Menschen sind fassungslos: Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte die Angriffe in Spanien für sich. Mehrere Glaubenskämpfer hätten sie ausgeführt und „Kreuzfahrer“ ins Visier genommen, teilte der IS im Internet mit. © REUTERS | STRINGER
„Es waren Tage von Tränen und Menschlichkeit“, sagte Weihbischof Sebastià Taltavull. Das Volk habe keine Angst.
„Es waren Tage von Tränen und Menschlichkeit“, sagte Weihbischof Sebastià Taltavull. Das Volk habe keine Angst. © REUTERS | ALBERT GEA
Die Menschen teilen ihre Gefühle auf Plakaten: „Liebes Barcelona, liebe Welt, man muss immer mit Liebe weitergehen.“
Die Menschen teilen ihre Gefühle auf Plakaten: „Liebes Barcelona, liebe Welt, man muss immer mit Liebe weitergehen.“ © dpa | Matthias Oesterle
Vielerorts zeigen die Menschen in Schweigeminuten ihre Solidarität mit den Opfern von Barcelona. So auch hier beim Fußballspiel Schalke 04 gegen RB Leipzig in Gelsenkirchen.
Vielerorts zeigen die Menschen in Schweigeminuten ihre Solidarität mit den Opfern von Barcelona. So auch hier beim Fußballspiel Schalke 04 gegen RB Leipzig in Gelsenkirchen. © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
Wenige Stunden nach dem Anschlag in Barcelona starb eine Frau in der südlich gelegenen Küstenstadt Cambrils, wo offenkundig ein weiterer Anschlag vereitelt wurde. Sie wurde von Verdächtigen auf der Flucht überfahren. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Attacken in Barcelona und Cambrils von einem Netzwerk aus rund einem Dutzend Verdächtigen verübt wurden.
Wenige Stunden nach dem Anschlag in Barcelona starb eine Frau in der südlich gelegenen Küstenstadt Cambrils, wo offenkundig ein weiterer Anschlag vereitelt wurde. Sie wurde von Verdächtigen auf der Flucht überfahren. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Attacken in Barcelona und Cambrils von einem Netzwerk aus rund einem Dutzend Verdächtigen verübt wurden. © dpa | Matthias Oesterle
Rund 200 Muslime marschierten unter dem Motto „Wir sind Muslime, keine Terroristen“ über die Ramblas.
Rund 200 Muslime marschierten unter dem Motto „Wir sind Muslime, keine Terroristen“ über die Ramblas. © dpa | Santi Palacios
Am Ende bleibt die quälende Frage: „Wie konnte das passieren?“ Drei Tage nach der Terrorattacke von Barcelona sucht die katalanische Polizei noch immer nach Antworten. .
Am Ende bleibt die quälende Frage: „Wie konnte das passieren?“ Drei Tage nach der Terrorattacke von Barcelona sucht die katalanische Polizei noch immer nach Antworten. . © REUTERS | SUSANA VERA
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Doch erschwert der Unabhängigkeitskonflikt in Katalonien die Zusammenarbeit der Polizei. Katalonien klagt, dass die Zentralregierung die katalanische Polizei nicht am vollständigen Informationsaustausch mit der nationalen Anti-Terror-Behörde CITCO teilhaben lässt. Ebenso habe Katalonien wegen des spanischen Widerstandes keinen kompletten Zugang zu den internationalen Terrorwarnnetzen bei Europol und Interpol, heißt es. Ein heikle Frage steht daher im Raum: Haben die Spannungen zwischen Katalonien und Spanien dazu beigetragen, dass Informationen nicht weitergegeben und die Terrorpläne nicht rechtzeitig entdeckt wurden?

Frankreich

Im Verlauf der beispiellosen Attentatsserie, welche im Januar 2015 mit dem blutigen Angriff auf die Redaktion der Satirezeitung „Charlie Hebdo“ begann und der bereits 239 Franzosen zum Opfer fielen, ist das Arsenal rigoroser Sicherheitsmaßnahmen immer wieder erweitert worden. Seit November 2015 verlängerte der Präsident sechsmal den Ausnahmezustand. In seinem Rahmen sichern nicht nur 100.000 Polizisten sowie 10.000 Soldaten landesweit öffentliche Plätze und Einrichtungen, Bahnhöfe, Flughäfen, Grenzen, Touristenmeilen, Strände, Bildungseinrichtungen und Gotteshäuser.

Ohne richterlichen Beschluss können die Ermittlungsbehörden Telefone und Handys abhören, Computer beschlagnahmen, Hausarrest verhängen oder Razzien vornehmen – und sie machen von diesen Sonderrechten reichlich Gebrauch. Selbst wenn nach sich anfänglich häufenden Übergriffen die Kontrollmöglichkeiten der Justiz verbessert wurden, stellt der Ausnahmezustand dennoch eine spürbare Einschränkung wesentlicher Grundrechte dar. Aber: Laut Innenministerium konnten allein 2017 rund 20 Attentatsversuche abgewendet werden.

Die Tatorte des Anschlags von Barcelona

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    Großbritannien

    Drei Terroranschläge hat Großbritannien allein in diesem Jahr erlebt. In der gleichen Zeit konnten fünf weitere Anschläge von Polizeikräften und Geheimdienst verhindert werden. Im Kampf gegen den Terror setzen die Briten auf die Überwachung von Verdächtigen und den Informationsaustausch mit ausländischen Behörden. Ministerien im Regierungsviertel Whitehall wurden zudem durch Poller, Stahlbarrieren und zusätzliche Mauern geschützt. Auch vor dem Parlament in Westminster wurden erstmals massive Barrieren angebracht. Nach zwei Terrorattacken durch Autos auf Londoner Brücken wird jetzt über zusätzliche Maßnahmen für belebte öffentliche Räume nachgedacht.

    Skandinavien

    Dänemark ist seit dem Streit um die 2005 in der Zeitung „Jyllands-Posten“ veröffentlichten Mohammed-Karikaturen bereits frühzeitig Opfer von islamistischem Terror geworden. Das Land stellte mehr Personal für den Geheimdienst PST ein und setzt auf Kameraüberwachungssysteme. Nach dem Kopenhagener Schusswaffenterror 2015 mit zwei Toten und fünf Verletzten wurde der Etat im Kampf gegen Extremisten nochmals hochgeschraubt – umgerechnet 130 Millionen Euro für vier Jahre.

    In Schweden sollen nach dem Lkw-Terroranschlag in der Hauptstadt Stockholm im April mögliche Anschlagsziele mit Fahrzeugsperren versehen werden. Ferner ist geplant, die Kameraüberwachung in Städten zu erhöhen. Die Polizei erhielt zusätzliche 42 Millionen Euro. Das Migrationsamt, das alle neu ankommenden Flüchtlinge interviewt, und die Sicherheitspolizei Säpo sollen ihren Informationsaustausch deutlich verbessern. Auch sollen potenzielle Gefährder mit elektronischen Fußfesseln überwacht werden können. Finnland erlebte am Freitag mit dem Messerattentat seinen ersten islamistischen Anschlag überhaupt. Die Polizeipräsenz wurde landesweit erhöht. Die Regierung will im Herbst ein „Nachrichtengesetz“ über eine Grundgesetzänderung durchsetzen, welches den Sicherheitskräften weitgehend das Abhören der gesamten Internetkommunikation in Finnland und auch im Ausland erlaubt.

    Bei diesen fünf Attacken haben islamistische Terroristen Fahrzeuge als Waffe benutzt

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      Deutschland

      Auch die Bundesregierung schnürte als Reaktion auf die Anschläge in Europa mehrere Anti-Terror-Pakete: Der Verfassungsschutz kann mit Partnerdiensten insbesondere der EU und der Nato gemeinsame Dateien anlegen, um Erkenntnisse über verdächtige Personen zu teilen. Der deutsche Inlandsgeheimdienst darf sogar 14-Jährige abhören, sogenannte Gefährder sollen per elektronischer Fußfessel überwacht werden. Die Bundespolizei setzt verdeckte Ermittler schon zur Gefahrenabwehr und nicht erst zur Strafverfolgung ein.

      Auch das Bundeskriminalamt ist mit der Terrorabwehr betraut und kann Verdächtige in ihrer Wohnung per Video überwachen. Das Bundesverfassungsgericht mahnte jedoch strengere Vorgaben für die Kriminalbeamten an – Kontrollen, Protokollierung und Berichte im Parlament. Überwachungsmaßnahmen müssten strikt verhältnismäßig sein. All das kostet Personal – mit mehreren Tausend Beamten stockten Bund und Länder die Ressourcen für die Sicherheitsbehörden auf. Doch der Anschlag des Berlin Attentäters Anis Amri zeigt: Bei der Zusammenarbeit der fast 40 Ämter in Bund und Ländern hakt es noch immer. Mehrfach war der Fall Amri auf der Agenda im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) in Berlin – und nichts passierte. Bis zum Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz.

      Belgien

      Ein Anschlag mit 31 Opfern erschütterte im März 2016 den Brüsseler Flughafen Zaventem und die U-Bahnstation Maelbeek im Zentrum der belgischen Hauptstadt. Dort wie bei den Anschlägen von Paris führte die Spur ins Brüsseler Pro­blemviertel Molenbeek. Mit schärferen Gesetzen versucht die belgische Regierung seither der terroristischen Bedrohung Herr zu werden. Bereits seit Anfang 2015 patrouillieren schwerbewaffnete Soldaten an möglichen Anschlagszielen wie Bahnhöfen oder großen Plätzen. Ohne Sicherheitscheck darf niemand mehr das Flughafengebäude betreten. Rund 1000 zusätzliche Polizisten sollen die Überwachung potenzieller Dschihadisten verbessern. Zur Überprüfung von Meldedaten kontrollierten die Behörden 100.000 Brüsseler Wohnungen. Die Untersuchungshaft für mutmaßliche Dschihadisten wurde auf bis zu 72 Stunden ausgeweitet.

      Osteuropa

      Schon früh und sehr weitgehend verabschiedeten die Regierungen in Osteuropa neue Anti-Terror-Gesetze: darunter Ungarn, Polen und die Slowakei. Ausgerechnet dort, wo es in den vergangenen Jahrzehnten keine Terroranschläge gegeben hat. Polen war der erste EU-Staat, der eine gezielte Abschaltung der Telekommunikation durch die Polizei möglich machte. Tschechiens Regierung lockerte das ohnehin schon liberale Waffengesetz: Jeder Bürger soll sich im Notfall selbst gegen Terroristen verteidigen können. Vor allem Ungarns rechtsnationale Regierung hat seine scharfen Asylgesetze wie etwa Internierungslager an der Grenze auch mit dem Kampf gegen Terrorismus gerechtfertigt. Kritiker in mehreren osteuropäischen Staaten sagen, dass mit den Maßnahmen gegen mutmaßliche Terroristen auch gegen unliebsame politische Gegner und Radikale in der Opposition vorgegangen werden soll.