Berlin. Bisher stimmten Deutschtürken vorwiegend für die SPD, Spätaussiedler für die Union. Bei der Bundestagswahl 2017 dürfte sich das ändern.

Knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl hängen bundesweit die Laternenmasten voller Wahlplakate. Gefordert wird mehr soziale Gerechtigkeit oder innere Sicherheit, bessere Bildung oder Gleichstellung. Keine Rolle spielt darauf der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan – dabei dürfte auch der Streit zwischen ihm und der Bundesregierung den Wahlausgang beeinflussen.

Bei der Bundestagswahl am 24. September können 6,29 Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund ihre Stimme abgeben – jeder zehnte Wahlberechtigte. Für die Parteien sind sie wichtige Wähler. Doch bei zwei der größten Migrantengruppen zeichnet sich ein Trend ab: Sowohl Deutschtürken als auch Russlanddeutsche wenden sich von den etablierten Parteien ab.

Bis zu 70 Prozent der Deutschtürken wählte früher SPD

Im Fall der Deutschtürken liegt das auch an der Armenienresolution des Bundestages, der die Ermordung von Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord einstufte. „Die Armenienresolution und die weiteren Diskussionen über die Türkei seitdem haben viele Türkeistämmige gegen die deutschen Parteien aufgebracht“, sagt der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu. Bei vielen der etwa 727.000 Wahlberechtigten mit türkischen Wurzeln zeichne sich ab, dass sie nicht wählen werden.

Die Plakate der Parteien im Bundestag

Ohne Plakate kein Wahlkampf. Die im Bundestag vertretenen Parteien haben ihre Großplakate vorgestellt. Überraschendes gibt es kaum. CDU-Generalsekretär Peter Tauber stellt natürlich auch die Kanzlerin Angela Merkel in den Vordergrund.
Ohne Plakate kein Wahlkampf. Die im Bundestag vertretenen Parteien haben ihre Großplakate vorgestellt. Überraschendes gibt es kaum. CDU-Generalsekretär Peter Tauber stellt natürlich auch die Kanzlerin Angela Merkel in den Vordergrund. © imago/Metodi Popow | M. Popow
„Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ lautet das Leitmotiv der CDU-Kampagne.
„Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ lautet das Leitmotiv der CDU-Kampagne. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Das Versprechen von „Sicherheit und Ordnung“ spricht die Kern-Klientel der Union an.
Das Versprechen von „Sicherheit und Ordnung“ spricht die Kern-Klientel der Union an. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Auf allen Plakaten der CDU ist die Farbkombination schwarz-rot-gold zu finden.
Auf allen Plakaten der CDU ist die Farbkombination schwarz-rot-gold zu finden. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Erstmals präsentiert die CDU auch ein eigenes Motiv zu Europa.
Erstmals präsentiert die CDU auch ein eigenes Motiv zu Europa. © imago/Metodi Popow | M. Popow
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil setzt ebenfalls auf Großplakate – etwa zum Thema Start-up-Gründer.
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil setzt ebenfalls auf Großplakate – etwa zum Thema Start-up-Gründer. © dpa | Kay Nietfeld
Schreien dürfen auf den SPD-Plakaten nur die Kinder.
Schreien dürfen auf den SPD-Plakaten nur die Kinder. © dpa | Kay Nietfeld
Und natürlich darf bei der SPD der Kanzlerkandidat Martin Schulz nicht fehlen.
Und natürlich darf bei der SPD der Kanzlerkandidat Martin Schulz nicht fehlen. © dpa | Kay Nietfeld
Diese Optik, die SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zeigte, soll wohl ausdrücken: Deutschland im Zeichen von Martin Schulz.
Diese Optik, die SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zeigte, soll wohl ausdrücken: Deutschland im Zeichen von Martin Schulz. © dpa | Kay Nietfeld
Die Grünen stellen wieder ihre Kernkompetenz Umwelt- und Klimapolitik ins Zentrum der Wahlkampagne.
Die Grünen stellen wieder ihre Kernkompetenz Umwelt- und Klimapolitik ins Zentrum der Wahlkampagne. © dpa | Soeren Stache
Die Zukunft wollen und machen – auch dies ein grünes Motto zur Bundestagswahl.
Die Zukunft wollen und machen – auch dies ein grünes Motto zur Bundestagswahl. © dpa | Soeren Stache
Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt enthüllte ein Plakat ihres Co-Frontmannes Cem Özdemir...
Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt enthüllte ein Plakat ihres Co-Frontmannes Cem Özdemir... © dpa | Soeren Stache
... und Cem Özdemir revanchierte sich mit dem Plakat einer hemdsärmeligen Göring-Eckardt.
... und Cem Özdemir revanchierte sich mit dem Plakat einer hemdsärmeligen Göring-Eckardt. © dpa | Soeren Stache
Etwas verwirrend kommt das Großplakat der Linkspartei daher. Was ist da jetzt durchgestrichen, und was gilt?
Etwas verwirrend kommt das Großplakat der Linkspartei daher. Was ist da jetzt durchgestrichen, und was gilt? © dpa | Gregor Fischer
Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion und Spitzenkandidat der Partei Die Linke, Dietmar Bartsch (l.), und Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn lösten es auf: Der Wähler soll „Lust auf Linke“ bekommen.
Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion und Spitzenkandidat der Partei Die Linke, Dietmar Bartsch (l.), und Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn lösten es auf: Der Wähler soll „Lust auf Linke“ bekommen. © dpa | Gregor Fischer
An Köpfen für die Plakate fehlt es der Linkspartei jedenfalls nicht.
An Köpfen für die Plakate fehlt es der Linkspartei jedenfalls nicht. © dpa | Gregor Fischer
Auf einem Plakat wendet sich dien Linkspartei explizit gegen rechtsextreme Parolen.
Auf einem Plakat wendet sich dien Linkspartei explizit gegen rechtsextreme Parolen. © dpa | Gregor Fischer
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Schaden dürfte das vor allem der SPD. „Als Arbeitsmigranten wählten viele Türkeistämmige in Deutschland die SPD“, erklärt der Meinungsforscher Joachim Schulte. Das brachte ihr die Stimmen von bis zu 70 Prozent der Deutsch-türken ein. Eine Studie von Schultes Kommunikationsagentur „DATA4U“ zur politischen Einstellung von Migranten in Bayern zeigt für Deutschtürken andere Ergebnisse: Sie „stimmen aktuell mit allen Parteien besonders wenig überein“.

Auch die Grünen verlieren Stimmen

Viele nähmen die deutsche Politik nur über AKP-nahe türkische Medien wahr, sagt Schulte. „Sie haben daher kaum mehr Vertrauen in das deutsche Parteiensystem.“ Zwar gehe die Tendenz unter Deutschtürken nach wie vor zur SPD, so Schulte. „Doch sie wird in dieser Gruppe deutlich weniger Stimmen holen als in der Vergangenheit.“

Das sind die Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl 2017

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    Sie habe aber auch Dinge verarbeitet, die sie auf der Straße gefunden habe. © Maria von Bolla | Maria von Bolla
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    Mit den Motiven sieht Maria von Bolla das Versprechen von Martin Sonneborn eingelöst: reiner Sex-Wahlkampf, der an Primitivität und Plakativität nicht zu überbieten ist. © Maria von Bolla | Maria von Bolla
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    Davon kann heute keine Rede mehr sein. Laut einer Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration zeigt sich unter Russlanddeutschen „ein regelrechter Einbruch“ in der Zustimmung zur Union. In der Umfrage lag sie zwar immer noch bei 45 Prozent, „der Anteil ist aber deutlich geringer als in allen früheren Befragungen“, heißt es. Und er dürfte weiter sinken. Immer mehr Spätaussiedler sehen ihre politische Heimat rechts von der Union in der AfD.

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    Bei den Landtagswahlen in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg erzielte die Partei in den Wahlkreisen, wo besonders viele Ex-Sowjetbürger leben, die höchsten Ergebnisse, mancherorts mehr als 40 Prozent. „Unter den Russlanddeutschen gibt es eine stärkere Neigung zur AfD“, sagt der Kölner Sozialwissenschaftler Dennis Spies. „Ich schätze diese auf bis zu 20 Prozent.“

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      Mit seinem Duisburger Kollegen Achim Görres untersucht Spies das Wahlverhalten von Migranten. Wie die Rechtspopulisten teilten die Spätaussiedler traditionelle Werte. „Viele Russlanddeutsche sind sehr konservativ“, sagt Spies. Für Spätaussiedler aus Russland spiele auch der russlandfreundliche Kurs der AfD eine Rolle, sagt er. Nicht zuletzt habe die Flüchtlingskrise die Russlanddeutschen zur AfD getrieben.