Berlin. Die insolvente Fluglinie Air Berlin soll möglichst schnell zerschlagen werden. Verkehrsminister Dobrindt fährt dabei einen Solokurs.

Nur zwei Tage nach der Insolvenz von Air Berlin hat der Poker um die Aufspaltung der Fluggesellschaft begonnen. Der Chef von Deutschlands zweitgrößter Airline, Thomas Winkelmann, verhandelt derzeit neben Lufthansa mit zwei weiteren börsennotierten Rivalen über eine Übernahme von Teilen von Air Berlin und ihrer österreichischen Tochter Niki. Namen wollte er nicht nennen. In der Branche werden Easyjet, TUIfly und Thomas Cook (Condor) als Interessenten gehandelt.

Lufthansa als deutscher Marktführer erhält unterdessen kräftigen Rückenwind vom Bundesverkehrsminister. So hat sich Alexander Dobrindt (CSU) überraschend deutlich für eine nationale Lösung ausgesprochen. „Wir brauchen einen deutschen Champion im internationalen Luftverkehr“, sagte der CSU-Politiker der „Rheinischen Post“. „Deswegen ist es dringend geboten, dass Lufthansa wesentliche Teile von Air Berlin übernehmen kann.“

Wirtschaftsministerium geht auf Distanz

Mit seiner Position, die aus kartellrechtlicher Sicht umstritten ist, steht Dobrindt in der Bundesregierung jedoch eher alleine da – und erfährt Gegenwind aus dem Bundeswirtschaftsministerium. „Es ist völlig klar, dass eine Übernahme von Air Berlin durch eine einzige Airline nicht kommen wird“, sagte Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig (SPD) der Berliner Morgenpost. „Das ist aus kartellrechtlichen und wettbewerblichen Gründen notwendig und richtig.“

Zuvor hatte bereits der Chef der Monopolkommission, Achim Wambach, darauf hingewiesen, dass Air Berlin und Lufthansa auf vielen Flugstrecken direkte Konkurrenten sind und damit eine Übernahme nicht unproblematisch ist. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir lehnt eine Bevorzugung von Lufthansa ab: „Im Interesse der Fluggäste braucht es zukünftig fairen Wettbewerb und kein Quasi-Monopol bei nationalen Flügen.“ Vielmehr müsse schnell eine privatwirtschaftliche Lösung gefunden werden, die möglichst viele der 8600 Arbeitsplätze bei Air Berlin und den Wettbewerb im Flugverkehr sichere.

150 Millionen Euro großer Überbrückungskredit

Air Berlin und die Bundesregierung sind an einer schnellen Lösung interessiert. „Alle Beteiligten sind jetzt dazu aufgerufen, zügig, aber gewissenhaft zu verhandeln“, sagte Machnig. Die Bundesregierung hat Air Berlin einen 150 Millionen Euro großen Überbrückungskredit gewährt, damit der Flugbetrieb möglichst bis Ende November aufrecht erhalten werden kann. Aktuell fliegen täglich rund 80.000 Menschen mit Air Berlin. Staatssekretär Machnig geht davon aus, dass diese staatliche Millionen-Beihilfe von den Wettbewerbshütern der EU-Kommission akzeptiert werde, ebenso wie der Verkauf.

Je größer die Teile sind, in die Air Berlin zerschlagen werde, desto größer sei die Chance, dass sich Brüssel für zuständig erkläre und die Entscheidung nicht dem Bundeskartellamt überlassen werde. Die konkreten Verhandlung sollen bereits am Wochenende beginnen. Am Tisch sitzen der Air Berlin-Vorstand und der Sachverwalter Lucas Flöther. Lufthansa will offenbar rund 90 der insgesamt 140 Flugzeuge von Air Berlin übernehmen, darunter auch die Firmentochter Niki, berichten Insider. Diese sollten unter der Lufthansa-Billigmarke Eurowings weiterbetrieben werden.

Keinen Druck von Verhandlungspartnern nehmen

Dazu zählten laut „Süddeutscher Zeitung“ auch die 38 Maschinen, die Lufthansa schon vor einigen Monaten von Air Berlin samt Besatzungen gemietet hat. Wenn alles reibungslos verlaufe, könnte Air Berlin bereits im September und nicht erst im November zerlegt werden. Im Berliner Senat verfolgt man die Entwicklungen derweil aufmerksam, aber passiv. So wird zwar beraten, welche Unterstützung man Air Berlin zuteil kommen lassen könnte. Dies hänge aber davon ab, wie sich die Prozesse um die Übernahme gestalteten, hieß es in der Senatskanzlei. Offenbar will das Land zunächst keine konkreten Schritte ankündigen, um keinen Druck von den Verhandlungspartnern zu nehmen, gerade, was den Erhalt von Arbeitsplätzen betrifft.

Verwirrung herrscht im Senat darüber, dass Air Berlin-Chef Winkelmann im Juni einen Antrag auf eine Bürgschaft zurückgezogen und später im Gespräch mit Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) erklärt hatte, alles laufe in die richtigen Bahnen. Auch wurde die Berliner Senatskanzlei erst am Dienstag, dem Tag des Insolvenzantrags, von der Pleite informiert – während Bundesregierung und Air Berlin bereits am Wochenende über den Überbrückungskredit beraten hatten.

Verdi befürchtet Lohnverluste von bis zu 50 Prozent

Wegen der Pleite sind auch in der Hauptstadt etliche Arbeitsplätze gefährdet. Die Gewerkschaft Verdi fürchtet, dass die Interessenten nur die Flugzeuge kaufen wollen und die mehr als 8000 Beschäftigten, von denen ein Drittel in Berlin arbeitet, sich neu bewerben müssen. „Dann wären Lohnverluste von bis zu 50 Prozent zu befürchten“, sagte Bundesvorstandsmitglied Christine Behle nach einem Gespräch mit Air-Berlin-Personalchefin Martina Niemann. „Diese Perspektive hat uns ziemlich geschockt.“ Verdi fordert, dass die Beschäftigten zu fairen Konditionen übernommen werden. Als besonders gefährdet gelten Stellen am Boden, also bei der Verwaltung oder in der Flugplanung.

Ob die Gehälter, wie von Winkelmann versprochen, bis Oktober gezahlt werden können, hängt auch von der Zahl der gebuchten Tickets ab. Als sicher gilt, dass die Buchungen zurückgehen, genauere Angaben wollte Air Berlin am Donnerstag auf Nachfrage nicht machen. Das Problem: Kein Fluggast weiß, ob ein gebuchtes Ticket bei der Airline auch für Dezember oder im nächsten Jahr gültig ist. Selbst Lufthansa will im Falle einer Teilübernahme von Air Berlin keine Garantie für alle Buchungen der Fluglinie übernehmen, berichtet ein Insider.

Auswirkungen auf Pauschalurlauber

Das Fluggastrechte-Portal Flightright forderte in einem offenen Brief an die Bundesregierung, dass der Brückenkredit des Bundes auch die Ansprüche der Air-Berlin-Kunden umfassen müsse. Auswirkungen hat die Insolvenz auch auf Pauschalurlauber. Denn die Reiseveranstalter haben ihre Pakete häufig mit Flügen von Air Berlin geschnürt. Was in drei Monaten und später aus einzelnen Strecken wird, ist aber völlig offen.

Klar ist: Wenn ein Air Berlin-Flug wegfällt, muss der Veranstalter den Urlauber auf einen anderen Flug umbuchen. Dadurch können sich die Flugzeiten empfindlich ändern und Zeit am Urlaubsort verloren gehen. Unter Umständen können Urlauber Geld zurückverlangen. Doch die Rechte sind im Einzelfall noch umfassender. Ein Urteil des Amtsgerichts Köln zeigt: Wenn ein Reiseveranstalter den Rückflug in die Nacht vorverlegt, kann der Urlauber vor Reisebeginn den Vertrag ohne Stornogebühren kündigen.

Veranstalter informieren über Flugzeitänderungen

Die meisten Pauschalreisenden dürften allerdings ein Interesse daran haben, irgendwie doch in den Urlaub zu kommen. Aber die Kunden sind durch die Air Berlin-Insolvenz alarmiert. „Es gibt eine leichte Panik“, sagte Timo Kohlenberg, Geschäftsführer des Veranstalters America Unlimited. „Die Kunden, die einen Air-Berlin-Flug haben, rufen reihenweise an.“

Alle großen deutschen Veranstalter wollen ihre Kunden frühzeitig über Flugzeitänderungen informieren. Pauschalurlauber mit Air-Berlin-Flug sollten sich aber darauf einstellen, dass ihre Hin- und Rückreise anders verlaufen wird als geplant. Denn wer wird jetzt noch auf die Krisen-Airline setzen? Es sei sehr unwahrscheinlich, dass irgendein Reiseveranstalter Air Berlin für seine Pauschalreisen in diesem Winter oder dem nächsten Sommer einplanen will, schreibt Luftfahrt-Experte Daniel Roeska vom Analysehaus Bernstein.