Köln. Ein erfundenes Schreiben soll offenbar Empörung schüren: Es erweckt den Eindruck von Sonderregeln für Straftaten von Migranten.

Innenministerium in NRW und Polizeibehörden im Kampf gegen eine gefälschte Verordnung zur Kriminalität von Ausländern: Ein Papier, das unter anderem die aus der CDU ausgetretene Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach sowie mehrere AfD-Politiker in sozialen Netzwerken geteilt hatten, fand am Dienstagabend dort rasant Verbreitung. Das NRW-Innenministerium sowie verschiedene Polizeidienststellen twitterten das Dokument danach selbst – mit dem Hinweis, dass es sich um eine Fälschung handele.

Auf homment.com, einer Plattform für anonymes Veröffentlichen, war am Dienstag ein frei erfundenes dreiseitiges Schreiben aufgetaucht. Angeblicher Absender laut Briefkopf: der CDU-Innenminister Herbert Reul. Dazu fand sich die Geschichte eines angeblichen Kölner Polizisten, die die Echtheit untermauern sollte.

Steinbach ignorierte Fehler

In der angeblich bis Ende Oktober geltenden Verordnung fand sich etwa die Anweisung, Protokolle mit Bleistift auszufüllen, um sie später im Sinne der Behördenleitung zu korrigieren. Verbrechen von „Flüchtlingen, Asylbewerbern oder Menschen mit Migrationshintergrund“ sollten nicht registriert werden. Wer das nicht beachte, riskiere eine „strenge Rüge mit Verwarnung und sogar Dienstentlassung“.

Erika Steinbach, im Wahlkampf für die AfD aktive frühere CDU-Politikerin, sprach von einem „Verbrechen am Rechtsstaat, sollte das zutreffen“. Und um den möglichen Wahrheitsgehalt zu untermauern, raunte sie im Tweet: „Mündlich habe ich desgleichen unter der Hand von hessischen Polizisten gehört.“

Nach 27 Jahren im Bundestag müsste sie aber wissen, dass das Schreiben niemals echt sein kann. Gravierende formale Punkte stimmten nicht, inhaltlich und sprachlich fanden sich dilettantische Fehler - und die Vorstellung eines solchen schriftlichen Dokuments aus einem Ministerium an sich ist absurd: Der Skandal wäre programmiert.

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Nutzer kündigen Anzeigen an

Auf Nachfrage erklärte sie zunächst, sie sei „skeptisch“. Das hatte sie aber nicht am Verbreiten gehindert. Auch aus Reihen von AfD-Anhängern wurde Steinbach kritisiert. Sie selbst ließ auch nach dem klaren Dementi noch Restzweifel offen. Es „soll“ ein Fälschung sein, schrieb sie am Dienstag, ohne ihren ursprünglichen und hundertfach geteilten Tweet zu löschen. Am Mittwoch löschte sie ihn schließlich doch mit der Behauptung, sie habe nie etwas anderes behauptet, als dass es eine Fälschung sei. Das NRW-Innenministerium wollte ihr Verhalten nicht kommentieren.

Einzelne Nutzer kündigten in sozialen Netzwerken und unter dem Beitrag Anzeigen gegen den Urheber an. Sie recherchierten die Information, dass die Seite, auf der die Fälschung veröffentlicht wurde, auf den Journalisten Michael Mross registriert ist, den „FAZ“ und „Spiegel online“ wegen seiner Hauptseite mmnews.de in Texten zum „Geschäft mit Verschwörungstheorien prominent aufgeführt hatten. Auf der Seite homment.com kann aber jeder veröffentlichen, ohne zumindest seinen Namen oder eine Adresse anzugeben.

Nach vier Stunden bei Twitter und Facebook

Die Spur verliert sich bei einem Facebook-Nutzer Gottfried T., Mitglied in zahlreichen russlandfreundlichen und AfD-Gruppen. Sowohl auf Twitter wie auch auf Facebook stammt das jeweils erste öffentlich auffindbare Posting von ihm. Allerdings war der Beitrag des angeblichen Polizisten bereits vier Stunden auf homment.com online, als Gottfriedt T. ihn um 15.20 Uhr postete. Auf Anfrage unserer Redaktion erklärte er, den Beitrag zufällig gesehen zu haben. Das ist gut möglich, homment.com zeigt eine Übersicht der neuesten Beiträge an. Er kenne „Niklas Pfeifer“ nicht. T. löschte seinen Beitrag dann.

Gottfriedt T. hat homment.com bereits 2015 rege genutzt. Er wirkte dabei getrieben von der Sorgen, Wahlumfragen und Wahlen könnten zu Lasten der AfD gefälscht werden. Auf Anfragen unserer Redaktion aus der Nacht per Mail und über Facebook hat er bisher nicht reagiert.

Minister: „Geistige Brandstifter machen dreist Stimmung“

Er wird in dem gefälschten Brief als Absender genannt: Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) spricht von einer „perfiden Fälschung“ zur dreisten Stimmungsmache.
Er wird in dem gefälschten Brief als Absender genannt: Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) spricht von einer „perfiden Fälschung“ zur dreisten Stimmungsmache. © dpa | Federico Gambarini

Am Mittwoch sah sich auch Innenminister Herbert Reul selbst zu einer Klarstellung auf Facebook genötigt, in der er das Schreiben als dreiste Fälschung bezeichnete. In einer Pressemitteilung legt er nach: „Diese perfide Fälschung führt uns erneut vor Augen, wie dreist geistige Brandstifter Stimmung gegen Ausländer machen.“ Der Zeitpunkt der Veröffentlichung knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl sei dabei vermutlich kein Zufall. Er könne die Bürger „nur bitten, auf derartige Propaganda nicht hereinzufallen und bei angeblichen Nachrichten in Sozialen Netzwerken kritisch zu sein.“

Nach Darstellung seines Ministeriums hat der Staatsschutz Polizei Ermittlungen aufgenommen. „Es steckt ja mindestens Urkundenfälschung dahinter“, sagte ein Sprecher zu unserer Redaktion. Das Ministerium hatte schon am Abend klar gestellt: „Die Polizei handelt nach Recht und Gesetz.“ Das mache man „auf allen Kanälen, die uns zur Verfügung stehen“ deutlich, so der Sprecher. „Wir mussten darauf reagieren und klarstellen, dass jemand, der das teilt, in einer ganz falschen Richtung unterwegs ist.“

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Polizei Köln hatte 2016 viel Vertrauen verspielt

Allerdings gab es in der Vergangenheit Fälle, die eine Steilvorlage für solche Fälschungen und Nährboden für Verschwörungstheorien sind: So hatten die „Kieler Nachrichten“ Anfang 2016 über eine Regelung bei der Polizeidirektion Kiel berichtet, Migranten ohne Ausweispapiere oder behördliche Registrierung bei „einfachen/niedrigschwelligen Delikten“ wie Ladendiebstahl und Sachbeschädigung regelmäßig nicht strafrechtlich zu verfolgen: Ladendiebstahl ohne Strafe. Der Fall hatte für einen Skandal gesorgt, auch Schleswig-Holsteins damaliger SPD-Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hatte die Praxis gerügt.

Und bei der Polizei Köln hatte dem Jahreswechsel 2015/2016 sogar der Polizeipräsident gehen müssen, weil die Polizei die Übergriffe vor allem von Nordafrikanern vor allem auf Frauen lange kleingeredet und abgestritten hatte. Es gibt auch Berichte von Polizisten über ein Klima, Interpretationsspielräume zu nutzen, um keine Ängste zu schüren – oder dafür Populisten die Vorlage zu liefern. Das ist Welten entfernt von der absurden Ministerverordnung, wird aber auch von Polizeigewerkschaftlern kritisiert, weil sie einen Vertrauensverlust fürchten.