Berlin. Merkel ist zurück aus dem Urlaub und startet den Wahlkampf. Keine Angriffsfläche gegenüber der SPD zu bieten, ist schon der halbe Sieg.
Ihr Kalkül ist aufgegangen. Angela Merkel hat darauf spekuliert, dass die Deutschen im Sommer in Urlaub sind und nicht mit Politik behelligt werden wollen. Gut sechs Wochen vor der Bundestagswahl am 24. September hat sich die erste Urlauberin im Land am Freitag zurückgemeldet und wird sich am Samstag in den Parteienstreit stürzen. Sie hatte von Anfang an vorgehabt, den Schlagabtausch auf ein paar Wochen zu verdichten. Ein Quantum Wahlkampf.
Schlagabtausch? Haben wir tatsächlich Schlagabtausch geschrieben? Das beschreibt vielleicht den Traum ihres Herausforderers Martin Schulz von der SPD, aber auf den Wahlkampf der CDU-Chefin trifft es nicht zu. Sie wird durch das Land reisen, große Schärfen vermeiden und Hof halten. Programmatisch hat die CDU die Differenzen verwischt, machtpolitisch ist die Ausgangslage wie geschaffen für die Amtsinhaberin: Ihr Rivale ist ihr Koalitionspartner und auch ein überzeugter Europäer wie sie. Es lebe der kleine Unterschied, denn größere Differenzen sind einfach nicht mehr drin.
CDU steht für Kontrolle über das Geld und für Sicherheit
Wie die aktuelle Umfrage unserer Redaktion über die Arbeit von Merkels Kabinett zeigt, hat sich die Prioritätensetzung der Union ausgezahlt. Die besten Werte aus ihren Reihen weisen neben der Kanzlerin die Minister für Finanzen und Inneres auf. Das entspricht den Kernkompetenzen der Christdemokraten: die Kontrolle über das Geld und das Versprechen von Sicherheit. Letzteres ist so selbstverständlich nicht, die Union war im Zuge der Flüchtlingskrise drauf und dran, hier unglaubwürdig zu werden.
Das ist das aktuelle Bundeskabinett
Was im Gegenzug bei der SPD auffällt, ist der nüchterne Blick ihrer Anhänger. Sie beurteilen ihre Minister positiv, aber nicht überschwänglich. Kein SPD-Minister kommt auch nur im Entferntesten an die Zustimmung der Union zu Merkel heran, die bei 91 Prozent liegt. Die SPD hat eine wichtige Lektion verlernt: Wer anderen imponieren will, muss sich selbst imponieren.
Die Sozialdemokraten haben vier Jahre lang bis zum letzten Tag der gemeinsamen Regierung mit Merkel ein Identifikationsproblem in der Großen Koalition und glauben immer weniger der eigenen Erzählung, wonach ihre Minister die besten im Kabinett seien. Sie haben durchaus keinen schlechten Job gemacht, allen voran Steinmeier, Nahles, Schwesig. Sie waren nicht schlechter als die Wankas und Dobrindts bei der Union. Aber sie haben ihre Ernte verfrüht eingefahren, den Mindestlohn – immerhin ein Kernversprechen – gleich zum 1. Januar 2015.
Die SPD schleppte sich von Sieg zu Sieg
Andere Erfolge erwiesen sich als freudlos, weil Merkel Felder kampflos abgegeben hat: Soll doch ein Sozialdemokrat Bundespräsident werden, bitte! Machen wir die „Ehe für alle“ zur Gewissensfrage, auch gut! So ließ sie ihren Hauptgegner immer wieder ins Leere laufen, die SPD schleppte sich von Sieg zu Sieg. Die Methode Merkel ist speziell. Am ehesten noch erinnert sie an japanische Kampfsportarten, bei denen man die Angriffswucht des Gegners ableitet, die Kraft gegen ihn wendet.
In ihrer eigenen Partei wagt sich kein Konkurrent mehr auf die Lichtung. Als „Kanzlerin der Reserve“ galt lange Zeit Ursula von der Leyen. Wenn man das Votum der Deutschen vier Jahre später ernst nimmt, liegt die Betonung eher auf Reserve als auf Kanzlerin. Die Abhängigkeit der Verteidigungsministerin von Merkel ist heute größer als vor vier Jahren. Inzwischen ist sie zwölf Jahre im Amt, und bald wird man es für ein Naturgesetz halten, dass die Kanzlerin Merkel heißt. Ihre frühere Ministerin Kristina Schröder hat neulich vorgeschlagen, die Amtszeit von Bundeskanzlern gesetzlich zu begrenzen. Auf die Wähler ist in dieser Beziehung kein Verlass. Aber das sagte Schröder nicht.