Essen. Der Vater der in der Türkei inhaftierten Journalistin spricht über die Verhaftung seiner Tochter. Tolu drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Die Sonne war über Istanbul noch nicht aufgegangen, als um halb fünf am Morgen des 1. Mai eine Anti-Terror-Einheit der türkischen Polizei die Wohnung von Mesale Tolu stürmte. Die deutsche Journalistin war allein mit ihrem zweieinhalb Jahre alten Sohn in der Wohnung.

„Bei der Festnahme hat die Polizei mit schweren Waffen das Haus angegriffen, Türen aufgebrochen und meine Tochter mit dem Gesicht auf den Boden gedrückt. Sie legten ihr Handschellen an. Mein Enkelkind hat geweint und sie haben es mit der Waffenspitze auf die Seite geschoben“, berichtet Ali Riza Tolu, Vater der inhaftierten Journalistin, gegenüber der ARD. Als die Polizei Tolu abführte, habe sie den kleinen Serkan einfach bei einem Nachbarn zurückgelassen, sagt ihr Vater und fügt hinzu: „Ich vermisse meinen Enkel so sehr.“

Kind wollte unbedingt zu seiner Mutter

Vor 43 Jahren zog der Automechaniker Ali Riza Tolu nach Ulm, wo 1984 auch seine Tochter Mesale geboren wurde. Nun lebt er in ihrer Wohnung in Istanbul, fährt jeden Montag ins Frauengefängnis, wo er seine Tochter und seinen Enkel 40 Minuten lang sehen darf. Denn Serkan verbringt die Tage zusammen mit seiner Mutter in einer Zelle, die sich die beiden mit einer anderen Frau teilen. Nach der Verhaftung kümmerte sich zunächst Ali Riza Tolu anderthalb Monate um seinen geliebten Enkel.

„In dieser Zeit fing Serkan an zu reden. Er vermisste seine Mutter so sehr“, erklärt Tolu. Er glaubt, dass sein Enkel traumatisiert ist. Die ersten Tage nach Mesales Verhaftung habe er oft geweint. „Er hat immer gefragt: ‘Wieso hat mich meine Mama verlassen?’ Immerzu hat er nach ihr gesucht. Deshalb habe ich ihn zu seiner Mutter ins Gefängnis gebracht.“ Aber es fühle sich an, als sei sein Enkel jetzt im Kindergefängnis, so Tolu.

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    „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“

    Offiziell wird Tolu Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen. Ihr Vater glaubt, dass seine Tochter festgenommen wurde, weil es der türkische Staat eigentlich auf ihren Mann abgesehen hat. Suat Corlu sitzt ebenfalls im Gefängnis, wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP). Er wurde am 5. April festgenommen.

    „Dann fand ich heraus, dass ihr vorgeworfen wird, Mitglied in einer terroristischen Organisation zu sein – und dass die Teilnahme an einer Beerdigung von MLKP-Leuten der Beweis dafür war“, sagte Ali Riza Tolu gegenüber der Zeitung „Welt“. „Sie ist eine freiberufliche Journalistin mit einem Presseausweis. Sie nahm an dieser Beerdigung als Journalistin teil. In dieser Akte gibt es keinerlei Beweise.“

    Auswärtiges Amt will Tolu-Prozess „sehr aufmerksam verfolgen“

    Das Auswärtige Amt will den Prozess gegen Tolu in der Türkei „sehr aufmerksam verfolgen“. „Wir setzen uns weiterhin nachdrücklich für eine Aufhebung der Untersuchungshaft und ein rechtsstaatliches Verfahren ein“, teilte das Bundesministerium mit. Man stehe in engem Kontakt zu Tolus Rechtsbeistand und den Angehörigen.

    Der Prozess soll nach Angaben des Solidaritätskreises „Freiheit für Mesale“ am 11. Oktober in der Türkei beginnen. Zuvor werde am 22. August ein Richter den Fall prüfen und entscheiden, ob Tolu eventuell vorübergehend auf freien Fuß gesetzt wird. Tolu soll gemeinsam mit 17 weiteren Journalisten, teils von der regierungskritischen Nachrichtenagentur Etkin News Agency (ETHA), vor Gericht gestellt werden.

    Auch Ali Riza Tolu wird den Prozess gegen seine Tochter vor Ort verfolgen. „Bevor meine Kinder nicht in Freiheit sind, werde ich die Türkei nicht verlassen.“

    35 Festnahmen von Journalisten angeordnet

    Unterdessen laufen in Istanbul erneut zahlreiche Festnahmen von türkischen Journalisten. Insgesamt sei die Festnahme von 35 Medienvertretern angeordnet worden, meldete der Sender CNN Türk am Donnerstag. Ein Redakteur der regierungskritischen Zeitung „Birgün“ sei unter den bereits Festgenommenen.

    Den Journalisten würden Verbindungen zur Bewegung um den Prediger Fethullah Gülen vorgeworfen, die die türkische Führung für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich macht. Laut CNN Türk werden sie beschuldigt, den Messenger-Dienst ByLock benutzt zu haben. Über den Dienst sollen Gülen-Anhänger unter anderem über die Vorbereitung des Putschversuchs kommuniziert haben. Die Gülen-Bewegung gilt in der Türkei als Terrororganisation.

    Dieser Text ist zuerst auf waz.de erschienen (mit dpa).