Berlin. SPD und Verteidigungsministerin von der Leyen streiten über den Anstieg der Militärausgaben. Die Ministerin will jedoch Wort halten.

Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und Fraktionschef Thomas Oppermann vermissen bei der Bundeswehr eine „verlässliche und vorausschauende politische Führung“. Die Soldaten empfänden es als „Bedrohung“, dass Ursula von der Leyen (CDU) Verteidigungsministerin bleiben wolle, erklärt das Duo dieser Redaktion und forderte eine Kurskorrektur.

Die Sozialdemokraten schießen sich auf die Inhaberin der Befehls-und Kommandogewalt ein. Außenpolitiker Niels Annen kritisiert, die Ministerin habe bei der Aufklärung interner Skandale „völlig versagt“. Noch vernichtender fällt das Urteil des Wehrexperten Rainer Arnold aus. Zwischen Dienstherrin und Truppe gebe es kein Vertrauensverhältnis, der Riss sei „nicht mehr kittbar“. Er ist überzeugt, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Wahlsieg für die Parteifreundin einen neuen Kabinettsposten suchen wird, um sie aus der Schusslinie zu nehmen.

Die SPD führt sie als Ankündigungsministerin vor

In der SPD kursiert eine vierseitige Liste zum Beleg dafür, dass von der Leyen bloß eine Ankündigungsministerin sei. Bei Amtsantritt habe sie eine Modernisierung aller Liegenschaften angekündigt, überall Internetanschlüsse und Wlan lautete die Losung. Tatsächlich aber verfügten darüber nur 200 Gebäude. Das Sturmgewehr G-36 galt als zu ungenau, es sollte ausgemustert werden und in der Bundeswehr „keine Zukunft mehr“ haben. In Wahrheit verzögert sich die Ausschreibung für ein Nachfolgemodell, und den Gerichtsprozess gegen den Hersteller Heckler&Koch hat von der Leyen verloren.

Zu allem Überfluss kommt das Oberndorfer Unternehmen in Frankreich zum Zuge: Das HK216 soll die neue Standardwaffe der Armee werden. Mit solchen Nebenschauplätzen halten sich Schulz und Oppermann nicht auf. In ihrer Analyse für diese Redaktion greifen sie drei Punkte heraus: Erstens die Verpflichtung, die jährlichen Ausgaben für die Bundeswehr von 1,2 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Das hatte die Regierung der Nato zugesagt und auf Druck von US-Präsident Donald Trump bestätigt – dazu steht der SPD-Teil der Koalition aber nicht mehr.

Aufbau der Europäischen Verteidigungsunion

Der Anstieg käme einer Verdoppelung der Ausgaben von 37 Milliarden Euro gleich. „Deutschland wäre dann mit Abstand die größte Militärmacht Europas. Das kann niemand wollen – allein aufgrund unserer Vergangenheit.“ Die bessere Alternative sei der Aufbau der Europäischen Verteidigungsunion. Ihnen gehe es um „bestmögliche Ausrüstung, nicht um größtmögliche Aufrüstung.“

Von der Leyen spricht von einer „Milchmädchenrechnung“. Die SPD lüge sich selbst in die Tasche, „wenn sie glaubt, dass Sicherheit in Europa billiger zu haben ist als unter dem Schutzdach der NATO“, erklärte sie dieser Redaktion. Sie kenne keinen europäischen Nachbarn, „der irgend etwas anderes erwartet, als dass Deutschland sein Versprechen hält“. Für sie geht es auch um eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Anschlag auf Asylbewerber geplant

Die Ausstattung – zweiter Kritikpunkt – befinde sich in einem „unverantwortlich schlechten Zustand“, so die SPD. Von der Leyen sagte dazu in einem Interview, sie habe sich bei Amtsantritt früher einen Überblick darüber gewünscht, wie ausgedünnt das Material und „wie wenig digital“ die Bundeswehr war. „Dann hätte ich früher mit der Agenda Rüstung, den Trendwenden Material, Personal und Finanzen begonnen.“

Die dritte, womöglich entscheidende Bruchlinie, die Schulz und Oppermann ausmachen, betrifft den Ruf der Bundeswehr. Das entscheidende Datum war der 30. April. Da erklärte von der Leyen im Fernsehen, „die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem, und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen.“ Anlass war, dass ein Oberleutnant namens Franco A. einen Anschlag auf Asylbewerber plante und in der Truppe toleriert worden war, obwohl er schon mit einer völkisch-rassistischen Masterarbeit negativ aufgefallen war. Es sei unverantwortlich, für das Fehlverhalten oder gar Straftaten Einzelner die gesamte Bundeswehr „über einen Kamm zu scheren und in Mithaftung zu nehmen“, meinen Schulz und Oppermann.

Schweres Amt für von der Leyen

„Wer eigentlich hat hier ein Haltungsproblem – die Bundeswehr oder ihre Chefin Ursula von der Leyen?“ Das Führungsduo der SPD weiß, dass es damit eine Stimmung trifft, die der Chef des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, Ende Juni der Ministerin unverblümt vorgehalten hat. Was sei es anderes als Führungsversagen, wenn man den Chefausbilder des Heeres feuere – und dieser aus der Presse davon erfahre? Wer habe ein Haltungsproblem: die pauschal angegriffene Bundeswehr oder die Ministerin, die sich öffentlich gegen sie stelle?

Von der Leyen spürt den Argwohn, nach vier Jahren ist es für sie keine Frage: „Es ist das schwerste Amt, das ich je inne hatte.“ Sie hat eine Modernisierungsoffensive gestartet, Jahr für Jahr mehr Gelder für den Militäraushalt ausgehandelt und sich in Europa engagiert. Das stellt nicht einmal Kritiker Arnold in Abrede: „Dahinter steht sie wirklich, das macht sie mit Herzblut.“