Istanbul. Bis zu 15 Jahre könnte Mesale Tolu in türkischer Haft bleiben müssen. Der Vorwurf: Terrorpropaganda. Wie Tolu ergeht es auch anderen.

Die in der Türkei inhaftierte deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu kann offenbar nicht auf eine baldige Freilassung hoffen. Ihr drohen nach Aussage ihrer Anwältin wegen „Terrorpropaganda“ und „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ bis zu 15 Haft, meldete die regierungskritische Nachrichtenagentur Etkin Haber Ajansi (Etha), für die Tolu Corlu früher gearbeitet hatte.

Der Prozess gegen die 33-jährige Deutsche soll im Oktober beginnen. Mesale Tolu Corlu lebte in Neu-Ulm und war am 30. April 2017 während eines etwa dreimonatigen Aufenthalts in der Türkei, wo sie als Journalistin und Übersetzerin arbeitete, von einer Antiterroreinheit der Polizei vor den Augen ihres zweijährigen Sohns festgenommen worden.

Völkerrechtswidriges Vorgehen der Türkei

Die Deutsche wurde zunächst ohne jeden Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Erst zehn Tage nach der Festnahme erschienen erste Berichte in deutschen Medien. Laut dem Auswärtigen Amt in Berlin hatte die Türkei völkerrechtswidrig die deutsche Regierung nicht über den Fall informiert. Erst nach zwei Monaten durften deutsche Diplomaten die Bundesbürgerin in der Haft besuchen.

In der Türkei sitzen mindestens neun Deutsche und Deutsch-Türken wegen angeblicher Terror-Vorwürfe in Untersuchungshaft. Sie kann nach türkischem Recht bis zu fünf Jahre dauern. Zu den prominentesten Häftlingen gehört der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Anders als Mesale Tolu Corlu, die nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, hat Yücel neben dem deutschen auch einen türkischen Pass. Ihm werden „Terrorpropaganda“ und „Aufwiegelung der Bevölkerung“ vorgeworfen.

Von der Verhaftung bis zu Freilassung – Deniz Yücels Weg in die Freiheit

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    Beschwerde vor dem EGMR

    Nachdem bisher alle Versuche scheiterten, seine Freilassung zu erreichen, hat der Verlag WeltN24 GmbH jetzt Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Der Verlag beanstande eine Verletzung seiner Presse- und Berichterstattungsfreiheit, berichtet die „Welt“. Die grundlose, mittlerweile ein halbes Jahr andauernde Inhaftierung des Welt-Korrespondenten mache „eine unmittelbare Vor-Ort-Berichterstattung aus der Türkei unmöglich“, hieß es zur Begründung der Beschwerde vom Freitag.

    Stephanie Caspar, Geschäftsführerin WeltN24, sprach von einem weiteren, wichtigen Schritt. Yücel selbst betreibt seit April ebenfalls ein Beschwerdeverfahren in Straßburg, im Juli hat der Gerichtshof die türkische Regierung zu einer Stellungnahme aufgefordert. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte im Juni gesagt, er setze auf eine schnelle Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofes – und dass diese dann auch für die Türkei eine gesichtswahrende Lösung sein könne.

    Erst am Freitag hatte ein Istanbuler Gericht einen Antrag auf Haftverschonung für den deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner abgelehnt. Der 46-Jährige muss damit weiter in Untersuchungshaft bleiben. Steudtner war am 5. Juli bei einem Seminar auf der Insel Büyükada gemeinsam mit neun anderen Menschenrechtlern festgenommen worden. Ihnen wird Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte Steudtner außerdem als deutschen „Spion“ bezeichnet.

    150.000 Festnahmen seit gescheitertem Putsch

    Terrorverdächtige müssen künftig in der Türkei Einheitskleidung tragen, wie im berüchtigten US-Gefangenenlager Guantanamo. Häftlinge, denen Verbindungen zur Bewegung des Exil-Predigers Fethullah Gülen und eine Beteiligung an dem Putschversuch vom Juli 2016 vorgeworfen werden, müssen braune Overalls tragen. Andere „Terrorverdächtige“ sollen ebenfalls braune Hosen und Jacken tragen. Das kündigte Staatschef Erdogan in einer Rede im südosttürkischen Malatya an. „Sie werden vor Gericht nicht mehr anziehen was sie wollen“, sagte Erdogan.

    Damit spielte der türkische Präsident auf den Fall eines Beschuldigten an, der vergangenen Monat in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Hero“ (Held) vor einem Untersuchungsrichter erschien. Seinerzeit hatte Erdogan angekündigt, die mutmaßlichen Putschisten sollten künftig Einheitskleidung „wie in Guantanamo“ tragen. „Wir werden kein Erbarmen mit Banditen zeigen“, sagte er in Malatya. Seit dem Umsturzversuch wurden rund 150.000 Menschen in Gewahrsam genommen. Von ihnen sitzen etwa 50.000 in Untersuchungshaft.