Berlin. Das rot-grüne Debakel in Niedersachsen trifft nicht nur Ministerpräsident Weil. Es verschlechtert auch die Aussichten von Martin Schulz.

Abgeordnete in deutschen Parlamenten sind frei gewählt. Und wie man nun weiß, sind sie auch frei darin, eine Landesregierung zu stürzen. Zwar sind der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und seine Minister noch im Amt, sie könnten auch als Minderheitsregierung bis zum geplanten Termin der Landtagswahl im Januar im Amt bleiben. Aber faktisch ist Rot-Grün seit Freitag am Ende. Von den eigenen Leuten kurz vor Ende einer Amtsperiode verlassen zu werden, ist eine Demütigung für Weil.

Damit nicht genug: Die Wellen dieses politischen Erdbebens sind bis nach Berlin zu spüren. Das Debakel in Hannover belastet SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz schwer. Seit er im Januar Kanzlerkandidat wurde, haben die Sozialdemokraten in den Ländern vier herbe Niederlagen erlitten: Im März gelang ihnen im Saarland nicht der Wechsel, im Mai wurden ihre Regierungschefs in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen aus dem Amt gewählt. Und nun hat sich die rot-grüne Koalition in Hannover selbst ein Bein gestellt. Das ist keine Werbung für die SPD, keine für die Grünen und auch nicht für Rot-Grün im Bund (wenn es denn dafür eine Mehrheit gäbe).

Keine gutes Zeichen für die niedersächsischen Grünen

Man weiß nicht, ob die grüne Abgeordnete Elke Twesten diese Folgen im Blick gehabt hat, als sie ihren Austritt aus Partei und Landtagsfraktion erklärte. Twesten war verärgert darüber, Ende Mai von ihrer Partei nicht wieder als Landtagskandidatin aufgestellt worden zu sein. Dass sie ihre Wut zwei Monate lang mit niemandem geteilt und dass sie zuvor niemand erkannt hat, sagt nichts Gutes über sie selbst und über die niedersächsischen Grünen. Ein Streit in einem Kreisverband darf nicht dazu führen, dass sich eine Koalition ohne Vorwarnung selbst in die Luft sprengt.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. © Getty Images | Sean Gallup

Zwar liegt die eigentliche Ursache für das politische Desaster bei der Ökopartei. Aber Fakt ist auch: Ministerpräsident Weil, der auch Landeschef der SPD ist, hat seine Koalition nicht im Griff gehabt. Wer im Parlament nur mit einer Stimme Mehrheit regiert, muss das Ohr besonders dicht auf der Schiene haben, um zu hören, wann ein gefährlicher Zug kommt. Weils Abgang ist nun so glanzlos wie seine Regierungszeit. Richtig rund lief die Koalition in Hannover nie, es gab kaum einen Minister mit überregionaler Strahlkraft. Bei der VW-Affäre machte auch der Ministerpräsident selbst keine gute Figur: So wie das Aufsichtsratsmitglied Weil ließ sich kein niedersächsischer Regierungschef vom größten Arbeitgeber des Landes an der Nase herumführen. Bundespolitisch machte Weil mit Querschüssen gegen die eigene Partei Schlagzeilen: Mit einem eigenen Steuerkonzept stahl er Parteifreund Martin Schulz die Schau.

Grüne wollte sich an ihren Parteifreunden rächen

Dass die CDU in Hannover nun von einer „Gewissensentscheidung“ der Abgeordneten Twesten spricht, ist heuchlerisch. Die ehemalige Grüne wollte sich an ihren Parteifreunden rächen, vielleicht hofft sie auf eine weitere Karriere bei der CDU. Mit Gewissen hat das nichts zu tun, zumal Twesten nicht direkt, sondern auf den hinteren Plätzen der grünen Landesliste ins Parlament kam. Die Wähler haben vor viereinhalb Jahren vor allem die Grünen gewählt, nicht Twesten. So nachvollziehbar Forderungen sind, sie möge ihr Mandat niederlegen: Twesten ist frei gewählte Abgeordnete.

Dass sich die Parteien in Hannover nun geschlossen für Neuwahlen ausgesprochen haben, ist eine saubere Lösung. Alles andere hätte einen schalen Beigeschmack gehabt.