Berlin. Mit einer Gute-Laune-Kampagne eröffnet die SPD die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs. Der Spitzenkandidat Martin Schulz fehlt.

Den entscheidenden Satz sagt Hubertus Heil ganz zum Schluss. Fast scheint es so, als würde er dem SPD-Generalsekretär nur so herausrutschen. Es ist der ehrlichste Satz bei dieser Veranstaltung in der SPD-Parteizentrale, weil er das Dilemma der Sozialdemokraten, in dem sie stecken, am besten beschreibt: „Es gibt keine Wechselstimmung“, sagt Heil. Und fügt noch schnell hinzu: „Das wäre auch komisch, wir regieren ja noch mit.“

Keine Wechselstimmung, das bedeutet, dass die Wähler eigentlich keine andere Bundesregierung haben wollen, jedenfalls keine andere Bundeskanzlerin. Für einen SPD-Generalsekretär macht das den Bundestagswahlkampf zu einer fast unlösbaren Aufgabe. Wie soll er den Spitzenkandidaten Martin Schulz aus der großen Koalition heraus dorthin bringen, wo jetzt noch Angela Merkel regiert: ins Kanzleramt?

Hubertus Heil gibt den Showmaster

Hubertus Heil gibt sich jedenfalls alle Mühe, dass diese Aufgabe doch noch gelingt. Er steht am Dienstag auf einer Bühne im Willy-Brandt-Haus und soll die Plakate präsentieren, mit denen die SPD die Wähler in den nächsten Wochen begeistern will. Man hat Heil dafür eines dieser fleischfarbenen Mikrofone an die Wange geklebt, die man nicht sehen soll, aber die sichtbarer sind als jedes in der Hand gehaltene Mikro.

Werbung für Martin Schulz: Der SPD-Chef will Zuversicht verbreiten.
Werbung für Martin Schulz: Der SPD-Chef will Zuversicht verbreiten. © imago/Emmanuele Contini | Emmanuele Contini

In seinen Händen hält Heil dafür eine Art Fernsteuerung, mit der er die riesige Leuchtwand hinter sich bedienen kann. Früher wurden Plakate enthüllt, indem man ein riesiges Tuch wegzog. Heute ist der Generalsekretär wie ein Showmaster ausgestattet und drückt einen Knopf, damit ein Plakatmotiv nach dem anderen erscheint.

Am Leitmotiv Gerechtigkeit will die SPD festhalten

Für die SPD ist der Termin der offizielle Start in den Wahlkampf. Es ist eine weitere Gelegenheit, sich und die eigenen Botschaften in Erinnerung zu bringen, auch wenn die meisten Bundesbürger in diesen Tagen in den Ferien sind. „Es ist Zeit für Wahlkampf in Deutschland“, sagt Heil und versucht, etwas Spannung aufzubauen. Die SPD und ihr Kandidat Martin Schulz seien stark und bereit, das Kanzleramt zu erobern, sagt er, und das entscheidende Thema dafür sei das der Gerechtigkeit. „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ steht auf den Bannern, die im Lichthof des Willy-Brandt-Hauses hängen. An diesem Leitmotiv will die SPD bis zur Bundestagswahl festhalten.

Vom Kandidaten selbst ist an diesem Tag nichts zu sehen, jedenfalls nicht live und im Willy-Brandt-Haus. Schulz taucht nur als Silhouette auf Flugblättern und Werbematerial auf. Er sei „schon im Wahlkampf unterwegs“, antwortet Heil etwas schmallippig auf Fragen von Journalisten. Außerdem sei es unüblich, dass der Kandidat seine eigenen Plakate vorstelle.

SPD will keine Ängste schüren

Also ist es Heil, der vorführt, wie die SPD in den kommenden Wochen Stimmung für sich machen will. Die Motive, die er zeigt, sind recht konventionell, sie zeigen eine Montagearbeiterin, eine weitere Frau und ihre Mutter sowie ein Mädchen, das Hausaufgaben macht. Sie sollen Lohngerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit verkörpern. Zwei schreiende Kinder sollen die Familienpolitik symbolisieren, die natürlich auch gerecht sein soll. Ein Mann, der in die Luft guckt, soll für die Innovationspolitik stehen, aber was daran gerecht sein soll, kann auch Generalsekretär Heil nicht richtig erklären. Auf jeden Fall wolle man den Bürgern ein positives Gefühl von der Zukunft vermitteln: „Wir machen keine Kampagne, die den Menschen Angst macht oder die Stimmung verdüstert.“ Deshalb zeige man auch keine traurigen Menschen.

Nun hat Martin Schulz in der vergangenen Woche auch die Flüchtlingspolitik zum Wahlkampfthema erklärt. Die Lage sei „hochbrisant“, hatte Schulz gesagt und Kanzlerin Merkel dafür kritisiert, wie sie die Grenze für Flüchtlinge geöffnet hat. Das klang wenig zukunftsfroh und ein bisschen nach AfD. Jedenfalls lässt es sich nicht besonders gut mit fröhlichen Menschen bebildern. Die SPD will deshalb – anders als die AfD – auf Plakate zu diesem Thema verzichten. So kann man den Generalsekretär verstehen, als er um das Thema herumzureden versucht. Heil betont aber noch einmal, dass die Flüchtlingspolitik „seit Jahren in Europa nicht gelöst“ sei. Es drohe der Zerfall Europas. Auch der Diesel-Skandal soll erst einmal kein Thema im Wahlkampf werden, jedenfalls nicht auf den großen Plakaten.

Vom Schulz-Hype ist nichts mehr übrig

Wie die Sozialdemokraten auf diese Weise die Wende schaffen wollen, kann auch der Generalsekretär nicht schlüssig erklären. Die Umfrageinstitute sehen die Partei wie einbetoniert bei 24 Prozent, vom Schulz-Hype Anfang des Jahres ist nichts mehr übrig. Er glaube trotzdem, die gute Stimmung vom Januar sei noch zu spüren, versichert Heil und verweist auf die 22.000 neuen Mitglieder, die seit der Nominierung von Martin Schulz in die SPD eingetreten seien. Wahlen würden im Endspurt gewonnen. Und auf den sei man vorbereitet. Das habe die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2016 gezeigt.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo im vergangenen September gewählt wurde, habe die SPD lange bei 22 Prozent gelegen und habe dann „mit 30 Prozent die Wahl gewonnen“. Nimmt man Heil an dieser Stelle beim Wort, dann hat er das Wahlziel der SPD für die Bundestagswahl mit diesem Satz nicht nur gesenkt, sondern peilt erneut eine große Koalition an – in Schwerin regiert die SPD mit der CDU.

Martin Schulz reist durch Deutschland

Damit die SPD im Bund doch noch ein paar Prozentpunkte zulegt, wird sich Spitzenkandidat Schulz in den nächsten Tagen auf eine große Reise quer durch Deutschland begeben. Über 30 Tage lang soll er an 60 Orten auftreten. Mehr als 20.000 Kilometer werde er bei seiner „Live-Tour“ zurücklegen, wie Bundesgeschäftsführerin Juliane Seifert es formuliert, und auf der Leuchtwand auf einer Deutschlandkarte 60 Punkte aufleuchten lässt – die meisten davon in Nordrhein-Westfalen, die wenigsten in Bayern. Der Start sei am 8. August in Dresden, das Ende am 22. September in Berlin. Am 23. September, einen Tag vor der Bundestagswahl, werde Schulz als „Bonus-Track“ in Aachen auftreten, nahe seinem Heimatort Würselen: der Kandidat als Popstar.

24 Millionen Euro lässt sich die SPD ihre Wahlkampagne kosten, vier Millionen mehr als die CDU. Ob es hilft? Wenn es schon keine Wechselstimmung gebe, sagt Hubertus Heil, dann gebe es wenigstens eine „Repolitisierung der Gesellschaft“. Und: „Die Mehrheit sehnt sich nach einer demokratischen Alternative.“ Er lässt offen, wozu.