Karlsruhe. Das Tarifeinheitsgesetz hat im Kern Bestand. Das Bundesverfassungsgericht wies die Klagen mehrerer Gewerkschaften weitgehend ab.

  • Das Bundesverfassungsgericht hat das umstrittene Tarifeinheitsgesetz im Wesentlichen gebilligt
  • Die Karlsruher Richter machen allerdings zahlreiche Vorgaben für die Anwendung des Gesetzes
  • Das Tarifeinheitsgesetz regelt die Machtverhältnisse in Unternehmen mit mehreren Gewerkschaften

Das umstrittene Tarifeinheitsgesetz ist im Wesentlichen verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz am Dienstag gebilligt, bei einer Regelung aber Nachbesserungen gefordert. Die Karlsruher Richter machen zahlreiche Vorgaben für die Anwendung des Gesetzes (Az. 1 BvR 1571/15 u.a.). Das Tarifeinheitsgesetz gilt seit zwei Jahren und regelt die Machtverhältnisse in Unternehmen mit mehreren Gewerkschaften.

Das Gesetz von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sah vor, dass bei konkurrierenden Tarifverträgen in einem Betrieb künftig nur der Abschluss mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt. Die Bundesregierung will damit aufreibende Machtkämpfe verhindern. Die Gewerkschaften bangen um ihre Durchsetzungskraft und ihren Einfluss.

Richter: Streikrecht nicht in Gefahr

Spartengewerkschaften wie der Marburger Bund (Ärzte), Ufo (Flugbegleiter) und Cockpit (Piloten) sowie die große Arbeitnehmerorganisation Verdi hielten die Regel für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und klagten deshalb in Karlsruhe. Der juristische Vorstoß der insgesamt fünf Kläger wurde nun von den Richtern überwiegend abgewiesen.

Die Richter stellten fest, dass das Gesetz in die Koalitionsfreiheit eingreift und Grundrechte beeinträchtigen kann. So habe es die schwächere Gewerkschaft im Betrieb womöglich schwerer, Mitglieder zu werben und zu mobilisieren. Das Streikrecht sei aber nicht in Gefahr. Grundsätzlich sei der Gesetzgeber befugt, Strukturen zu schaffen, „die einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen aller Arbeitnehmer eines Betriebes hervorbringen“, sagte Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof bei der Verkündung.

Beamtenbund zeigt sich enttäuscht

Das Urteil ist trotzdem alles andere als ein Freifahrtschein. Der Senat sieht das Risiko, dass die Interessen kleinerer Berufsgruppen wie Piloten oder Krankenhausärzte unter den Tisch fallen. Hier muss der Gesetzgeber noch Vorkehrungen schaffen.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) begrüßte das Urteil. Das Gesetz stärke die solidarische Interessenvertretung durch die Gewerkschaften, erklärte Nahles am Dienstag in Berlin.

Als „schwer nachvollziehbar“bezeichnete dagegen der Bundesvorsitzende des Beamtenbundes dbb, Klaus Dauderstädt, die Entscheidung: „Mit seiner Entscheidung, den gesetzlichen Eingriff in die Tarifautonomie und die Koalitionsfreiheit des Einzelnen grundsätzlich zuzulassen, heben sich die Bundesverfassungsrichter deutlich von der beeindruckenden Phalanx der zahlreichen und namhaften Verfassungs- und Arbeitsrechtler ab, die das Tarifeinheitsgesetz von Anfang an als eindeutig verfassungswidrig und darüber hinaus undurchführbar abgelehnt haben.“

Konflikt soll vermieden werden

Aus Sicht der Bundesregierung hat sich das Prinzip „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ über Jahrzehnte bewährt. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010 waren dann auf einmal verschiedene Abschlüsse nebeneinander möglich. Mit dem Gesetz, das seit rund zwei Jahren gilt, will die Ministerin wieder klare Verhältnisse schaffen. Nahles schwebt vor, dass Konkurrenz-Gewerkschaften sich von Anfang an miteinander abstimmen. Zum Konflikt soll es gar nicht kommen.

Die Gewerkschaften befürchten dagegen einen rücksichtslosen Verdrängungswettbewerb und eine Aushöhlung ihres Streikrechts. Die Arbeitgeber hätten es nun nicht mehr nötig, mit allen zu verhandeln.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Tarifeinheitsgesetz begrüßt. Das Gesetz stärke die solidarische Interessenvertretung durch die Gewerkschaften, erklärte Nahles am Dienstag in Berlin.

Beschwerden von elf Gewerkschaften

In jedem Krankenhaus drohe permanenter Streit, sagte der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, der Deutschen Presse-Agentur in Karlsruhe. Nur 14 bis 15 Prozent der Beschäftigten seien Ärzte. Andere Gewerkschaften wie Verdi hätten daher leicht mehr Mitglieder im Betrieb. Henke: „Und dann haben wir das Nachsehen und könnten keine wirksamen Tarifverträge in unserem Sinne abschließen.“

Der Marburger Bund hat eine von elf anhängigen Verfassungsbeschwerden eingereicht. In der Verhandlung im Januar hatte der Erste Senat unter Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof fünf davon genauer unter die Lupe genommen, darunter die Klagen von Verdi und dem Beamtenbund dbb. Auch in den letzten langen Streiks der Lokführer und der Piloten hatte die Diskussion um die Tarifeinheit eine Rolle gespielt. (dpa)