Hamburg. Kanzlerin Merkel zeigt klare Kante gegen US-Präsident Trump. Doch auf dem G20-Gipfel wird sie vor allem als Brückenbauerin gebraucht.

Kurz nach 18 Uhr am Donnerstagabend fährt eine Kolonne mit schwarzen Limousinen vor das Hamburger Hotel „Atlantic“. US-Präsident Donald Trump, dunkelblauer Anzug und rote Krawatte, steigt aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ein marineblaues Jackett trägt, streckt ihm die Hand entgegen. Kurze Begrüßung, immerhin mit „handshake“, dann verschwinden die beiden in der Lobby der Nobel-Herberge. Auch Präsidententochter Ivanka Trump und ihr Ehemann Jared Kushner, einer der wichtigsten Berater Trumps, sowie Außenminister Rex Tillerson sind dabei. Alle nehmen an dem darauf folgenden, gut einstündigen Spitzengespräch teil. Auch der deutsche Chefdiplomat Sigmar Gabriel sitzt mit am Tisch.

Große Herzlichkeit kommt anfangs beim Händeschütteln nicht auf, die Stimmung ist eher geschäftsmäßig. Ein Arbeitsbesuch zum Auftakt des G20-Gipfels der Industrie- und Schwellenländer am Freitag und Sonnabend in Hamburg. Aber der Präsident sei in der Runde sehr konstruktiv gewesen, heißt es später. Er wolle helfen, dass der Gipfel zu einem guten Ergebnis komme. Das hat er der Kanzlerin schon am Montag am Telefon versichert. In der Unterredung zwischen Merkel und Trump seien einige der mehr als 20 Gipfelthemen zur Sprache gekommen, aber auch außenpolitische Krisenzonen wie Nordkorea, der Mittlere Osten und die Ostukraine, teilt ein Regierungssprecher mit.

Die Amerikaner arbeiten gut mit, heißt es in Delegationskreisen. Bei der Regulierung der Finanzmärkte, bei Maßnahmen zur Austrocknung der Terror-Finanzierung oder bei der Unterstützung von Unternehmerinnen in Afrika gebe es große Übereinstimmung. Merkel versucht noch vor Beginn der G20-Konferenz, Dampf aus den Kontroversen zu nehmen. Die USA hatten in den vergangenen Wochen die internationalen Spannungen angeheizt. Sie hatten ihren Ausstieg aus dem Pariser Klimavertrag angedroht, der eine deutliche Reduzierung der Treibhausgase vorsieht

Beim G7-Gipfel brüskierte Trump die Regierungschefs

US-Präsident Donald Trump und Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstagabend in Hamburg.
US-Präsident Donald Trump und Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstagabend in Hamburg. © ddp images/Jens Schlueter | Jens Schlüter

Merkel verfolgt eine pragmatische Linie. Sie will den Präsidenten nicht kompromittieren, sondern ihm eine gesichtswahrende Lösung anbieten – ohne allerdings Abstriche am Pariser Vertrag zu machen. Wie das genau aussehen soll, ist offen. Aber klar ist: Die Kanzlerin hat sich vorgenommen, Trump nicht zu isolieren, eine Frontstellung „19 gegen eins“ zu vermeiden. In der Delegation eines europäischen G20-Landes wird der Vorschlag ventiliert, man könne in Hamburg eine allgemeine Erklärung zum Klima verabschieden und gleichzeitig eine neue Initiative der Länder starten, die das Pariser Abkommen unterzeichnet haben.

Ein professionelles Klima also. Das war nicht immer so. Vielleicht haben die atmosphärischen Störungen zwischen Trump und Merkel mit den unterschiedlichen politischen Temperamenten zu tun. Die Kanzlerin und der Präsident sind wie Feuer und Wasser. Hier die kühle Analytikerin, die sich bemüht, vom Ende her zu denken. Dort der Impulsive, der im Reizzustand zu emotionalen Vulkanausbrüchen fähig ist.

Merkel und Trump distanzierten sich in Taormina voneinander

Der Nato-Gipfel in Brüssel und das G7-Spitzentreffen im sizilianischen
Taormina Ende Mai sind gewissermaßen eine logische Fortsetzung der zunehmenden Distanzierung zwischen Merkel und Trump. Die steinerne Miene der Kanzlerin, als der US-Präsident die Staats- und Regierungschefs des Bündnisses wegen unzureichender Verteidigungsausgaben in den Senkel stellt, spricht Bände.

Endgültig desillusioniert ist Merkel, als Trump beim G7-Gipfel keinerlei Zugeständnisse anbietet. Nicht einmal ein weichgespülter Formelkompromiss bei der Klimapolitik springt heraus. Die Unterschrift der Amerikaner unter den Pariser Klimavertrag zur Reduzierung der Treibhausgase Ende 2015: ein Fall für den Papierkorb. In der deutschen Delegation macht die Formulierung „Sechs gegen eins“ die Runde. So etwas gab es noch nie. Im Forum der sieben größten Industrienationen, das auf Konsens und größtmögliche Übereinstimmung geeicht ist, kommt dies einer offenen Brüskierung gleich.

Reine Konfrontation kann sich Merkel nicht leisten

Spätestens nach Taormina muss bei der Kanzlerin so etwas wie ein Bruch eingesetzt haben. Bei einer Bierzeltrede in München sagt sie Sätze, die dies- und jenseits des Atlantiks wie politisches Dynamit wirken: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Merkel erwähnt Trump mit keinem Wort, doch jeder hat die Botschaft verstanden.

Die Kanzlerin und CDU-Chefin weiß, dass ihr harte Töne gegen den hierzulande äußerst unpopulären US-Präsidenten im Bundestagswahlkampf nutzen. Doch Merkel ist sich auch bewusst, dass sie mit reiner Konfrontation beim G20-Gipfel an diesem Freitag und Sonnabend in Hamburg keine Ergebnisse erzielen kann. Es würde an ihrem Image als versierte Krisenmanagerin auf dem internationalen Parkett kratzen.

Treffen mit Erdogan am Abend

Nicht gerade die besten Freunde: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Nicht gerade die besten Freunde: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Bundeskanzlerin Angela Merkel. © Getty Images | Pool

Als Multilateralistin hat die Kanzlerin zuletzt immer wieder Verbündete um sich geschart. Dass sich plötzlich auch autokratisch strukturierte Staaten wie China und Russland als Bannerträger für unreglementierten Warenaustausch und die Verminderung von CO2-Emissionen stark machen, sieht Merkel kühl. Einerseits will sie eine breite internationale Koalition. Andererseits macht sie sich keine Illusionen, dass auch die Regierungen in Peking und in Moskau mit harten Bandagen kämpfen, wenn es um den Schutz ihrer Märkte geht.

Am späten Abend trifft sie noch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu einem einstündigen Gespräch. Ein Thema ist auch das EU-Flüchtlingsabkommen. Erdogan hatte ihr zuvor als Gastgeschenk eine Verbalkeule mitgebracht: Deutschland begehe „Selbstmord“, weil der Staatschef aus Ankara nicht öffentlich auftreten dürfe. Für Merkel ist es ein Gipfel-Test der ganz besonderen Art.