Wien. Schon im Vorjahr wurde damit gedroht, nun könnte es ernst werden: Österreich plant Grenzkontrollen am Brenner. Geht es um Wahlkampf?

Die Zeichen für eine entspannte Anreise in den Italien-Urlaub stehen in diesem Sommer schlecht. Österreich lässt in der Flüchtlingsfrage wieder die Muskeln spielen. Zeitnah solle die Grenze zu Italien am Brenner kontrolliert werden, hieß es am Dienstag in Wien.

Autofahrer müssen dann gute Nerven mit in die Ferien bringen. Bisherige Pläne dazu sahen eine Reduzierung auf Tempo 30 vor. Lange Staus sind da programmiert. Der Alpenpass ist die Hauptstrecke aus dem Norden nach Italien und zurück – und es gibt kaum attraktive Alternativen.

Außenminister Kurz fordert Abschiebung ohne Asylantrag

„Angesichts der Migrationsentwicklung in Italien müssen wir uns vorbereiten“, sagte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ). Ein Einsatz des Militärs sei unabdingbar, wenn der Zustrom nicht geringer werde. 750 Soldaten seien innerhalb kürzester Zeit verfügbar, vier Panzer bereits vor Ort. Der konservative Außenminister Sebastian Kurz zog wenig später nach: „Wir werden unsere Brennergrenze schützen, wenn es notwendig ist.“

Kurz forderte sowohl von Rom als auch von Brüssel strengere Regeln. Die EU müsse klarstellen, dass eine Rettung im Mittelmeer nicht mit einem Ticket nach Europa verbunden sein dürfe. Im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge sollten direkt in Aufnahmelager in Nordafrika gebracht werden – ohne Möglichkeit auf einen Asylantrag.

Italien bestellt österreichischen Botschafter ein

Auf der anderen Seite der Grenze sorgt die Ankündigung Österreichs für Skepsis und Unmut. Das italienische Außenministerium stellte kurzerhand den österreichischen Botschafter in Rom ein. Das Hauptankunftsland für Migranten in Europa ist derzeit am Limit – 85.183 Menschen, die im Mittelmeer gerettet wurden, kamen alleine in diesem Jahr in den Häfen Italiens an. Im Vorjahrszeitraum lag die Zahl mit 71.279 deutlich darunter. Während also durchaus von einer Notlage im Land gesprochen werden kann, gibt es nach Ansicht des Bürgermeisters der Gemeinde Brenner, Franz Kompatscher, keinerlei Notlage in der Grenzregion.

„Hier sind wenige Flüchtlinge“, sagte Kompatscher der Nachrichtenagentur AdnKronos. „Zurzeit erscheint mir das, was gesagt wird, übertrieben.“ Die Migranten wüssten von strengen Kontrollen auf beiden Seiten der Grenze und würden die Route erst gar nicht nehmen. Der Schritt sei vielmehr mit der kommenden Wahl in Österreich erklärbar. „Da lässt jemand klar die Muskeln spielen.“

Es geht offenbar vor allem um Wahlkampf

Schon 2016 ist die Diskussion über Grenzkontrollen in Österreich hochgekocht. Neue Dynamik scheint der vorgezogene Urnengang in der Alpenrepublik im Oktober ausgelöst zu haben. Bei dem Thema Sicherheit will keine Partei der Konkurrenz Angriffsfläche bieten. Auch wenn es aktuell wohl nur wenig Handlungsbedarf gibt. Die Ankünfte von Flüchtlingen bezeichnete der Chef der Schlepperbekämpfung im österreichischen Bundeskriminalamt, Gerald Tatzgern, nämlich als stabil. Vermehrte Aufgriffe gebe es nicht, sagte er dem ORF. Rund 10.500 Asylanträge wurden in diesem Jahr bisher gestellt, nicht einmal die Hälfte des Vorjahreswertes.

Die Situation am Brenner sei ruhig, und die Statistik belege das, sagt auch Arno Kompatscher, Landeshauptmann Südtirols und Präsident der Autonomen Region Trentino-Südtirol. „Im Durchschnitt sagt alle zwei Wochen ein Mitglied der österreichischen Regierung oder ein Landeshauptmann, dass sie bereit sind, die Kontrollen zu starten.“

Brenner gilt als Wahrzeichen für freien Verkehr in Europa

Christopher Hein vom italienischen Flüchtlingsrat findet den Vorstoß Österreichs aus der Luft gegriffen: „Über 60 Prozent der Asylbewerber in Österreich kamen aus Syrien, Afghanistan, Irak und Iran – und damit nicht über Libyen nach Italien und dann nach Österreich.“

Die Meldung aus Wien hat kurz vor dem Treffen der europäischen Innen- und Justizminister in Tallinn auch symbolischen Wert. In Estland soll etwa über Möglichkeiten zur Entlastung Italiens diskutiert werden. Der Brenner gilt als Wahrzeichen für den freien Verkehr innerhalb Europas. Der Großteil des Güterverkehrs zwischen Italien und dem Rest Europas passiert dieses Nadelöhr – auf der Straße oder Schiene.

Kontrollen am Brenner würden lange Wartezeiten bedeuten

Österreich könnte sich aber auch ein Vorbild bei seinem großen Nachbarn genommen haben. Deutschlands Grenzkontrollen an der österreichischen Grenze seit September 2015 – mit grünem Licht aus Brüssel – erregen zwischenzeitlich kaum mehr die Gemüter, obwohl es an den bayerischen Autobahnübergängen auch für Tagespendler regelmäßig zu Wartezeiten von mehr als einer Stunde kommt.

„Grenzkontrollen am Brenner würden zu einer sehr angespannten Verkehrssituation führen – auch auf den möglichen Ausweichrouten“, hieß es vom Automobilclub ADAC. Mehr als fünf Millionen Autos queren den Alpenpass demnach pro Jahr, viele davon aus Deutschland auf dem Weg an die Adria. (dpa)