Paris/Berlin. Präsident Macron kündigt in einer Grundsatzrede im Schloss Versailles eine Wahlrechtsreform an – und will mehr Demokratie in der EU.

Wenn der französische Präsident beide Kammern des Parlaments ins Schloss Versailles einbestellt, muss es eigentlich um wichtige Angelegenheiten gehen. Der Kongress tagt nur äußerst selten, die beiden letzten Präsidenten Nicolas Sarkozy und François Hollande hielten zu ihren Amtszeiten nur jeweils eine einzige Rede vor dem Gesamtparlament. Auf dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise und nach der Terrorserie vor anderthalb Jahren beschworen sie die Einheit der verunsicherten Nation.

Doch der neue Präsident Emmanuel Macron braucht keinen Notstand für den großen Auftritt: Als er am Montagnachmittag im ehemaligen Königshof das Wort vor den mehr als 900 Parlamentariern ergreift, nutzt er den feierlichen Rahmen selbstbewusst, um das Land auf einen tief greifenden Wandel vorzubereiten und den Umbau der politischen Institutionen anzukündigen. Die französische Demokratie sei kurzatmig geworden, sagt Macron. Mit seiner Reform wolle er ihr den Sauerstoff zurückgeben.

Macron will mehr Parteien, weniger Abgeordnete

Vor historischer Kulisse, im holzgetäfelten Saal, skizziert der Präsident seinen Plan, kleinen Parteien mit der Änderung des Wahlrechts den Sprung ins Parlament zu erleichtern und die Zahl der Abgeordneten um ein Drittel zu reduzieren – über den Umbau soll das Volk in einem Referendum entscheiden. Auch grundsätzlich will Macron es den Wählern ermöglichen, sich mit Petitionen und Volksentscheiden politisches Gehör zu verschaffen. „Das Petitionsrecht muss überprüft werden, damit dem Willen des Volkes wieder mehr Rechnung getragen wird“, sagt der Präsident.

Nebenher begründet Macron selbstbewusst wie provokant eine neue Tradition: Künftig will er jedes Jahr eine solche Rede an die Nation halten, so wie es für US-Präsidenten üblich ist. Schon vorab hatte Macron mit der Inszenierung von Versailles für böses Blut gesorgt. „Allüren eines Sonnenkönigs“ hatten republikanische Abgeordnete ihm vorgehalten, der linke Politiker Jean-Luc Mélenchon sah bereits eine „Präsidenten-Monarchie“ heraufziehen. Seine Partei und die Kommunisten boykottierten wütend den Auftritt – auch unter Hinweis darauf, dass am Dienstag ja ohnehin schon Premierminister Edouard Philippe seine Regierungserklärung in der Nationalversammlung abgeben wird.

Macron will Gesetze auf ihren Nutzen überprüfen

Macron ließ sich davon nicht irritieren. Ihm ging es um die großen Linien. „Wir brauchen eine resolute und tief greifende Veränderung, einen Schnitt nach den Jahren der Unbeweglichkeit“, erklärt er unter Hinweis auf die Finanzprobleme und die hohe Arbeitslosigkeit. „Das Volk fordert von uns, einen neuen Weg einzuschlagen.“ Beim Auftritt vor dem Kongress wolle er jährlich Rechnung ablegen über seine Politik. Entscheidungen sollen so transparenter werden. Zudem sollen die Minister stärker Verantwortung für ihr Handeln tragen.

In ähnliche Richtung zielt ein weiteres Vorhaben des Präsidenten. Künftig soll jedes Gesetz zwei Jahre nach Inkrafttreten auf seinen Nutzen hin überprüft werden. Verantwortlichkeit und Wirksamkeit, es sind die Schlagworte, mit denen Macron das Ziel seiner Reformen immer wieder zusammenfasst.

Macron will Ausnahmezustand nach Terror beenden

Ihnen fällt auch eine anderes Gesetz zum Opfer: So will er den nach den Pariser Terroranschlägen verhängten Ausnahmezustand in Frankreich Anfang November beenden. „Es macht keinen Sinn, dem Staat unbeschränkte Macht über das Leben der Menschen einzuräumen“, sagt Macron. „Ich werde die Freiheit der Franzosen wieder herstellen, durch Aufhebung des Aufnahmezustands im Herbst.“

Die kürzlich vorgeschlagene weitere Verlängerung der Sonderrechte für die Behörden bis Anfang November, über die das Parlament noch in dieser Woche beraten soll, wird also tatsächlich die letzte sein. Ein Ende im Kampf gegen den Terrorismus bedeutet die Ankündigung jedoch nicht. „Wir werden die Maßnahmen im Antiterrorkampf verstärken“, fügt Macron hinzu. Nur ständen diese nun unter strenger Aufsicht der Richter.

Vorstoß für mehr Demokratie in Europa

Bis dahin sei ein neues Sicherheitsgesetz zu beschließen, damit die Behörden auch nach Ablauf des Ausnahmezustands für den Antiterrorkampf gewappnet sind. Zum Schluss widmet der Präsident sich noch einem Herzensthema: Europa. Mit Elan verteidigt er vor dem Kongress die Idee eines vereinten Europas. Zwar habe Europa seinen Kurs verloren, sagt Macron, doch man dürfe es nicht seinen Gegnern überlassen. „Es ist an der neuen Generation von Politikern, die europäische Idee wieder aufzunehmen“, sagt er. Auch dafür schweben dem Präsidenten Reformen vor. Bis Jahresende will er einen Vorstoß für mehr Demokratie in der EU machen.

Macrons Politik ist schon jetzt umstritten, gegen die Reformpläne haben die Gewerkschaften massiven Widerstand angekündigt. An der Debatte nach seiner Rede nimmt Macron aber nicht teil. Nicht aus Überheblichkeit, laut Verfassung darf er nicht dabei sein.