Berlin. Für die Opposition ist bewiesen, dass es eine anlasslose Massenüberwachung gab. Deshalb legte sie einen eigenen Abschlussberichte vor.

Wie sie vor dreieinhalb Jahren im Untersuchungsausschuss angefangen hatten, so gehen sie auch auseinander: im Streit. Für die Übergabe des 1822-seitigen Abschlussberichtes des NSA-Skandals ließen sich die Linke Martina Renner und der Grüne Konstantin von Notz am Mittwoch etwas einfallen.

Nachdem der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) den gemeinsamen Bericht aller Parteien an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) abgegeben hatte, traten Renner und Notz hervor und überreichten ihm ihr Sondervotum. Sensburg war ahnungslos. „Ich hätte mir und Ihnen ein weniger turbulentes Finale der Beratungen gewünscht“, bemerkte Lammert.

Wie die Kesselflicker haben sich Koalition und Opposition gestritten, bis zuletzt, bis zur gestrigen Bundestagsdebatte. Lammert zeigte Verständnis für manchen Unmut im Parlament. Bei der Untersuchung der massiven Datenspionage des US-Geheimdienstes NSA und des Bundesnachrichtendienstes (BND) hatte das Kanzleramt viele Akten großteils geschwärzt oder gleich als geheim eingestuft: „Das, finde ich, ist kein angemessener Zustand“, tadelte Lammert.

Edward Snowden löste die Affäre aus

Auch Sensburg hatte sich den Zorn der Opposition zugezogen. Zum einen hatte er in ihrem Sondervotum ebenfalls viele Punkte geschwärzt, weil die Passagen sich nach seiner Ansicht auf geheime Unterlagen bezogen. Zum anderem hatte er zum NSA-Skandal ein Buch geschrieben und noch vor dem Abschlussbericht publiziert. Sensburgs Gegenfrage: „Warum soll ich nicht auch meine eigene Meinung kundtun.

Das Buch und der Abschlussbericht sind zwei verschiedene Schuhe.“ Gleichwohl rümpfen selbst Parteifreunde die Nase über sein Timing. „Das war nicht sonderlich klug, ich persönlich hätte gewartet“, sagte sein Ausschusskollege Tankred Schipanski (CDU) dieser Redaktion.

Für die Opposition ist bewiesen, dass in Deutschland eine anlasslose Massenüberwachung stattgefunden hat. Das bestreiten wiederum SPD und Union. Die Opposition habe die Aufklärung „auch heute noch lediglich zur Skandalisierung“ genutzt, schimpfte SPD-Obmann Christian Flisek. Auch von einem Ringtausch zwischen den Diensten wollen die Vertreter von SPD und Union nichts wissen. Mit „Ringtausch“ ist gemeint, dass die NSA beim BND in Auftrag gab, was sie selbst nicht konnte und durfte – und umgekehrt.

Deutscher Geheimdienst in der rechtlichen Grauzone

Begonnen hatte alles mit den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden im Jahr 2013, unter anderem mit dem Abhören der Handygespräche von Kanzlerin Angela Merkel („Abhören unter Freunden – das geht gar nicht“). Weil die Amerikaner jede Auskunft verweigerten, nahm der Ausschuss umso mehr den deutschen Geheimdienst BND ins Visier.

Dabei zeigte sich, dass der BND zumindest in einer rechtlichen Grauzone operiert hatte und mittels sogenannter Selektoren – Suchbegriffe, E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen – die Kommunikation stärker überwachte, als er durfte. „Da ist viel schiefgelaufen“, kritisierte Sensburg. Der BND spähte befreundete Staaten und Unternehmen aus. Abhören unter Freunden – geht doch!

Die parlamentarische Kontrolle des BND ist nun schärfer

Insbesondere eine Abteilung für technische Aufklärung im bayerischen Bad Aibling führte ein Eigenleben, ohne Wissen der Hausspitze oder gar des Kanzleramts. Als Konsequenz wurde Geheimdienstchef Gerhard Schindler in den Ruhestand versetzt, ihm folgte Bruno Kahl im Amt. Das BND-Gesetz wurde neu gefasst, die parlamentarische Kontrolle verschärft und der für die Spionageabwehr zuständige Verfassungsschutz zu einem „360-Grad-Blick“ ermuntert. Er soll auch die Spähversuche von Partnerstaaten wie den USA unterbinden. Eine Konsequenz aus der NSA-Affäre ist auch, dass nun jede Abhöraktion schriftlich von der BND-Führung und vom Kanzleramt angewiesen werden muss. Vom neuen BND-Präsidenten wird erwartet, dass er den Empfehlungen des Ausschusses folgt.

Auch im Umgang zwischen Regierung und Parlament soll sich was ändern. Es reiche nicht aus, dass die Regierung selbst definiere, welche Dokumente sie für einen Ausschuss als geheim einstufe, sagte Lammert. Er schlug die Einrichtung einer von beiden Seiten akzeptierten Schiedsstelle vor.