Berlin. Beim Tag der Deutschen Industrie treffen Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Herausforderer Martin Schulz aufeinander. Wer konnte punkten?

Es sind noch rund drei Monate bis zur Bundestagswahl: Allmählich nimmt das Duell um die Kanzlerschaft an Fahrt auf. Am Dienstag traten beim mächtigen Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Kanzlerin Angela Merkel und ihr SPD-Herausforderer Martin Schulz kurz nacheinander auf und skizzierten jeweils ihren Plan für eine Wirtschaftspolitik in der nächsten Legislatur. Eine Werbetour der Kandidaten vor Managern und Verbandsvertretern. Wer konnte sich besser behaupten?

Auftreten

Für die Vorsitzende der CDU sind Auftritte bei der deutschen Wirtschaft grundsätzlich ein Heimspiel. Der wirtschaftsfreundliche Kurs der Konservativen macht es möglich. Und so bekommt Merkel bei ihrem Auftritt im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin auch bereits zu Beginn langen Applaus.

Obwohl die Klima-Kanzlerin mit ihrer Abkehr von der Atompolitik die Wirtschaft nachhaltig verärgert hat. Auch ihre Flüchtlingspolitik der zeitweise offenen Grenzen stieß in der Wirtschaft nicht nur auf Zustimmung. Merkel weiß das. Die Kanzlerin in türkisfarbenem Blazer wirkt ausgeruht, das Angestrengte aus ihrem Gesicht ist verschwunden.

Langer Beifall für Merkel

Sie spielt die Karte der langjährigen Regierungschefin eines wirtschaftlich erfolgreichen Landes voll aus. Etwa beim Thema Freihandel: „Es kommen plötzlich wieder Denkmuster zum Vorschein, die wir eigentlich für überwunden gehalten hatten“, sagt sie. Für den vermeintlichen eigenen Vorteil werde auf Abgrenzung gesetzt. Immer wieder müsse erläutert werden, warum offene Märkte Vorteile bringen für Arbeitnehmer, Verbraucher und Unternehmen.

„Angesichts der neuen amerikanischen Administration ist das nicht einfach. Und trotzdem müssen wir uns der Mühe unterziehen“, sagt die G20-Gastgeberin und lässt keinen Zweifel daran, wer sich der Auseinandersetzung in Hamburg Anfang Juli beim Treffen der mächtigsten Länder der Welt stellen wird. Langer Beifall, Merkel kokettiert, die Regie habe ihr nur eine bestimmte Redezeit eingeräumt.

Schulz Auftritt nach Vorlage seines Steuerkonzepts

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz biederte sich nicht an.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz biederte sich nicht an. © Getty Images | Sean Gallup

Herausforderer Martin Schulz ahnt, dass der Auftritt beim BDI kein Selbstläufer ist. Doch der Kanzlerkandidat scheint die verlorenen Landtagswahlen erst mal weggesteckt zu haben. Einen Tag nach der Vorlage seines Steuerkonzepts tritt er locker und kampfeslustig an.

Sein Einstieg sichert ihm die Sympathie des Publikums: „Ich habe gelesen, dass Frau Merkel zunächst als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland begonnen hat und dann am Ende gesagt hat, dass sie als CDU-Vorsitzende redet. Ich schlage Ihnen vor, ich mach’s umgekehrt: Ich starte zunächst als SPD-Vorsitzender und rede zum Schluss als zukünftiger Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.“

Schulz weiß, dass er nur eine Chance hat, wenn er klar Profil zeigt. Doch er biedert sich nicht an, sondern hebt etwa hervor, dass seine Partei gescheitert ist in den Verhandlungen mit der Union über ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit und er diesen Punkt gern durchsetzen würde. „An der Stelle steht im Manuskript, dass sie nicht klatschen“, scherzt der 61-Jährige; er behält recht. Am Ende seiner Rede gibt es aber auch für ihn wohlwollenden Applaus.

Aussagen

Beide Politiker mahnen dringend eine Reform der EU an. Merkel lehnt eine Vergemeinschaftung von Risiken in der Eurozone ab, zeigt sich aber unter bestimmten Bedingungen offen für ein Eurobudget und einen europäischen Finanzminister. Schulz macht sich für einen europaweiten Bürokratieabbau stark, mahnt Solidarität in der Flüchtlingsaufnahme an.

Reformfreudigkeit

Warum soll sich viel verändern, wenn es doch gut läuft, lässt sich Merkels Rede zusammenfassen. Beispiel Rente: Sie sehe nach der Wahl keinen Bedarf für eine große Rentenreform. Wegen der hohen Erwerbstätigkeit liege das erwartete Rentenniveau über den Prognosen, die Beiträge zugleich unter den erwarteten Steigerungen. „Es gibt aus unserer Sicht bis 2030 keine Notwendigkeit, das Rentensystem jetzt wieder zu verändern.“

Eine gewisse „Unruhe“ befalle sie jedoch bei beim Thema Digitalisierung der Produktion. Hier bittet sie die Unternehmen, „groß“ zu denken, um nicht hinter den großen Playern wie China hintanzustehen. Den Breitbandausbau zählt die Kanzlerin zur „Daseinsvorsorge“, hier werde verstärkt investiert, verspricht sie.

Schulz hebt die von der SPD geplanten Milliardeninvestitionen hervor. Vor allem in Bildung müsse Geld gesteckt werden. Die Digitalisierung will er zur Chefsache machen. Sein Anspruch sei es, mit einem Investitionsprogramm bis 2025 für schnelles Internet in Stadt und Land zu sorgen. „Es muss Schluss sein mit diesen Trippelschritten, mit diesem Auf-Sicht-Fahren.“

Wahlkampffaktor

Die CDU-Chefin schaltet zum Schluss ihrer Rede nur kurz auf Wahlkampf um: „Wir wollen den Solidaritätszuschlag ab 2020 schrittweise abschaffen – und zwar für alle“, erklärt sie und reagiert damit auf die Steuerpläne der SPD, die den Soli für untere und mittlere Einkommen abschaffen will.

Merkel spricht sich auch vage für Steuerentlastungen, ein genaues Konzept werde noch vorgestellt. An der Erbschaftsteuer will sie nicht mehr drehen. Schulz kontert, wirft der Kanzlerin vor, keine Antwort auf Zukunftsthemen zu haben. Er kritisiert die von der Union in Aussicht gestellten Steuersenkungen. Ein modernes Deutschland „braucht keine Versprechen, die unseriös sind“.

Fazit

Merkel nutzt versiert die Vorteile ihres Amtes, verweist vor allem auf bestehende Erfolge, wird selten konkret. Schulz hat verstanden, dass es nicht reicht, auf die Konzepte der Union zu warten, sondern dass er selbst vorangehen muss. Eine Neuauflage der großen Koalition rückt so inhaltlich erst mal in weite Ferne. Gut für den Wahlkampf.