Berlin. Die große Koalition habe trotz vieler Fälle wenig für die Bekämpfung von Kindesmissbrauch getan, kritisiert der Missbrauchsbeauftragte.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bunderegierung hat sich schockiert über den ersten Zwischenbericht der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs gezeigt. „Der Bericht ist tief erschütternd“, sagte Johannes-Wilhelm Rörig unserer Redaktion.

Er gebe einen intensiven Einblick in das Leid missbrauchter Kinder und das Versagen ihres Umfelds. „Manche Betroffene haben zum ersten Mal über ihre Erlebnisse gesprochen“, sagte Rörig. „Ich bin sehr froh, dass wir der Regierung diese unabhängige Kommission gegen den Widerstand in der Großen Koalition überhaupt abgerungen haben“.

Rund 1000 Betroffene haben sich gemeldet

Am Mittwoch veröffentlicht die Unabhängige Kommission den Zwischenbericht. Die Kommission hatte im Mai 2016 ihre Arbeit aufgenommen. Sie untersucht sämtliche Formen von sexuellem Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik und in der DDR. Seit Mai 2016 haben sich bei der Kommission rund 1000 Betroffene und andere Zeitzeugen für eine vertrauliche Anhörung gemeldet. Davon konnten bisher etwa 200 durchgeführt werden. Zusätzlich sind 170 schriftliche Berichte eingegangen.

Rörig beklagte, dass die Zahl der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch bisher nicht zurückgegangen sei. „Wir haben eine ungebrochen hohe Fallzahl. Jedes Jahr gibt es mehr als 12.000 Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Kindesmissbrauchs. Das Dunkelfeld ist noch sehr viel größer“, so Rörig gegenüber unserer Redaktion. Scharfe Kritik übte der Missbrauchsbeauftragte an Politik und Zivilgesellschaft: Nach den ersten großen Missbrauchsskandalen sei die Aufmerksamkeit groß gewesen. Doch das habe sich mittlerweile geändert: „Politik und Gesellschaft sind in den letzten Jahren abgestumpft, viele verdrängen die Missbrauchsopfer, sie schauen wieder weg.“

Große Koalition habe Aufarbeitung nicht vorangetrieben

Die Bekämpfung des Missbrauchs sei in der Zeit der Großen Koalition auf politischer Sparflamme gelaufen. Auch bei der Aufarbeitung sei vieles schlecht gelaufen: So habe Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) es versäumt, die Reform des Opferentschädigungsgesetzes auf den Weg zu bringen. „Das ist eine Riesenenttäuschung für die Betroffenen“, so Rörig. Das Verfahren, das Betroffenen derzeit zugemutet werde, sei dem Rechtsstaat nicht würdig. (jule)