Nach der Wahlniederlage von Premierministerin May stehen unruhige Zeiten bevor – den Briten und ebenso auch den Kontinentaleuropäern.

Sie hat zu hoch gepokert, sie hat fast alles verloren – und trotzdem will die britische Premierministerin Theresa May nun weiterregieren. Mit ihrem Coup, nach dem Verlust der absoluten Mehrheit umgehend die Weichen für eine Minderheitsregierung zu stellen, beweist May in der Stunde der Not immerhin Nervenstärke. Und doch hält sie die Briten schon wieder zum Narren: Von stabilen Verhältnissen, die die Premierministerin in Aussicht stellt, kann keine Rede sein – der Insel stehen unruhige Zeiten bevor, auch Europa darf sich Sorgen machen.

Das alles nur, weil May sich gnadenlos verzockt hat. Sie wollte mit der ohne Not ausgerufenen Neuwahl eine komfortable Mehrheit im Unterhaus einfahren, sie wollte ein starkes Mandat für die anstehenden Brexit-Verhandlungen. Das Gegenteil hat sie erreicht. So haben sich die Konservativen zum zweiten Mal verkalkuliert: Erst vor einem Jahr hatte Mays Vorgänger Cameron aus innenpolitischem Kalkül von den Briten per Referendum Unterstützung für den Verbleib in der EU eintreiben wollen. Das Ergebnis ist bekannt, Cameron musste nach dem Brexit-Votum zurücktreten.

May bleibt im Amt, weil kein passabler Nachfolger bereit war

May ereilt nach ihrem ebenso verunglückten Vabanquespiel nur deshalb nicht das gleiche Schicksal, weil bei den Tories so schnell kein überzeugender Nachfolger zum Sturz der Wahlverliererin bereitstand. Dabei ist es vor allem ihre Niederlage: Die Regierungschefin hat nicht nur zu hoch gewettet, sie hat auch eine unerwartet schlechte Figur im Wahlkampf gemacht. Sie wollte aus der Wahl eine Brexit-Abstimmung machen, doch die Bürger trieb mehr die Angst vor Terror um, das Thema soziale Gerechtigkeit oder die Bildungspolitik.

Auch wenn sich die Konservative im Amt halten sollte, wird ihr politischer Überlebenskampf viel Kraft kosten. Noch ist gar nicht ausgemacht, dass sich die Tories auf die EU-Skeptiker der nordirischen DUP werden stützen können. So oder so ist eine Minderheitsregierung eine Wackelpartie – in Zeiten, in denen das offenkundig tief gespaltene Land einen starken Premier bräuchte.

May geht geschwächt in Brexit-Verhandlungen

Einen, der Gegner und Befürworter eines Brexit, Arme und Reiche wieder zusammenführen könnte und den Norden des Landes wieder mit dem Süden versöhnt. Stattdessen droht Großbritannien eine Hängepartie, an deren Ende vielleicht doch wieder Neuwahlen stehen. Beunruhigende Aussichten auch für uns Kontinentaleuropäer. Denn May geht nun geschwächt in die Brexit-Verhandlungen mit der EU, die übernächste Woche beginnen sollten.

Nur ein starker Regierungschef aber kann fair verhandeln und Kompromisse machen, ohne zu Hause einen Aufstand fürchten zu müssen. May hat die Briten über die Notwendigkeit von Kompromissen bislang getäuscht, jetzt gerät sie auf dünnes Eis. Der Regierungschefin fehlt für ihren Kurs des harten Brexit, für den Abschied vom Binnenmarkt, eine solide Parlamentsbasis – doch bei jeder Kursänderung droht der Aufstand der Hardliner unter den Konservativen.

Selbst Brexit ohne eine Einigung ist möglich

May steht also unter größtem Druck. Sehr wahrscheinlich werden die Brexit-Verhandlungen jetzt noch schwieriger. Die EU täte gut daran, in dieser Lage nicht mit scharfen Tönen Stärke zu demonstrieren, sondern Entspannungssignale zu senden. Der Spielraum dafür ist allerdings begrenzt. Die Uhr tickt, in zwei Jahren muss der Austritt besiegelt sein.

Da ist es nicht mehr ausgeschlossen, dass die Brexit-Verhandlungen scheitern – und Großbritannien ganz ohne Vereinbarung die EU verlässt. Das wäre für beide Seiten schlecht, für Großbritannien allerdings wäre es wirtschaftlich eine Katastrophe.