Im Streit um Incirlik hat sich Außenminister Gabriel eine Abfuhr in Ankara abgeholt. Doch er verstand es auch, die Wogen zu glätten.

Das Gute am Türkeibesuch von Außenminister Sigmar Gabriel: Die offene Eskalation wurde vermieden, die in einen knallharten Bruch der bilateralen Beziehungen hätte münden können. Gabriel tat alles, um die Schärfe aus der Debatte zu nehmen. Eine Eigenschaft, die in der Vergangenheit nicht unbedingt zu seinen Stärken zählte.

Der Außenminister verstand es, die Wogen zu glätten und trotzdem die unterschiedlichen Auffassungen anzusprechen. Das betraf den Verweis auf die rechtsstaatlichen Verfahren in Deutschland bei Asylanträgen ebenso wie die Bitte um die Freilassung des deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel.

Sigmar Gabriel hatte kaum Spielraum

Beim Streit um das Besuchsrecht von Bundestagsabgeordneten im türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik hatte Gabriel keinen Erfolg. Das lag weniger am Außenminister. Er verfügte von Anfang an über einen denkbar geringen Manövrierspielraum. Berlin und Ankara hatten sich in den vergangenen Wochen durch gegenseitige Ultimaten in ein Konfrontationsszenario geritten, aus dem sie nicht mehr heraus konnten.

Die Bundesregierung hatte Ende Mai signalisiert: Entweder die Türkei bewegt sich innerhalb der nächsten zwei Wochen beim Besuchsrecht für Bundestagsabgeordnete in Incirlik, oder die Entscheidung über den Abzug der Bundeswehr kommt – sehr wahrscheinlich Richtung Jordanien.

Gabriel wollte offene Auseinandersetzung vermeiden

Gabriels eigene Partei setzte den Außenminister zusätzlich unter Druck, indem sie einen sofortigen Umzug forderte. Der Bundestagswahlkampf wirft seine Schatten voraus. Mit verbalen Attacken gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der von vielen Deutschen als autokratieversessener Buhmann angesehen wird, will die SPD innenpolitisch ebenso profitieren wie die Linkspartei oder die Grünen.

Was Gabriel unter allen Umständen vermeiden wollte, war die offene rhetorische Auseinandersetzung. Ausgerechnet der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ein Meister des diplomatisch wattierten Wortes, hatte sich im November 2016 einen verbalen Schlagabtausch mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu geliefert.

Europa hat sich nach Putschversuch nicht klug verhalten

Die Operation Schadensbegrenzung ist Gabriel geglückt. In diesen Zeiten ist das nicht wenig. Die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara waren über weite Strecken kontaminiert. Natürlich hat Erdogan oft auf eklatante Weise überreagiert: Das trifft auf die „Nazi“-Vorwürfe gegen Deutschland ebenso zu wie auf die Massenverhaftungen im eigenen Land. Man würde es sich allerdings zu einfach machen, Erdogan für alle Entgleisungen in Haftung zu nehmen.

In der Disziplin politischer Psychologie hat sich Europa jedenfalls nicht hervorgetan. Kurz nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 wäre es für EU-Politiker klüger gewesen, sofort in die Türkei zu fliegen und dem Nato-Partner Solidarität zu bekunden. Stattdessen verfielen viele zu schnell in bequeme Erdogan-Schelte.

Den kleinsten gemeinsamen Nenner finden

Nun gilt es, zumindest wieder ein Arbeitsverhältnis mit der Türkei aufzubauen. Das Rezept lautet: miteinander statt übereinander reden. Das ist heute wichtiger denn je. Die Weltpolitik wird von einer Phase höchster Unsicherheit geprägt. Die alten Gewissheiten sind dahin.

Egal ob US-Präsident Donald Trump, sein russischer Amtskollege Wladimir Putin, Erdogan oder der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping: Europa kann sich nicht in einer Wagenburg der moralischen Besserwisserei verschanzen.

Die Kunst besteht in diesen Tagen darin, Zonen des kleinsten gemeinsamen Nenners zu finden. Man kann sich seine Partner nicht backen. Es geht um Realpolitik, die Ergebnisse erzielt, nicht um ideologische Wohlfühloasen.