London. Die Polizei reagierte schnell – dennoch wurden die Londoner Attentäter nicht rechtzeitig gestoppt. Theresa May reagiert nun mit Härte.

Es ist kurz nach zehn Uhr an einem sommerlichen Samstagabend. Auf der London Bridge und im nahe gelegenen Borough Market am Südufer der Themse steppt der Bär. Man feiert unbeschwert das Wochenende, die Straßen sind voller Menschen, ebenso die zahlreichen Restaurants und Pubs. Dann nimmt das Unglück seinen Lauf. Ein weißer Lieferwagen rast auf der London Bridge heran. Der Wagen fährt auf den Bürgersteig auf und rammt Passanten. Schnell ist jedem klar: Dies ist eine Attacke.

Die Menschen rennen, so gut sie können. Der weiße Lieferwagen stoppt auf Höhe von Borough Market, drei Männer springen heraus. Sie sind mit Messern bewaffnet, deren Klingen gut 30 Zentimeter lang sind. Sie fangen an, wahllos auf Menschen einzustechen. „Alle schrien: Terroristen!“, berichtete Augenzeuge Gerard gegenüber der BBC, „jeder versuchte wegzurennen. Die drei Kerle liefen herum und schrien: ‘Dies ist für Allah, dies ist für Allah’. Sie stachen auf dieses Mädchen ein, vielleicht zehn, 15 Mal. Sie rief: ’Helft mir, helft mir’, aber ich konnte nichts tun.“

Attentäter innerhalb von acht Minuten erschossen

Um 22.08 Uhr geht der erste Notruf bei der Londoner Polizei ein. Bewaffnete Einheiten reagieren sofort. Innerhalb von acht Minuten, so wird später Mark Rowley, Chef der nationalen Terrorabwehr bei Scotland Yard, erklären, seien die drei Attentäter von Polizisten erschossen worden. Sie hätten Sprengstoffwesten getragen, die sich allerdings als Attrappen herausstellten. Sieben Opfer rissen die Terroristen in den Tod, 48 Menschen wurden verletzt, teilweise schwer. Der Blutzoll kann sich noch erhöhen, da sich einige Opfer in einem kritischen Zustand befinden.

London, und das gesamte Land, befinden sich im Schock. Der Terror sucht das Königreich heim. Erst vor etwas weniger als zwei Wochen detonierte ein Selbstmordbomber einen Sprengsatz bei einem Teenie-Konzert in Manchester und tötete 22 Menschen, darunter viele Kinder. Und genau zwei Monate davor, am 22. März, raste der Terrorist Khalid Masood mit einem Auto in eine Menschenmenge auf der Westminster Bridge und erstach danach einen Polizisten. Es war das Muster, nach dem auch die jüngste Attacke passierte.

Ukip stoppt Wahlkampf nicht

Die britische Premierministerin Theresa May kündigt neue Anti-Terror-Maßnahmen an.
Die britische Premierministerin Theresa May kündigt neue Anti-Terror-Maßnahmen an. © Getty Images | Leon Neal

Premierministerin Theresa May erklärte noch in der Nacht, dass sie den gerade laufenden Wahlkampf unterbreche, und kehrte nach London zurück, wo sie am Sonntagmorgen eine Krisensitzung von „Cobra“, des höchsten britischen Sicherheitsgremiums, leitete. Alle anderen Parteien verzichten ebenfalls darauf, den Wahlkampf fürs erste fortzuführen, außer der rechtspopulistischen Ukip-Partei, deren Chef Paul Nuttall erklärte, dass eine Unterbrechung genau das sei, „was die Terroristen wollen.“

Die Wahl, die für den nächsten Donnerstag, den 8. Juni, geplant ist, soll nicht verschoben werden, forderte die außenpolitische Sprecherin der Labour-Partei Emily Thornberry. Es ist eine Forderung, die Theresa May aus dem Herz spricht: Die Premierministerin bestätigte, dass der Wahlkampf am Pfingstmontag fortgesetzt und die Wahl selbst am Donnerstag stattfinden wird.

Londons Bürgermeister nennt Angreifer „bösartige Feiglinge“

Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan sprach „von der Trauer und der Wut, die unsere Stadt fühlt“. Er verdammte die „feigen Terroristen, die absichtlich unschuldige Londoner und Besucher, die ihren Samstagabend genießen wollten, ins Visier nahmen.“ Sie seien „bösartige Feiglinge und London wird niemals eingeschüchtert werden. Wir werden sie niemals gewinnen lassen.“

Die britische Premierministerin Theresa May trat am Sonntagvormittag vor die Tür ihres Amtssitzes in der Downing Street und hielt eine kurze Ansprache an die Nation. Die drei Terroranschläge in den letzten drei Monaten, sagte sie, seien nicht miteinander verbunden, aber sie hätten eines gemeinsam: Sie sind alle von einem islamistischen Extremismus inspiriert worden, den man jetzt mit allen Mitteln bekämpfen müsse.

May: „Genug ist genug“

May präsentierte einen Vier-Punkte-Plan. Man müsse diese Ideologie nicht nur durch Terrorabwehr bekämpfen, sondern auch mögliche Gefährder rechtzeitig erkennen und sie von ihrem Denken abbringen. Es dürfe zweitens keinen „safe space“, keine Rückzugsorte für den Extremismus auf dem Internet geben. Der Cyberspace müsse reguliert werden.

Auch müssten drittens die Rückzugsorte für Extremisten in der realen Welt bekämpft werden, ob das nun in Syrien oder in der westlichen Welt oder in Großbritannien selbst sei: Abgesonderte Gemeinschaften, von der übrigen Gesellschaft getrennte Glaubensgemeinden dürfe es nicht geben, so May. Und viertens müsse man darüber nachdenken, welche weiteren Hilfen man den Sicherheitskräften geben könnte, wozu auch eine Verlängerung der Untersuchungshaft von Terrorverdächtigen gehöre.

„Es ist Zeit zu sagen: Genug ist genug“, erklärte May. „Wenn es darum geht, den Extremismus zu bekämpfen, müssen sich die Dinge ändern. Vereint werden wir unsere Feinde angreifen und besiegen.“

Sicherheitskräfte ahnten nichts von neuer Attacke

Die offizielle Terrorwarnstufe war nach dem Manchester-Attentat auf den Spitzen-Level „critical“ erhöht worden, was bedeutet, dass ein weiterer Anschlag unmittelbar bevorstand. Er wurde danach wieder auf „severe“ gesenkt, weil es keine harten Beweise für einen kommende Terrortat gab. Die Sicherheitskräfte wussten also nichts von dieser geplanten Attacke.

Die Londoner Polizei reagierte nach der Meldung über die Angriffe innerhalb von wenigen Minuten.
Die Londoner Polizei reagierte nach der Meldung über die Angriffe innerhalb von wenigen Minuten. © Getty Images | Dan Kitwood

So beunruhigend die Häufung der Terroranschläge in Großbritannien über die letzten drei Monate ist, so willkommen war diesmal die Reaktion der Sicherheitskräfte. Innerhalb von nur acht Minuten nach dem ersten Alarm, unterstrich May stolz, hätten die Sicherheitskräfte die Attentäter unschädlich machen können.

Professioneller Einsatz der Sicherheitskräfte

Der Einsatz ist tatsächlich eine Empfehlung für die Professionalität und den Ausbildungsstand der Londoner Polizisten in den „Armed Response Vehicles“, den Polizeiautos mit den taktischen Spezialeinheiten, die Tag und Nacht Londoner Straßen patrouillieren und idealerweise nie weniger als acht Minuten von einem Terrorschauplatz entfernt sein sollen.

Andererseits sind drei erfolgreiche Anschläge innerhalb von 73 Tagen ebenso alarmierend wie die Tatsache, dass innerhalb der gleichen Zeit fünf weitere Anschläge vom Inlandsgeheimdienst MI5 und der polizeilichen Terrorabwehr vereitelt werden konnten. Die Zahlen demonstrieren eine drastisch gestiegene Bereitschaft von Terroristen, zuzuschlagen.

Rund 3.000 sogenannte „subjects of interest“, also Terrorverdächtige, kennen die Sicherheitskräfte in Großbritannien, weitere 10.000 Personen gelten als mögliche Sympathisanten. Zur Zeit werden zudem rund 500 geplante Terroranschläge untersucht. Angesichts des Ausmaßes der Bedrohung überrascht es nicht, dass Premierministerin Theresa May jetzt nach drastischen Maßnahmen ruft.