Berlin. Zahlen der Arbeitsagentur zeigen: Inzwischen hat fast jeder dritte Bezieher von Arbeitslosengeld II einen Pass aus einem fremden Land.

Im Kanzleramt schlugen die Ministerpräsidenten Alarm: Die zunehmende Zahl arbeitsloser Flüchtlinge werde zur Herausforderung für die Arbeitsmarktpolitik, mehr Flexibilität und Durchlässigkeit seien notwendig, erklärte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU).

„Wir laufen in ein riesiges Problem hinein, vor allem in den Stadtstaaten“, meinte auch Bremens Regierungschef Carsten Sieling (SPD) nach der Beratung der Länderchefs mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die sagte bei dem Treffen am Donnerstag zu, das Thema zum Schwerpunkt der nächsten Zusammenkunft zu machen.

Was die Politik umtreibt, ist an einer neuen Statistik der Bundesagentur für Arbeit ablesbar, die dieser Redaktion vorliegt: Die Zahl der Flüchtlinge, die ins reguläre Sozialsystem aufsteigen und Hartz IV beziehen, nimmt rapide zu. 777.000 Menschen aus „nicht europäischen Asylherkunftsländern“ erhalten jetzt die Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Anstieg um 431.000 oder 124 Prozent innerhalb eines Jahres. Allein eine halbe Million Hartz-IV-Empfänger kommt aus Syrien, 110.000 aus dem Irak, 65.000 aus Afghanistan.

Vor allem diese Entwicklung führt nun auch zu einer massiven Veränderung im Hartz-IV-System: Inzwischen ist fast jeder dritte Hartz-IV-Empfänger (31,1 Prozent) ausländischer Nationalität – 2011 lag der Ausländeranteil erst bei 19 Prozent, 2016 war die Quote schon auf 27 Prozent gestiegen. Insgesamt haben dem Behördenbericht zufolge 1,89 Millionen Ausländer Anspruch auf Hartz IV, ein Plus von 409.000 innerhalb eines Jahres.

150.000 Rumänen und Bulgaren beziehen Hartz IV

Zum Zuwachs beigetragen haben auch EU-Bürger, etwa jene 150.000 Rumänen und Bulgaren, die aktuell die Grundsicherung beziehen. Dass die Statistik nicht insgesamt in die Höhe schießt, liegt daran, dass parallel die Zahl deutscher Hartz-IV-Empfänger sinkt – um 235.000 innerhalb eines Jahres. „Die Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes wird zunehmend von Migration beeinflusst“, schreibt die Bundesagentur, die sich auf Daten von Februar und März 2017 stützt.

Es gilt auch im Positiven: Die Zuwanderung führt zu mehr Beschäftigung, die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer stieg binnen eines Jahres um zehn Prozent auf 3,3 Millionen – auch 188.000 Flüchtlinge sind bereits als Beschäftigte registriert, ein Anstieg um fast 50 Prozent innerhalb eine Jahres. Licht und Schatten bei der Arbeitsmarktintegration: Überraschend kommt die Entwicklung nicht, wie das Bundesarbeitsministerium auf Anfrage erklärt. Ministerin Andrea Nahles (SPD) hatte schon 2015 klargemacht, dass die Flüchtlinge mit etwas Zeitverzug die Arbeitslosenstatistik in die Höhe treiben werden.

Anspruch auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende hat, wer das Asylverfahren durchlaufen und eine Bleibeberechtigung erhalten hat. Vorher zahlen die Kommunen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Kosten für die öffentliche Hand ändern sich durch die Verlagerung kaum, Bund, Länder und Kommunen geben 2017 wohl 20 bis 25 Milliarden Euro für Unterhalt, Wohnung oder Integrationsförderung der Flüchtlinge aus.

Die Größe der Aufgabe wird jetzt erst sichtbar

Aber je mehr von ihnen jetzt ins reguläre Hartz-IV-System gelangen, desto sichtbarer wird die Größe der Aufgabe. Im Kanzleramt drängten die Ministerpräsidenten etwa auf eine bessere Sprachförderung der Zuwanderer und eine unkomplizierte Anerkennung von Berufsqualifikationen. „Der Einstieg in Arbeit muss beschleunigt werden,“ hieß es im Anschluss. Was noch getan werden kann, sollen Arbeitsministerium und Bundesagentur für Arbeit für das nächste Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten auflisten.

Es wird so oder so ein langer, mühsamer Prozess. Die Bundesagentur geht davon aus, dass nach fünf Jahren etwa 50 Prozent der Flüchtlinge einen Job haben könnten – wenn es gut läuft, zahlen sich die Investitionen des Staates mittelfristig in Steuer- und Beitragseinnahmen wieder aus. Grund zum Pessimismus gibt es nicht, urteilt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einer Studie: Im Vergleich zu anderen Staaten sei Deutschland gut für die Herausforderungen gerüstet. Ein wichtiger Faktor für die Integration sei die Arbeitsmarktlage zum Zeitpunkt der Ankunft: „Unter diesem Gesichtspunkt dürften die Integrationsaussichten in Deutschland gut sein.“

Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge erweisen sich als Flop

Die Bundesregierung hatte bereits im Vorjahr die Auflagen zur Arbeitsaufnahme von Asylbewerbern gelockert, Integrationskurse und Sprachförderung massiv ausgebaut. Die Arbeitsmarktexperten der OECD raten aber, die Jobcenter systematisch schon während der Asylverfahren in Integrationsmaßnahmen einzubeziehen. Die Sprachkurse sollten verstärkt, Arbeitgeber besser unterstützt und besondere Angebote für Geringqualifizierte gemacht werden, so die Studie. Allerdings: Ein Programm, mit dem Nahles Flüchtlinge in Ein-Euro-Jobs bringen wollte, erweist sich als Flop. Weniger als ein Viertel der 100.000 Plätze sind bislang belegt.

Die Bundesagentur für Arbeit bilanziert nun nüchtern, die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen werde mehrere Jahre brauchen. „Ihre Arbeitslosmeldung ist ein erster Schritt in einem Integrationsprozess, der aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse und formalen Qualifikationen längere Zeit in Anspruch nehmen wird“, heißt es in dem Bericht. Nahles drückt es prägnanter aus: „Das ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf.“