Berlin. Der Pflegebetrugsfall ist höchst alarmierend. Der sensible Bereich der Pflege darf kein Ort sein, der von Kriminellen ausgebeutet wird.

Ein paar Details aus dem Ermittlungsbericht machen deutlich, worum es bei den aufgeflogenen Fällen von Pflegebetrug in Wirklichkeit geht. Waffen, Auftragsmorde, Geldwäsche – das alles hat nichts mit der Pflegebranche zu tun, dafür umso mehr mit organisierter Kriminalität.

Die gute Nachricht, wenn man so will, lautet also: Das System der ambulanten Pflege steht grundsätzlich nicht infrage. Gleichwohl ist das, was passiert ist, höchst alarmierend. Denn der sensible Bereich der Pflege darf kein Ort sein, der von Kriminellen unterwandert wird.

Dass die Pflege ein attraktives Geschäftsfeld ist und damit auch für Kriminelle interessant, kann nicht überraschen. Der Markt für Gesundheitsleistungen wächst enorm. Wir leben länger und sind länger mobil. Es gibt auf diesem Markt also immer mehr Geld zu verdienen; auch ohne kriminelle Absichten ist das ein Milliardengeschäft.

So gesehen war es absehbar, dass sich kriminelle Banden für diesen Bereich interessieren. Dass es in der Gesundheitsbranche schwarze Schafe gibt, ist nicht neu. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen Apotheker, Ärzte oder auch Pflegedienste korrupt sind oder Abrechnungsbetrug betreiben. Neu sind die Dimensionen der aufgedeckten Netzwerke.

Ambulante Pflege schwerer zu kontrollieren

Dass es so weit kommen konnte, hat Gründe. Zuallererst: Ambulante Pflegedienste lassen sich schwerer kontrollieren als Pflegeheime. Ein Heim ist ein halb öffentlicher Ort, amtliche Prüfungen sind dort eher und öfter möglich als in privaten Wohnungen. Die eigenen vier Wände aber sind unverletzlich. Kontrolleure können nicht unangemeldet vor der Tür stehen und sich Einlass verschaffen.

Ambulante Pflege ist deshalb – trotz aller existierender Kontrollen – vor allem Vertrauenssache. Natürlich haben Pflegedienste theoretisch ein Interesse daran, mehr abzurechnen, als sie tatsächlich leisten. Es gibt solche Fälle. Doch in der Regel will kaum ein alter Mensch pflegebedürftiger erscheinen, als er ist. Und kein Arzt hat Interesse daran, ihn künstlich kränker zu machen. Normalerweise funktioniert diese gegenseitige Kontrolle.

Schwierig wird es, wenn alle Beteiligten unter einer Decke stecken. Nur weil im vorliegenden Fall auch wirklich alle mitgemacht haben, konnte der Betrug überhaupt funktionieren. Pfleger, Patienten und Ärzte haben sich den Gewinn geteilt, das dürfte ein erheblicher Anreiz gewesen sein.

Restrisiko müssen wir in Kauf nehmen

Hinzu kommt, dass die Drahtzieher denselben oder einen ähnlichen nationalen Hintergrund haben. Ihre Komplizen – die Senioren – haben sie offenbar gezielt in der Gemeinschaft der hier lebenden Osteuropäer angeworben. Es ist unklar, ob die alten Menschen wirklich wussten, worauf sie sich einließen. Wahrscheinlich haben sie, die auf Hilfe angewiesen sind, ihren Landsleuten blind vertraut. Was muss das für eine Enttäuschung sein.

Was also ist zu tun? Es gibt bereits zahlreiche Kontrollen und niemand will, dass die ambulante Pflege zu einem größeren bürokratischen Akt wird. Dass Senioren zu Hause versorgt werden, ist mehrheitlich ihr Wunsch. Es ist auch der Wunsch vieler Angehöriger, die diese Pflege selbst nicht leisten können, weil sie berufstätig sind oder fern der Heimat leben. Weil ambulante Pflege zudem weniger kostet als die Unterbringung im Heim, wird sie von der Politik gefördert.

Mehr Ermittler, Schwerpunktstaatsanwaltschaften und überhaupt Stellen, bei denen Betrug gemeldet werden kann, sind sicher hilfreich. Grundsätzlich aber besteht kein Anlass, das System der ambulanten Pflege unter Generalverdacht zu stellen. Ein Restrisiko, dass dabei etwas schiefgeht, müssen wir in Kauf nehmen.