Berlin. Vieles ist schiefgelaufen bei der Präsentation des Wahlprogramms der Genossen. Das Chaos passt zum Bild, das die SPD derzeit abgibt.

Erst hat SPD-Chef Martin Schulz kein Glück, jetzt kommt auch noch Pech dazu: Bei der Präsentation des Wahlprogramms geht den Genossen schief, was nur schiefgehen kann. Das Konzept ist immer noch nicht fertig, die Änderungswünsche häufen sich, die Präsentation wird vorübergehend abgesagt – und als sich die Spitzengenossen am Montag über die Papiere beugen, müssen sie wegen Bombenalarms die Parteizentrale räumen.

Das Chaos passt ins Bild. Mit beachtlichem Ungeschick verstolpert die SPD im Vorwahlkampf, was eigentlich mit einem strategischen Plan lange vorbereitet war. An diskussionswürdigen Inhalten mangelt es den Genossen keineswegs. Mit ihren Forderungen nach etwas mehr Umverteilung, neuen Sozialleistungen etwa zugunsten von Familien, mehr Investitionen und mehr Europa – auch wenn es Deutschland finanzielle Zugeständnisse abfordert – bestätigt die SPD ihren vorsichtigen Linksschwenk und markiert mit Mut zur Kontroverse deutliche Unterschiede zur Union.

Finanzierung bleibt eher wolkig

Das Nein zu einer größeren Aufrüstung der Bundeswehr, die Profilierung als „Friedenspartei“ ist ein Thema, das im Wahlkampf durchaus zünden könnte. Allerdings: Was die SPD da an zusätzlichen Staatsgeldern für Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung, an Leistungen für Rentner oder für die Pflege plant, kostet viele Milliarden, deren Finanzierung eher wolkig bleibt.

SPD-Zentrale zeitweise geräumt

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    Mindestens so schwer wiegt auch, dass die Genossen ausgerechnet bei zentralen Punkten Antworten immer noch vermissen lassen. Gerade da, wo es um das sozialdemokratische Kernthema Gerechtigkeit geht, verstrickt sich die SPD unter Schulz in Widersprüche. Man kann nicht einerseits Arbeitnehmern Entlastungen in Aussicht stellen, andererseits aber an jeder Stelle den Vorrang von Investitionen betonen und schon den bescheidenen Steuersenkungsplan der Union als unseriös abtun.

    Schulz zeigt sich bei vielen Fragen unentschlossen

    Was sich hinter dem wolkigen Versprechen einer Stabilisierung des Rentenniveaus verbirgt, weiß die SPD selbst noch nicht. Derweil klagt der Vorsitzende erst mit Leidenschaft über Unwuchten des Hartz-IV-Systems, bietet dann aber nicht mehr als eine Minireform zu Weiterbildungsanreizen für Langzeitarbeitslose an. Erst ist Deutschland für ihn ein „ungerechtes“, jetzt vor allem ein „tolles“ Land.

    Die Unentschlossenheit in großen Fragen ist die offene Flanke von Schulz. Es geht ja beim Wahlprogramm nicht um irgendwelche Spiegelstrich-Kompromisse. Letztlich geht es um das Vertrauen der Wähler, dass der Kanzlerkandidat nicht nur mitfühlen kann, sondern einen Kompass hat und weiß, was in unsicheren Zeiten zu tun ist. Schulz hat jenseits der schönen Überschriften bislang nur unzureichend erklären können, wo eigentlich seine Prioritäten liegen und wie er sie anpacken will.

    Schulz will linken SPD-Flügel nicht verprellen

    Zu dieser Konturschwäche gehört die Lässigkeit, mit der sich der SPD-Chef auch eine rot-rot-grüne Koalitionsoption offenhält. Realistisch ist sie nicht, die Mehrheit der Bundesbürger und auch viele SPD-Wähler schreckt die Vorstellung einer Linksregierung ab – doch Schulz scheut eine klare Absage, weil er den linken SPD-Flügel nicht verprellen will. Das kann nicht gut gehen.

    Noch ist der Kanzlerkandidat in seiner Partei unangefochten. Er muss die Zeit nutzen, um endlich Profil zu gewinnen und klare Ansagen zu machen: in den wichtigsten Programmpunkten wie der Steuerpolitik ebenso wie in der Koalitionsfrage. Wer den Anspruch hat, Deutschland zu regieren, muss zeigen, dass er führen kann – auch mal gegen Widerstand in der eigenen Partei.