Hannover/Berlin/Essen. Stephan Weil stellt sich mit einem konkreten Vorschlag zu Steuersenkungen gegen Parteichef Schulz. Dessen Pläne sind noch immer unklar.

Bisher hält SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz nichts von Steuersenkungen. „Man kann natürlich Steuersenkungsversprechen pauschaler Art machen“, ätzte Schulz am Montagabend im ZDF. Doch die Steuerpläne der Union seien unseriös finanziert, die geplante Abschaffung des Solidaritätszuschlags zu teuer. Er würde die Arbeitnehmer lieber bei Gebühren und Sozialbeiträgen entlasten. Und auch Straßen, Schienen und Schulen müssten in Schuss gebracht werden.

Doch nach den verlorenen Landtagswahlen steigt der Druck auf Schulz, Farbe zu bekennen und mit seinen Plänen endlich konkreter zu werden, auch in der Steuerpolitik. Sein Parteifreund Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen, ist nun der erste, der offen verlangt, dass die SPD auch dieses Politikfeld besetzen muss.

Zeitpunkt von Weils Vorschlag nicht zufällig

„Es ist an der Zeit, den Bürgern im Land etwas zurückzugeben“, sagte Weil am Dienstag in Hannover. Dies sei möglich, ohne die Aufgaben aus den Augen zu verlieren, die der Staat finanzieren müsse. „Deshalb halten wir eine generelle Steuersenkung durch Änderungen beim Einkommensteuertarif im Umfang von zehn Milliarden Euro für gerecht und finanzierbar“, so Weil.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz extrem frustiert

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    Zwar betonte er: „Das ist kein Steuerkonzept der SPD.“ Der vom Münchner Ifo-Institut erarbeitete Vorschlag sei nur „ein Diskussionsbeitrag“, der bereits im Dezember in Auftrag gegeben worden sei. Doch das war tiefgestapelt. Dass Weil sein Steuerkonzept, das den Namen „Niedersachsentarif“ trägt, zwei Tage nach der NRW-Wahl vorstellte, sollte genau diese Diskussion in der SPD in Gang bringen. Es ist das erste konkret durchgerechnete Konzept aus den Reihen der Sozialdemokraten vor der Bundestagswahl.

    Gutverdiener sollen bei Weils Konzept mehr zahlen

    Spätestens seit der Steuerschätzung in der vergangenen Woche steht die Steuerpolitik oben auf der politischen Agenda: Fast 55 Milliarden Euro nehmen Bund, Länder und Gemeinden in den nächsten drei Jahren zusätzlich ein. Die Union will den Bürgern davon mindestens 15 Milliarden Euro pro Jahr zurückgeben. Sogar der DGB plädiert für deutliche Steuersenkungen für Arbeitnehmer. Die SPD aber ist auf diesem Feld noch unsortiert. Weil hat ein Interesse, die Debatte in seiner Partei in die richtige Richtung zu lenken: Im Januar 2018 ist er der nächste SPD-Regierungschef, der eine Landtagswahl bestehen muss.

    Der Niedersachse plädiert nun dafür, niedrige und mittlere Einkommen zu entlasten. Das soll für rund 75 Prozent der Steuerpflichtigen gelten. Gutverdiener sollen dagegen etwas mehr zahlen. „Nach unserem Modell werden Einkommen bis 112.000 Euro für Alleinstehende beziehungsweise bis 210.000 Euro für Verheiratete entlastet“, versprach Weil. Bürgern mit Jahreseinkommen zwischen 30.000 und 60.000 Euro kündigte der SPD-Politiker eine Entlastung von 500 bis 600 Euro an.

    Weil will auch den Soli abschaffen

    Der „Niedersachsentarif“ sieht vor, dass der Steuertarif bei niedrigen Einkommen zwischen 9000 und 25.000 Euro etwas flacher verläuft als bisher. Im oberen Bereich dagegen soll er ansteigen: Der Spitzensteuersatz soll nicht mehr 42 Prozent, sondern 49 Prozent betragen und nicht mehr ab 55.000 Euro, sondern ab 150.000 Euro gelten. Wer diese Summe verdient, müsste 1200 Euro mehr Steuern zahlen.

    Weil betonte, der Spitzensteuersatz sei damit noch immer niedriger als zu Zeiten von CDU-Kanzler Helmut Kohl. Sein Konzept habe „Maß und Mitte“. Da er parallel auch den Solidaritätszuschlag abschaffen wolle, der allein in den Bundeshaushalt fließt, bliebe unter dem Strich für Länder und Gemeinden mehr Geld als bei anderen Vorschlägen.

    Martin Schulz hat sich noch nicht entschieden

    Mit Kanzlerkandidat Schulz habe er über seinen Vorschlag gesprochen, sagte Weil. Schulz habe ihn sich aber „nicht zu eigen gemacht“, berichtete der Ministerpräsident. Wenn jemand eine bessere Idee habe, werde er sie sich anschauen, aber, so behauptete Weil selbstbewusst: „Ich habe bisher noch keinen gehört.“ Und wenn sich die SPD für ein anderes Steuerkonzept entscheide, „werde ich das nachvollziehen“. Größere Distanz kann man kaum zwischen sich und die Parteispitze bringen.

    Wie die offiziellen SPD-Pläne aussehen, ist noch immer unklar. Im Entwurf für das Wahlprogramm, der noch nicht verabschiedet ist, steht nur: „Die Mehrheit der Arbeitnehmer soll mehr Netto vom Brutto haben.“ Mit dem Steuerkonzept sei frühestens im Juli zu rechnen, sagte Generalsekretärin Katarina Barley gestern im Deutschlandfunk. Es sei kompliziert, weil es mit dem Rentenkonzept zusammenhänge.

    Zuschuss zur Rentenversicherung für Geringverdiener

    Tatsächlich gibt es in der SPD die Überlegung, Geringverdienern aus Steuergeld einen Zuschuss zur Rentenversicherung zu zahlen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass diese Arbeitnehmer vor allem unter hohen Sozialbeiträgen leiden. Von Steuersenkungen würden sie kaum profitieren, weil sie kaum Steuern zahlen. „Wenn überhaupt, dann muss in Deutschland über das Senken der Abgaben gesprochen werden und nicht der Steuern“, sagte Ex-Parteichef Sigmar Gabriel bei einem Auftritt in Essen. „Mit den jetzt einmalig hohen Einnahmen können wir keine Steuersenkungen finanzieren.“ Zunächst müsse der Investitionsstau beendet werden.

    Vielleicht gibt es aber doch noch Bewegung in Sachen Steuersenkungen bei der SPD. Der maßgeblich für das Wahlprogramm mitverantwortliche Fraktionschef Thomas Oppermann, selbst ein Niedersachse wie Weil, lobte die Vorschläge des Parteifreundes am Dienstag: „Das alles geht in die richtige Richtung.“