Wien . Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz strebt an die Spitze der konservativen ÖVP – und fordert indes vorgezogene Neuwahlen.

Er hatte lange geschwiegen. Dann aber trat Sebastian Kurz mit einer Botschaft auf, die nicht missverstanden werden konnte: Entweder so, wie ich will – oder gar nicht! Kurz formulierte es nur etwas diplomatischer, schließlich ist er Außenminister. „Wie es in der ÖVP weitergehen wird, liegt nicht an mir allein, sondern das liegt daran, ob meine Vorstellungen mitgetragen werden oder nicht. Und diese Entscheidung wird am Sonntag getroffen.“

Sebastian Kurz will von seiner Partei „alles oder nichts“, wenn sie am Sonntag zusammentrifft. Er verlangt volle Freiheit bei den Personalentscheidungen und bei Reformen. Er fordert damit nichts anderes als eine Revolution und stellt klar, dass er andernfalls nicht bereit sei, die Führung bei den Konservativen zu übernehmen. Er hat damit den Ball an die eigenen Leute zurückgespielt. Kurz hat derzeit die Macht dazu. Es läuft gut für den jungen Politiker. Kaum einer ist beliebter bei den Österreichern als Kurz.

Mit seiner Ansage legt sich der Außenminister nun mit seiner eigenen Partei an, der konservativen ÖVP. Dort sind die Bünde von Wirtschaftsleuten und Arbeitnehmern traditionell sehr stark. Die Mächtigen kommen vor allem aus Niederösterreich. Kurz sagt nun: Eine moderne politische Kraft müsse die besten Köpfe zulassen, egal ob diese eine Parteibuch hätten oder nicht, und „egal aus welchem Bundesland“ sie kämen. Unter Kurz würden diese Bünde wohl an Macht verlieren. Bei den Wahlen im Herbst will er unter dem Namen „Liste Kurz/ÖVP“ antreten.

Kurz ist der letzte Rettungsanker der ÖVP

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern.
Österreichs Bundeskanzler Christian Kern. © dpa | Lisi Niesner

Die mächtigen Landeshauptleute, die Bürgermeister und die Bündevertreter haben nicht viele Alternativen. Sie wissen, dass Kurz so etwas wie der letzte Rettungsanker der ÖVP ist. In den Umfragen hat er sensationelle Werte – die Österreicher bevorzugen Kurz sogar vor dem SPÖ-Chef und derzeitigen Regierungschef Christian Kern als Kanzler.

Österreichs Politik steckt in einer entscheidenden Phase: Die Koalition von SPÖ und ÖVP reibt sich in Machtkämpfen auf, die Konkurrenz der FPÖ ist stark – und jede Partei will sich in Stellung bringen für mögliche vorgezogene Neuwahlen. Genau dafür setzt sich ÖVP-Mann Kurz ein. Regulär sollten die Wahlen erst kommendes Jahr im Herbst stattfinden. Nun ist damit zu rechnen, dass sie bereits dieses Jahr im September oder Oktober durchgeführt werden. Kurz wies damit das Angebot von Kanzler Kern zurück, der ihm eine „Reformpartnerschaft“ angeboten hatte, also ein Weiterwursteln in der Koalition.

SPÖ reagiert mit scharfer Kritik

Die SPÖ reagierte auf das Statement von Kurz deshalb mit scharfer Kritik. Die Sozialdemokraten wollen Kurz nun den „schwarzen Peter“ dafür zuschieben, dass die Bürger verfrüht zu den Urnen gehen müssen. „Kurz hat klargemacht und aufgedeckt, warum die letzten Monate permanent blockiert worden ist. Es ist einfach nur darum gegangen, mutwillig Neuwahlen vom Zaun zu brechen“, sagte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Die SPÖ wolle hingegen lieber weiter das Regierungsprogramm – Mindestlohn und die Job-„Aktion 20.000“ – umsetzen.

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl.
Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl. © dpa | Herbert P. Oczeret

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl reagierte ein wenig ehrlicher: „Wenn man nicht mehr miteinander arbeiten kann, soll man es sein lassen“, kommentierte er das österreichische Drama. Tatsächlich befindet sich ja auch die SPÖ mental bereits seit Langem im Wahlkampf. Beide Seiten hatten sich wechselseitig in den vergangenen Monaten, ja sogar Jahren, durch Anwürfe aus der zweiten Reihe das Zusammenarbeiten schwer gemacht.

Die sogenannte große Koalition, also die Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP, hat eine lange Tradition in Österreich. In den letzten Jahren wurde sie aber durch das stetige Anwachsen der FPÖ immer schwieriger. Denn beide Parteien schielten mit Entsetzen und Panik auf die Rechtspopulisten, die in Umfragen an erster Stelle bei 37 Prozent liegen.

Auch die Sozialdemokraten gehen auf die Rechten zu

Dabei blieb kaum Energie für die eigentliche Arbeit übrig. Zudem verdächtigten sich beide gegenseitig, eigentlich eine Koalition mit der FPÖ anzustreben. In den vergangenen Tagen eskalierte nun die Situation in der Regierung. Insbesondere Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), der für einen brutalen Politikstil steht, attackierte den Koalitionspartner – offensichtlich wollte man, dass die SPÖ selbst die Zusammenarbeit aufgab. Die Folge war: Keine Seite war mehr bereit, sachlich zu arbeiten. Getroffene Vereinbarungen wurden einfach nicht mehr eingehalten.

FPÖ-Chef  Heinz-Christian Strache.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. © REUTERS | HEINZ-PETER BADER

Klar ist, dass eine Neuauflage der alten „SPÖ-ÖVP“-Koalition nach den vorgezogenen Neuwahlen nicht wirklich jenem Satz entspricht, den Kurz am Freitag betonte: „So wie es war, kann es nicht bleiben.“ Doch auch die SPÖ hat sich unter Kern Richtung FPÖ geöffnet. Und auch die SPÖ will eigentlich Neuwahlen, vor allem wegen der Wahlen in den Bundesländern kommendes Jahr, bei denen die Sozialdemokraten verlieren dürften.

Man darf mit einer harten Auseinandersetzung rechnen. Auch die FPÖ weiß, dass ihr Chef Heinz Christian Strache neben dem jungen Kurz bereits „alt“ aussieht. Strache könnte – so wie der Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer – deshalb den „Biedermann“ für die ältere Generation mimen. Die FPÖ hat bereits damit begonnen, sich auf den Außenminister „einzuschießen“.