Washington. Mit der Entlassung des FBI-Chefs Comey wollte Donald Trump bei einigen Republikanern Pluspunkte sammeln. Seine Rechnung geht nicht auf.
„Er ist berühmter geworden als ich.“ Der Satz, den sich Donald Trump Mitte Januar nach seiner Amtseinführung mit gequältem Lächeln über James Comey abrang, klang für viele wie eine versteckte Drohung des amerikanischen Präsidenten an seinen Top-Fahnder. Lesart: Das Monopol auf Schlagzeilen habe ich. Halt Dich künftig öffentlich bedeckt – sonst Karriere-Ende.
Der 2,03 Meter große Chef der Bundespolizei FBI, irische Wurzeln, fünffacher Familienvater, parteilos, aber den Republikanern wesensnah, durch viele Aussagen und Aktionen rund um die E-Mail-Affäre Hillary Clintons landesweit bekannt geworden, ignorierte diesen Fingerzeig.
Untersuchung von Trumps Russland-Connections
Noch im März bestätigte der bereits in der Regierung von George W. Bush als Vize-Justizminister eingesetzt gewesene Jurist vor laufender Kamera, dass Experten seiner 30.000 Mitarbeiter starken Behörde seit Monaten akribisch untersuchen, ob es im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 zu einer strafbaren Kooperation von „Trumpianern“ mit Handlangern von Russlands Machthaber Wladimir Putin gekommen ist. Ausgang und Zeitrahmen? Völlig offen.
Damit nicht genug. Comey fuhr Trump auch massiv in die Parade, als der seinem Vorgänger Barack Obama blank unterstellte, den Trump-Tower in New York geheimdienstlich verwanzt zu haben. „Dafür gibt es weder Indizien noch Beweise.“ Für Trump ein Fall von Majestätsbeleidigung.
Comey blieb von Trumps Tiraden unbeeindruckt
Er spricht in punkto Russland-Connection von einer dreisten „Medienerfindung“; „fake news“ eben. Seit Wochen wettert und twittert der New Yorker Milliardär gegen die Untersuchungen und die von Durchstechereien aus Behörden begünstigte Häppchen-Berichterstattung darüber.
Comey ließ das unbeeindruckt. „Wir ermitteln weiter in alle Richtungen“, sagte der in Yonkers/US-Bundesstaat New York geborene Karriere-Beamte erst vor wenigen Tagen bei einer Kongress-Anhörung.
Bei Trump, so die gängigste Version der Motivforscher, die sich seit Dienstag über eine der bemerkenswertesten politischen Hinrichtungen in der jüngeren amerikanischen Geschichte beugen, muss spätestens da der Geduldsfaden gerissen sein. Sechseinhalb Jahre vor Ablauf seiner Amtszeit ist James Comey auf Geheiß Trumps am Dienstagabend mit sofortiger Wirkung gefeuert worden.
Schockstarre in Washington
Das gab’s so noch nie. Das politische Washington ist in Schockstarre verfallen. Von „Putsch im Oval Office“ reden Analysten. Verfassungsexperten wie der CNN-Jurist Jeffrey Toobin werfen Trump eine „groteske Form von Machtmissbrauch“ vor, die einer Demokratie unwürdig sei. Prominente Kongress-Abgeordnete im demokratischen wie republikanischen Lager fühlen sich an dunklen Zeiten der Watergate-Affäre in den 70er Jahren erinnert. Damals feuerte der später zurückgetretene Präsident Richard Nixon den gegen ihn eingesetzten Sonder-Ermittler Archibald Cox.
Historiker erinnerten unterdessen daran, dass bisher noch nie ein US-Präsident den für die nationale Sicherheit zuständigen Top-Ermittler der Bundespolizei während einer laufenden delikaten Untersuchung gegen das Weiße Haus vor die Tür gesetzt hat. Dass Bill Clinton den damaligen FBI-Chef William Sessions rauswerfen ließ, sei 1993 allein auf finanziell-ethische Eskapaden zurückgegangen.
Diesmal liegen die Dinge anders. James Comey war zu Trumps „Tatzeit“ in Los Angeles und hielt eine Rede vor FBI-Rekruten, als ihn die Nachricht via Eilmeldungen im Fernsehen erreichte. Im ersten Moment glaubte der für seinen trockenen Humor bekannte Religionswissenschaftler an einen Scherz.
Trump liefert fadenscheinige Begründung
Zeitgleich hatte jedoch ein Leibwächter Trumps das knappe Entlassungsschreiben im Hoover-Building, dem FBI-Hauptsitz, im Herzen Washingtons bereits abgegeben. Inhalt: Das FBI benötige eine neue Führung, damit „das öffentliche Vertrauen wiederhergestellt“ werden könne. Trump ersparte sich Details, legte jedoch Wert auf die Feststellung, dass seine Entscheidung auf Empfehlungen von Justizminister Jeff Sessions und dessen Stellvertreter Rod Rosenstein gründe, denen er sich anschließe.
An dieser Stelle wird es interessant und bizarr zugleich. In einem eigens für den Anlass arrangiert wirkenden Memorandum hatten die Top-Juristen mit keiner Silbe die Russland-Affäre als Rausschmiss-Grund erwähnt. Ausschließlich Comeys Handhabung der E-Mail-Affäre Hillary Clintons habe „Reputation und Glaubwürdigkeit des FBI“ schwer in Mitleidenschaft gezogen. Das aber liegt zehn Monate zurück.
Comey hatte sich im Sommer 2016 ungewöhnlich deutlich dafür ausgesprochen, Clinton wegen ihrer allseits kritisierten Geheimniskrämerei beim digitalen Schriftverkehr nicht strafrechtlich zu belangen. Viele Kritiker sahen darin Amtsanmaßung, mindestens aber eine Überschreitung seiner Befugnisse.
Verwirrspiel zwischen Trump und Comey
Noch größer war der Unmut, als Comey knapp zwei Wochen vor der Wahl im November die Ermittlungen gegen Clinton spektakulär wieder aufnahm, um sie unmittelbar vor der Abstimmung dauerhaft ad acta zu legen. Grund: Man konnte der früheren Außenministerin nichts Strafbares nachweisen. Nach Clintons Wahlniederlage am 8. November wurde Comey deshalb von den Demokraten indirekte „Wahlkampfhilfe“ zugunsten Trumps angelastet.
Das ist die Trump-Familie
Der Nutznießer verhielt sich bis zuletzt erratisch. Erst stempelte er Comey zu einem Erfüllungsgehilfen Clintons. Dann nannte er Comey sehr „gutsy“ (mutig), Schließlich erklärte Trump, Comey sei mit Clinton doch viel zu wohlwollend umgegangen. Andernfalls „stünde sie jetzt vor Gericht“. Ja, was denn nun?, fragen US-Medien.
Das Gros nimmt Trump die seit Monaten bekannten Aspekte als Grund für den Rauswurf Comeys nicht ab.
Dabei ist das Timing wichtig.
Hatte Comey neue Fakten gegen Trump in der Hand?
James Comey hatte vor wenigen Tagen in einer Kongress-Anhörung über die Rolle der Clinton-Vertrauten Huma Abedin in der E-Mail-Affäre eklatant die Unwahrheit gesagt und musste später umfassend korrigiert werden. „Diese Verwundbarkeit wollte Trump eiskalt ausnutzen“, sagte ein Politik-Forscher der American University in Washington unserer Redaktion.
Als wahrer Grund für Comeys eilige Entsorgung müsse allein die für Trump offenbar bedrohlicher werdende Russland-Untersuchung angenommen werden. Hat Comey neue harte Fakten gegen Trump in der Hand? Haben sich Trumps Leute mit Putin-Handlagern ins Bett gelegt, um Hillary Clinton zu diskreditieren? Und hat Trump das Ganze womöglich geduldet oder gar abgesegnet?
Niemand weiß das bis heute verlässlich zu beantworten.
Comey-Nachfolge sorgt Demokraten
Führende Demokraten wie Chuck Schumer fürchten allerdings, dass die Untersuchungen des FBI unter der Leitung eines neuen, Trump-hörigen Behördenleiters gedeckelt oder ganz gestoppt werden könnten. „Das würde gravierende verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen.“ Sein Kollege Ron Wyden verlangt darum die unverzügliche Einvernahme Comeys, um den aktuellen Status der Russland-Ermittlungen abzuklären.
In seinem Schreiben an Comey stellte sich Trump schon mal vorsichtshalber selbst ein günstiges Zeugnis aus, dessen Wahrheitsgehalt aber nicht unabhängig überprüft werden kann. Comey habe ihm dreimal (!) persönlich versichert, dass er – Trump – nicht persönlich im Visier der Russland-Ermittler stehe. Das wäre neu.
Auch Demokraten wollen Klarheit
Selbst Republikanern, eigentlich Trumps Parteifreunde, ist das alles inzwischen suspekt. Senatoren wie John McCain oder der Kongress-Abgeordnete Justin Amash verlangen die Einsetzung eines offiziellen Sonderkomitees, um die mutmaßliche Ko-Produktion von Trump-Beratern und Kreml-Getreuen durchleuchten zu lassen.
Trump hat genau damit nicht gerechnet. Er hat, wie aus seinem Umfeld zu hören ist, „Beifall“ erwartet für den Abgang Comeys. Stattdessen ist von Staatskrise die Rede. Trump wirkt verunsichert. Auf Twitter flüchtete er sich an die Adresse der Kongress-Abgeordneten ins Ungefähre. „Wenn sich die Dinge beruhigt haben, werden sie mir noch dankbar sein.“