Berlin. Immer mehr Kinder in Deutschland kommen in Kliniken zur Welt und nicht zu Hause. Hebammen beklagen eine zunehmende Überlastung.

Wer in Deutschland ein Kind zur Welt bringen will, darf sich keine Illusionen machen. Natürliche Geburt oder Kaiserschnitt? Hausgeburt, Geburtshaus oder Wunschklinik – und immer die selbst gewählte, vertraute Hebamme an der Seite? Diese Wahlfreiheit gibt es für die meisten Frauen nur in der Theorie.

Die Praxis sieht anders aus: Die einen warten monatelang und oft vergeblich auf einen Platz im Geburtshaus oder klappern Dutzende freiberufliche Hebammen ab, weil alle ausgebucht sind. Andere müssen für die Geburt meilenweit fahren, weil das Krankenhaus am Ort seinen Kreißsaal geschlossen hat. Das Land erlebt einen kleinen Babyboom – doch die Geburtshilfe steckt in der Krise. Das hat viele Ursachen. Zum internationalen Hebammentag an diesem Freitag warnen Experten vor weiteren Verschlechterungen.

Die Zahl der Klinikgeburten steigt

Sichert Hebammen seine Unterstützung zu: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe.
Sichert Hebammen seine Unterstützung zu: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Die Klage über die sinkenden Geburtenzahlen ist verstummt: In Deutschland kommen seit einigen Jahren wieder mehr Kinder auf die Welt. Die zusammengefasste Geburtenziffer erreichte 2015 in Deutschland 1,5 Kinder je Frau. Einen ähnlich hohen Wert gab es zuletzt 1982 für das Gebiet des heutigen Deutschlands. Besonders deutlich fiel die Steigerung bei Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit aus, sie trugen nach Angaben des statistischen Bundesamtes wesentlich zum Anstieg der Geburtenziffer bei.

Die Zunahme spiegelt sich auch in den Belegungsplänen der Kreißsäle: Seit 2012 nimmt die Zahl der im Krankenhaus entbundenen Frauen stetig zu. Dagegen bringt nur ein Bruchteil der Frauen ihre Kinder außerhalb von Kliniken zur Welt: Der deutsche Hebammenverband (DHV) geht davon aus, das derzeit rund 1,5 Prozent der Entbindungen in Geburtshäusern oder zu Hause stattfinden.

„Der Trend zur Klinikgeburt wird sich noch weiter verstärken“, warnte DHV-Präsidentin Martina Klenk gegenüber unserer Redaktion. Die Hebammen in den Kliniken arbeiteten jedoch schon jetzt an der Grenze ihrer Kräfte: Sie betreuen zum Teil mehr als drei Gebärende parallel, seien vielfach erschöpft und hätten Angst, aus Müdigkeit Fehler zu machen: „Es gib keine verbindlichen Personalschlüssel in den Kliniken“, beklagt auch Susanne Steppat, Hebamme und Präsidiumsmitglied im DHV.

Die Auswahl der Geburtsorte wird kleiner

Viele Schwangere entscheiden sich bewusst für eine Klinikgeburt. Sollte es zu Schwierigkeiten unter der Entbindung kommen oder bei der Versorgung des Neugeborenen, fühlen sie sich in einem Krankenhaus gut aufgehoben. Das gilt gerade bei Risikoschwangerschaften, deren Zahl zunimmt, je weiter das Durchschnittsalter von Schwangeren steigt. In Deutschland waren Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes im Jahr 2015 bereits 29,5 Jahre alt, 2268 Kinder wurden von Frauen geboren, die 45 Jahre oder älter waren.

Für etliche Frauen aber ist der Gang ins Krankenhaus nur zweite Wahl, weil die Alternative fehlt. Viele Geburtshäuser haben lange Wartelisten, viele Hebammen sind jetzt schon überbucht. Zwar ist die Zahl der Hebammen in Deutschland im Jahr 2015 leicht gestiegen. Doch das Plus bei den Geburtshelferinnen geht ausschließlich auf die Festangestellten zurück – die Hebammen in den Kliniken. Die Zahl der freiberuflichen Hebammen ging sogar zurück – ein wichtiger Grund: Angesichts stark steigender Haftpflichtprämien lohnt sich der Beruf für viele nicht mehr.

Mehr als 20.000 Frauen arbeiten in Deutschland als Hebammen

Insgesamt arbeiteten in den Krankenhäusern in Deutschland rund 11.000 Hebammen. Die Mehrzahl von ihnen in fester Anstellung, dazu kamen knapp 2000 Belegkräfte – Hebammen, die sich per Vertrag an eine Klinik binden. Laut Hebammenverband gibt es in Deutschland darüber hinaus derzeit rund 10.000 Frauen, die keine Entbindungen begleiten, aber Vorsorge und Wochenbettbetreuung anbieten.

Martina Klenk, die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands.
Martina Klenk, die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands. © imago/Reiner Zensen | imago stock&people

„Wir brauchen ein Umdenken und eine Gesundheitspolitik, die wohnortnahe Geburtshilfe stärkt“, fordert Klenk. Die Arbeitsbedingungen für Hebammen müssten verbessert werden, eine 1:1-Betreuung für jede Schwangere Standard werden.

Gesundheitsminister Gröhe stellte sich am Donnerstag hinter den Berufsstand: „Hebammen leisten einen unverzichtbaren Beitrag für die Versorgung von Schwangeren, Müttern und Familien“, sagte er unserer Redaktion. Er werde dafür kämpfen, dass das auch in Zukunft so bleibe. Mit einer Reihe von Hilfen – wie etwa den Verbesserungen bei der Vergütung und der Haftpflichtversicherung – habe die Regierung bereits wichtige Schritte unternommen, „um die wertvolle Arbeit der Hebammen dauerhaft zu unterstützen“.

50 Kilometer bis zum nächsten Kreißsaal

Die Wahlfreiheit der Schwangeren wird aber noch durch eine andere Entwicklung eingeschränkt: Die flächendeckende Versorgung mit Kreißsälen ist in Deutschland längst Geschichte. Während es zu Beginn der 90er Jahre noch mehr als 1110 Krankenhäuser mit Entbindungsstation gab, waren es im Jahr 2015 nur noch rund 700. Die Folge: Schwangere müssen in etlichen Regionen Deutschlands oft unzumutbare Strecken zurücklegen, um einen Kreißsaal zu erreichen. „Manche müssen 50 Kilometer fahren“, kritisiert Klenk.

Mit der aktuellen Krankenhausreform könnten sich die Fahrtzeiten noch weiter verschlechtern: Wenn auf Dauer nur diejenigen Kliniken überleben sollten, die über große Erfahrung durch hohe Fallzahlen verfügen. Hinzu kommt: Frauen, die lieber außerhalb eines Krankenhauses gebären wollen, überlegen sich in ländlichen Regionen inzwischen zweimal, ob sie das Risiko eingehen wollen, im Notfall dann doch die weite Strecke bis zum nächsten Kreißsaal zu fahren. Auch sie würden sich im Zweifelsfall eher von vornherein für eine Klinikgeburt entscheiden, kritisiert Klenk.

Experten kritisieren hohe Zahl der Kaiserschnitte

Fast jedes dritte Kind (31,1 Prozent) kommt derzeit per Kaiserschnitt zur Welt. 1991 waren es nur 15 Prozent der Kinder. Zwar sank der Anteil bundesweit zuletzt leicht um 0,7 Prozentpunkte, doch die Sorge bleibt, dass bei weitem nicht jeder Eingriff nötig war: „Kaiserschnitte sollten nur dann vorgenommen werden, wenn sie medizinisch auch wirklich notwendig sind“, fordert Gesundheitsminister Gröhe. Mit einer neuen Leitlinie für die Geburtshilfe soll dieses Prinzip künftig besser durchgesetzt werden: Entscheidungen für oder gegen einen Kaiserschnitt sollten auf einer besseren wissenschaftlichen Grundlage erfolgen, so Gröhe.

Tatsächlich spielen heute nicht-medizinische Gründe in vielen Fällen die Hauptrolle: Die Nachfrage nach Wunschkaiserschnitten mit fixem Termin ist groß. Und: Planbare Eingriffe sind für Kliniken mit Personalnot attraktiv. Doch auch die medizinischen Risiken sind gewachsen – die steigende Zahl der Spätgebärenden, die wachsende Zahl der Zwillingsgeburten. Am Ende spielt in mancher Klinik auch die zunehmende Sorge vor Schadenersatzklagen eine Rolle.