Washington. Sehr milde fiel die Strafe gegen eine FBI-Übersetzerin aus, die den deutschstämmigen IS-Terroristen Denis Cuspert in Syrien heiratete.

„Agentin heiratet deutschen ISIS-Terroristen“. Unterzeile: „Deso Dogg fällt auf Liebesfalle des FBI rein.“ Die Geschichte, mit der die „Bild am Sonntag“ im Februar 2015 aufwartete, hatte das Zeug zum echten Krimi.

Unter Berufung auf amerikanische und deutsche Geheimdienstquellen berichtete das Blatt exklusiv von einer US-Undercover-Agentin, die gegen den aus Berlin-Kreuzberg stammenden Gangsta-Rapper Denis Cuspert (alias: Deso Dogg) eingesetzt worden sei.

Wollten US-Geheimdienste grobes Versagen kaschieren?

Um den bekanntermaßen zum IS-Terroristen „Abu Talha al-Almani“ konvertierten Sohn deutsch-ghanaischer Eltern auszukundschaften, habe die „akribisch auf den heiklen Einsatz“ vorbereitete „Top-Spionin“ Cuspert, Vater mehrerer Kinder von verschiedenen Frauen, in eine „Liebesfalle“ gelockt. Die „Romeo-und-Julia-Aktion“ sei „planmäßig“ verlaufen, bilanzierte das Autoren-Trio. Als die Agentin um ihr Leben gefürchtet habe, sei sie über den Umweg Türkei wieder in die USA zurückgekehrt und habe über den deutschen Dschihadisten ausgepackt. Auftrag erfüllt. Ende der Geschichte.

Nicht wirklich. Wie bisher unter Verschluss gehaltene Gerichtsunterlagen aus den USA nahelegen, die zuerst vom TV-Sender CNN ausgewertet werden konnten, könnte die Saga von der „Honigfalle“ eine Räuberpistole gewesen sein, mit der US-Geheimdienste grobes Versagen in den eigenen Reihen kaschieren wollten.

Gesichter der deutschen Islamisten-Szene

SVEN LAU: Der Ex-Feuerwehrmann aus Mönchengladbach ist eher ein Mann der leisen, emotionalen Töne. In der Szene ist er dafür zeitweise als „Weichei“ verspottet worden. Wohl zu Unrecht: Der Verfassungsschutz attestiert dem Salafistenprediger fortgeschrittene Radikalisierung.
SVEN LAU: Der Ex-Feuerwehrmann aus Mönchengladbach ist eher ein Mann der leisen, emotionalen Töne. In der Szene ist er dafür zeitweise als „Weichei“ verspottet worden. Wohl zu Unrecht: Der Verfassungsschutz attestiert dem Salafistenprediger fortgeschrittene Radikalisierung. © dpa | Marius Becker
Im Juli 2017 ist er als Terrorhelfer zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht sprach den 36-Jährigen wegen Unterstützung der islamistischen Terrormiliz Jamwa schuldig.
Im Juli 2017 ist er als Terrorhelfer zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht sprach den 36-Jährigen wegen Unterstützung der islamistischen Terrormiliz Jamwa schuldig. © dpa | Federico Gambarini
PIERRE VOGEL: Der Prediger und Ex-Profiboxer aus dem Rheinland ist ein Weggefährte Sven Laus. In jüngster Zeit distanzierte er sich ausdrücklich von der Terrormiliz „Islamischen Staat“ (IS) und soll dafür sogar Morddrohungen erhalten haben. Kuriosum am Rande: Sein Vater ist Hells-Angels-Rocker.
PIERRE VOGEL: Der Prediger und Ex-Profiboxer aus dem Rheinland ist ein Weggefährte Sven Laus. In jüngster Zeit distanzierte er sich ausdrücklich von der Terrormiliz „Islamischen Staat“ (IS) und soll dafür sogar Morddrohungen erhalten haben. Kuriosum am Rande: Sein Vater ist Hells-Angels-Rocker. © Getty Images | Christian Augustin
IBRAHIM ABOU-NAGIE: Der Salafist wurde 2012 bundesweit als Initiator der umstrittenen Koranverteilungsaktion „Lies!“ bekannt. Er soll mehrfach Juden und Christen beschimpft haben. Das Amtsgericht Köln verurteilte ihn wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe. Nagie hatte zu Unrecht 54.000 Euro Sozialleistungen kassiert. „Lies!“ ist inzwischen verboten, er klagt dagegen.
IBRAHIM ABOU-NAGIE: Der Salafist wurde 2012 bundesweit als Initiator der umstrittenen Koranverteilungsaktion „Lies!“ bekannt. Er soll mehrfach Juden und Christen beschimpft haben. Das Amtsgericht Köln verurteilte ihn wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe. Nagie hatte zu Unrecht 54.000 Euro Sozialleistungen kassiert. „Lies!“ ist inzwischen verboten, er klagt dagegen. © REUTERS | Wolfgang Rattay
DENIS CUSPERT (alias DESO DOGG): Der 40-jährige ehemalige Rapper aus Berlin hat sich vor einigen Jahren in den Nahen Osten abgesetzt. Er wird als IS-Terrorist gesucht und steht auf der Terrorliste der Vereinten Nationen. Cuspert werden schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen. Schon mehrfach wurde sein Tod kolportiert.
DENIS CUSPERT (alias DESO DOGG): Der 40-jährige ehemalige Rapper aus Berlin hat sich vor einigen Jahren in den Nahen Osten abgesetzt. Er wird als IS-Terrorist gesucht und steht auf der Terrorliste der Vereinten Nationen. Cuspert werden schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen. Schon mehrfach wurde sein Tod kolportiert. © dpa | Di Matti
BERNHARD FALK: Der 49-Jährige (l.) – hier mit Sven Lau bei einer Salafisten-Kundgebung in Wuppertal 2015 – hat als Linksterrorist der Antiimperialistischen Zellen fast 13 Jahre hinter Gittern gesessen. Bereits vor Haftantritt konvertierte er zum Islam. Falk bewundert die Taliban und distanziert sich vom „Islamischen Staat“. Er betreut bundesweit islamistische Gefangene – aber nur die, die schweigen und nicht mit den staatlichen Ermittlern kooperieren.
BERNHARD FALK: Der 49-Jährige (l.) – hier mit Sven Lau bei einer Salafisten-Kundgebung in Wuppertal 2015 – hat als Linksterrorist der Antiimperialistischen Zellen fast 13 Jahre hinter Gittern gesessen. Bereits vor Haftantritt konvertierte er zum Islam. Falk bewundert die Taliban und distanziert sich vom „Islamischen Staat“. Er betreut bundesweit islamistische Gefangene – aber nur die, die schweigen und nicht mit den staatlichen Ermittlern kooperieren. © imago | Future Image
METIN KAPLAN (alias KALIF VON KÖLN): Dem Anführer einer fundamentalistischen Bewegung war 1992 in Deutschland Asyl gewährt worden. Als er 1996 zur Ermordung eines Gegenkalifen aufrief und der Mann in Berlin erschossen wurde, begannen Ermittlungen gegen ihn. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilte Kaplan im Jahr 2000 zu vier Jahren Haft. 2004 wurde er in die Türkei abgeschoben, wo er wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und im Gefängnis sitzt. Mithilfe anderer plante er offenbar, die Türkei in einen islamistischen Gottesstaat zu verwandeln.
METIN KAPLAN (alias KALIF VON KÖLN): Dem Anführer einer fundamentalistischen Bewegung war 1992 in Deutschland Asyl gewährt worden. Als er 1996 zur Ermordung eines Gegenkalifen aufrief und der Mann in Berlin erschossen wurde, begannen Ermittlungen gegen ihn. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilte Kaplan im Jahr 2000 zu vier Jahren Haft. 2004 wurde er in die Türkei abgeschoben, wo er wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und im Gefängnis sitzt. Mithilfe anderer plante er offenbar, die Türkei in einen islamistischen Gottesstaat zu verwandeln. © REUTERS | Reuters Photographer
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FBI-Frau heiratete Terroristen aus freien Stücken

Denn Tatsache ist nach Aktenlage: Daniela Greene, eine frühere Übersetzerin im Dienste des FBI, hat in der Tat Cuspert im Sommer 2014 geheiratet. Aber nicht als „Auftragsarbeit“. Sondern offenbar aus freien Stücken. Die 38-Jährige, Spitzname „Dani“, saß unter anderem dafür unter strenger Geheimhaltung zwei Jahre lang im Gefängnis. Sie steht bis 2019 unter Bewährungsbeobachtung, muss Sozialdienst absolvieren und sich psychiatrisch behandeln lassen. Und das kam so.

Anfang 2014 ist die in der damaligen Tschechoslowakei geborene und in Deutschland aufgewachsene Frau, die perfekt Deutsch spricht, bereits drei Jahre für das FBI als Linguistin tätig. Sie erhält über das Büro der Bundespolizei in Detroit einen Spezialauftrag: Denis Mamadou Gerhard Cuspert, kurz: Deso Dogg, ausbaldowern.

Beim Skypen soll es gefunkt haben

Über drei verschiedene Skype-Zugänge, so wird es später FBI-Agent Keith Gallagher unter Eid bezeugen, kommuniziert sie mit dem Brutalo-Salafisten, der sich in Videos als Leichenschänder im Auftrag des „Islamischen Staates“ betätigt und gerade in Europa als zentrales Werkzeug zur Nachwuchs-Rekrutierung für das Terror-Kalifat gilt.

Dabei soll es zwischenmenschlich „gefunkt“ haben.

Im Juni 2014 beantragt Greene jedenfalls eine Auslandsreise. Weil sie über die höchste Sicherheitsstufe verfügt, muss sie sich exakt erklären. Sie will ihre Eltern in München besuchen, sagt sie. Der Trip wird genehmigt. Stattdessen fliegt sie kurz danach aus den USA One-Way nach Istanbul. Von dort geht es in die türkisch-syrische Grenzstadt Gaziantep. Hier wird sie von Cuspert in Empfang genommen, heiratet ihn und lebt zirka 30 Tage mit dem deutschen Gesicht der kopfabschneidenden Mörderbande IS in Syrien zusammen.

FBI verweigert bis heute nähere Details

Noch vor Ort, so sollen es in den Klageschriften zitierte E-Mails von Greene an eine anonymisierte Person in den USA nahelegen, dämmert ihr der Fehltritt: „Ich war schwach und wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Ich habe echt viel Mist gebaut.“ Die studierte Historikerin rechnet mit einer „langen Gefängnisstrafe“, sollte sie überhaupt jemals wieder nach Hause kommen. „Ich bin in einer sehr harschen Umgebung und ich weiß nicht, wie lange ich es hier mache.“

Danach wird es, auch weil das FBI bis heute nähere Details verweigert, diffus. Wie die in den USA bereits mit einem Soldaten verheiratet gewesene Sprachwissenschaftlerin und der Terrorist von der Spree tatsächlich zusammenfanden, wie sie das Geständnis ihm gegenüber überlebte, für das FBI zu arbeiten und auf Cuspert persönlich angesetzt zu sein, welcher Geheimdienst sie seit wann überwachte und auf welchen verborgenen Wegen sie am 6. August plötzlich wohlbehalten wieder in Amerika auftauchte, all das ist aus den an vielen Stellen geschwärzten Gerichtsdokumenten nicht zu entnehmen.

Prozess gegen FBI-Mitarbeiterin endet auffallend glimpflich

Dagegen stehen die Gerichtsunterlagen, die von der Mär mit der „Liebesfalle“ kaum etwas übrig lassen. Anfang August 2014 wird mit hoher Diskretion ein Fahndungsaufruf gegen Daniela Greene erlassen. Falschaussage (bei der Reisebeantragung) ist noch das geringste Vergehen, das man ihr vorwirft. Von „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ ist mehrfach die Rede.

Greene wird am 8. August festgenommen. Wen sie in Syrien geheiratet hat, wissen bis dahin nur ganz wenige Leute. Für den Rest ist es laut Unterlagen „Individuum A“. Es kommt zum Prozess. Das Verfahren endet im Dezember 2014 im Vergleich zu anderen IS-Fällen in Amerika, wo Haftstrafen von 13 Jahren und mehr verbucht wurden, auffallend glimpflich: zwei Jahre Gefängnis.

Dass die blonde Frau, die heute an einem geheim gehaltenen Ort in den USA in einem Hotel arbeitet und Medien-Interviews aus Rücksichtnahme „auf meine Familie“ ablehnt, so milde davon kam, geht ausweislich von Staatsanwalt Thomas Gillice auf ihre „bedeutsame, anhaltende und substanzielle Kooperation“ mit den Ermittlern zurück.

Ob Cuspert heute noch lebt, ist verlässlich nicht bekannt

Was genau Greene den Behörden über Cuspert erzählt hat, ist aber öffentlich nicht bekannt. Nur so viel: Im Januar 2015 ließ der damalige US-Außenminister John Kerry den 1975 in Deutschland geborenen Extremisten auf eine weltweite Terrorfahndungsliste setzen.

Im Sommer 2016 kam Greene nach 24 Monaten hinter Gittern auf freien Fuß. Unmittelbar zuvor mussten US-Stellen zum wiederholten Mal die Meldung korrigieren, dass Denis Cuspert bei einem Luftangriff getötet worden sei. Ob der Berliner (41) heute noch lebt, ist verlässlich nicht bekannt. Was das FBI unternommen hat, um eine Geschichte wie die von „Dani & Deso“ in Zukunft zu verhindern, ebenso. „Sicherheits-Schwachstellen“ seien „identifiziert“ und „reduziert“ worden, erklärte ein Sprecher.

Shawn Moore, der Anwalt von Daniela Greene, sagte, seine Mandantin habe es „gut gemeint“. Aber dann sei ihr die Sache „völlig über den Kopf gewachsen“. Im Gegensatz zu anderen, die dem IS in die Hände gefallen sind, hat sie ihn noch.