Ankara. Er sei bereit, ein Referendum zur EU abzuhalten, sagt Präsident Erdogan in einem Interview. „Warum sollen wir noch länger warten?“

Die Türkei erwägt nach den Worten von Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Umschwenken in ihrer Haltung zum EU-Beitritt, wenn das Land weiter hingehalten werde und feindselige Tendenzen anhielten.

Er sei bereit, ein Referendum zur EU abzuhalten, sagte Erdogan am Dienstag in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters. „Warum sollen wir noch länger warten?“ Die Türkei warte bereits seit 54 Jahren vor den Toren der EU, obwohl sie alles tue, was von ihr verlangt werde. Die Beitrittsgespräche begannen 2005. Die EU habe sich nun der Türkei verschlossen, kritisierte Erdogan. „Was das Ausmaß an Islamophobie betrifft, ist es in Europa sehr schwierig geworden.“

Nach dem Referendum: Vorwärts, immer – das Prinzip Erdogan

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    „EU begreift nicht, dass sie die Türkei braucht“

    In Großbritannien habe es ebenfalls eine Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft gegeben, sagte er mit Blick auf das Brexit-Referendum. „Sie haben nun Sicherheit, sie beschreiten den Weg in eine neue Zukunft ... das könnte auch die Türkei tun.“

    Die EU sei ohnehin am Rande der Auflösung, sagte er mit Blick auf Frankreich, wo die EU-Gegnerin Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National am Sonntag den Einzug in die Präsidentenstichwahl schaffte. Die EU habe nicht begriffen, dass sie die Türkei brauche, um ihr Fortbestehen zu sichern. „Sie finden es sehr schwierig, ein muslimisches Land wie die Türkei aufzunehmen“.

    Proteste gegen Erdogan nach Referendum

    Nach seinem knappen Sieg beim Verfassungsreferendum am Sonntag hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht nur Befürworter. Unterstützer des „Nein“-Lagers demonstrierten am Montag in der Hauptstadt Istanbul gegen den Ausgang des Referendums.
    Nach seinem knappen Sieg beim Verfassungsreferendum am Sonntag hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht nur Befürworter. Unterstützer des „Nein“-Lagers demonstrierten am Montag in der Hauptstadt Istanbul gegen den Ausgang des Referendums. © dpa | Emrah Gurel
    Im Stadtteil Besiktas im Zentrum der Millionenmetropole versammelten sich am Montagabend rund 2000 Demonstranten. Eine Frau hält bei einer Demonstration des „Nein“-Lagers ein Schild mit der Aufschrift „HAYIR KAZANDIK“ (etwa: „Nein, wir haben gewonnen“) hoch.
    Im Stadtteil Besiktas im Zentrum der Millionenmetropole versammelten sich am Montagabend rund 2000 Demonstranten. Eine Frau hält bei einer Demonstration des „Nein“-Lagers ein Schild mit der Aufschrift „HAYIR KAZANDIK“ (etwa: „Nein, wir haben gewonnen“) hoch. © dpa | Petros Karadjias
    Am Tag der Abstimmung kam es vor dem Hohen Wahlausschuss in Ankara auch zu Verhaftungen von Demonstranten.
    Am Tag der Abstimmung kam es vor dem Hohen Wahlausschuss in Ankara auch zu Verhaftungen von Demonstranten. © dpa | Burhan Ozbilici
    Die Türken stimmten am Sonntag, 16. April, über eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems ab, das Staatspräsident Erdogan mehr Macht verleihen würde.
    Die Türken stimmten am Sonntag, 16. April, über eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems ab, das Staatspräsident Erdogan mehr Macht verleihen würde. © dpa | Burhan Ozbilici
    Anhänger des „Nein“-Lagers schlugen als Zeichen des Protestes auf Töpfe. Erdogan verspottete die Demonstranten in einer Ansprache vor dem Präsidentenpalast. „Während das Ergebnis vom 16. April unser Volk zufriedengestellt und glücklich gemacht hat, hat es andere ganz ohne Zweifel enttäuscht“, sagte er. „Wie ich sehe, sind die mit den Kochtöpfen und Pfannen wieder aufgetaucht.“
    Anhänger des „Nein“-Lagers schlugen als Zeichen des Protestes auf Töpfe. Erdogan verspottete die Demonstranten in einer Ansprache vor dem Präsidentenpalast. „Während das Ergebnis vom 16. April unser Volk zufriedengestellt und glücklich gemacht hat, hat es andere ganz ohne Zweifel enttäuscht“, sagte er. „Wie ich sehe, sind die mit den Kochtöpfen und Pfannen wieder aufgetaucht.“ © dpa | Emrah Gurel
    In Anlehnung an die niedergeschlagenen Gezi-Proteste vom Sommer 2013 sagte Erdogan: „Das sind eben Gezi-Leute. Das sind die mit den Töpfen und Pfannen.“ Auch damals hatten Anwohner ihrem Protest durch das Schlagen auch Kochtöpfe Ausdruck verliehen.
    In Anlehnung an die niedergeschlagenen Gezi-Proteste vom Sommer 2013 sagte Erdogan: „Das sind eben Gezi-Leute. Das sind die mit den Töpfen und Pfannen.“ Auch damals hatten Anwohner ihrem Protest durch das Schlagen auch Kochtöpfe Ausdruck verliehen. © dpa | Emrah Gurel
    Auch in Deutschland wurde demonstriert: Unter dem Motto „Nein zur Diktatur – Ja zu Demokratie und Freiheit“ demonstrierten zum kurdischen Frühjahrsfest Newroz Kurden aus ganz Deutschland in Frankfurt am Main.
    Auch in Deutschland wurde demonstriert: Unter dem Motto „Nein zur Diktatur – Ja zu Demokratie und Freiheit“ demonstrierten zum kurdischen Frühjahrsfest Newroz Kurden aus ganz Deutschland in Frankfurt am Main. © dpa | Boris Roessler
    Im Istanbuler Viertel Kadiköy auf der asiatischen Seite versammelten sich ebenfalls mehrere Tausend Demonstranten.
    Im Istanbuler Viertel Kadiköy auf der asiatischen Seite versammelten sich ebenfalls mehrere Tausend Demonstranten. © dpa | Emrah Gurel
    Sie hielten Plakate in die Luft, auf denen in Anlehnung an den knappen Sieg des „Ja“-Lagers beim Referendum stand: „Das „Nein“ ist nicht zu Ende, es fängt gerade erst an“.
    Sie hielten Plakate in die Luft, auf denen in Anlehnung an den knappen Sieg des „Ja“-Lagers beim Referendum stand: „Das „Nein“ ist nicht zu Ende, es fängt gerade erst an“. © dpa | Emrah Gurel
    Die Gruppe „Hayir Besiktas“ (Nein Besiktas) hatte in dem Demonstrationsaufruf geschrieben: „Wir sind hier gegen Betrügereien, Ungerechtigkeiten und gestohlene Stimmen!“
    Die Gruppe „Hayir Besiktas“ (Nein Besiktas) hatte in dem Demonstrationsaufruf geschrieben: „Wir sind hier gegen Betrügereien, Ungerechtigkeiten und gestohlene Stimmen!“ © dpa | Petros Karadjias
    Oppositionsgruppen haben nach Beschwerden über zahlreiche Unregelmäßigkeiten beim Referendum in der Türkei zu Protesten in der Metropole Istanbul aufgerufen. Umstritten ist vor allem eine Entscheidung der Wahlkommission, die am Sonntagabend erklärt hatte, dass auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge als gültig gezählt würden. Die größte Oppositionspartei CHP forderte am Montag eine Annullierung des Referendums.
    Oppositionsgruppen haben nach Beschwerden über zahlreiche Unregelmäßigkeiten beim Referendum in der Türkei zu Protesten in der Metropole Istanbul aufgerufen. Umstritten ist vor allem eine Entscheidung der Wahlkommission, die am Sonntagabend erklärt hatte, dass auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge als gültig gezählt würden. Die größte Oppositionspartei CHP forderte am Montag eine Annullierung des Referendums. © dpa | Str
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    Europarat will Türkei unter Beobachtung stellen

    Erdogan kritisierte die Entscheidung des Europarats, ein formales Verfahren gegen die Regierung in Ankara wegen des umstrittenen Verfassungsreferendums und des Vorgehens gegen Oppositionelle einzuleiten. Der Schritt sei politisch motiviert, sagte der Präsident. Die Türkei erkenne die Entscheidung nicht an.

    Der Europarat hatte am Dienstag dafür gestimmt, die Türkei unter Beobachtung zu stellen. Die Institution überwacht die Einhaltung von Menschenrechten und ist keine Institution der Europäischen Union. Ihm gehören insgesamt 47 Staaten an, darunter die Türkei und Russland.

    Kritik auch am Umgang mit der Presse

    Die Entscheidung könnte Einfluss auf die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei haben, die schon lange nicht vom Fleck kommen. In der EU mehren sich die Stimmen, die ein Ende der Gespräche fordern. Erdogan steht wegen des von ihm gewonnenen Verfassungsreferendums in der Kritik, das ihm mehr Macht einräumen soll.

    Auch seine Maßnahmen gegen die Presse und angebliche Gegner nach dem gescheiterten Putsch vom Juli sowie seine Nazi-Vergleiche gegenüber Deutschland und den Niederlanden haben in der EU viel Unmut ausgelöst.

    EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn rief die EU-Außenminister vor ihrem informellen Treffen am Freitag in Malta dazu auf, neue Formate mit Blick auf die Türkei zu erwägen. Der Chefsprecher der EU-Kommission deutete indes an, dass dies nicht die Position von Präsident Jean-Claude Juncker sei. (rtr)