Paris. Ein Attentäter tötet Polizisten mitten auf dem Pariser Prachtboulevard Champs-Elysées. Ermittler rätseln am Tag danach über das Motiv.

Es ist ein grauer Audi, der vor einer auf Rot springenden Ampel auf den Champs-Elysées stoppt, hinter dem Cyril M. am Donnerstagabend kurz nach 21 Uhr seinen Wagen zum Stehen bringt. Im nächsten Augenblick muss er mitansehen, wie der Fahrer des Audis aussteigt, auf einen auf dem rechten Standstreifen stehenden Mannschaftsbus der Polizei zugeht, „als wolle er die Insassen um eine Auskunft bitten“, plötzlich ein Kalaschnikow-Schnellfeuergewehr unter seiner schwarzen Jacke hervorzieht und das Feuer eröffnet.

Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande bei seiner TV-Ansprache nach dem Anschlag vom Donnerstagabend.
Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande bei seiner TV-Ansprache nach dem Anschlag vom Donnerstagabend. © dpa | Tv

Ein Polizist wird von dem den Mannschaftsbus durchsiebenden Kugelhagel auf der Stelle getötet und zwei weitere schwer verletzt, bevor deren Kollegen reagieren können, das Feuer erwidern, den daraufhin zu Fuß flüchtenden Angreifer verfolgen und schließlich niederschießen. Dramatische Minuten auf der zu dieser Stunde stark belebten Prachtavenue im Herzen der Seine-Metropole, in denen wie durch ein Wunder nur eine weitere Person, eine ausländische Touristin, durch einen Querschläger leicht verwundet wird.

Sofort Anti-Terror-Ermittlungen an

Als Präsident François Hollande am späten Abend in einer kurzen TV-Ansprache von Spuren spricht, die auf einen terroristischen Hintergrund der Tat hindeuten, hat die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft schon längst die Ermittlungen an sich gezogen. Viel zu sehr ähnelt der blindwütige Angriff fünf vergleichbaren islamistischen Anschlägen, die in den vergangenen zwei Jahren auf Soldaten oder Polizisten in Frankreich verübt worden sind.

Polizist bei Anschlag in Paris getötet

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    Auch aufgrund des in Frankreich seit November 2015 geltenden Ausnahmezustands dauert es nur wenige Minuten, bis die Champs-Elysées von einem starken Aufgebot an Sicherheitskräften weiträumig abgeriegelt sind. Über Radio und die sozialen Netzwerke fordern die Behörden dazu auf, die Prachtavenue und ihre unmittelbare Umgebung zu meiden. Vor Ort hält die Polizei die Kunden der gut besuchten Restaurants und Boutiquen dazu an, dort zu bleiben, wo sie sind und weitere Informationen abzuwarten.

    Augenzeugen berichten von zweitem Täter

    Weil mehrere Augenzeugen von zwei Angreifern sprechen, wird das gesamte Viertel durchkämmt. Doch nach zwei Stunden verfestigt sich die Überzeugung, dass ein Einzeltäter den Anschlag ausführte. Die Polizeipräfektur ordnet gegen 23 Uhr die Evakuierung der bis dahin zurückgehaltenen Restaurant- und Geschäftsbesucher an, deren Personalien zuvor ausnahmslos kontrolliert werden.

    Schießerei auf Boulevard Champs-Élysées

    Terroralarm kurz vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich: Auf dem Boulevard Champs-Élysées hat es am Abend des 20. April eine tödliche Schießerei gegeben.
    Terroralarm kurz vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich: Auf dem Boulevard Champs-Élysées hat es am Abend des 20. April eine tödliche Schießerei gegeben. © REUTERS | CHRISTIAN HARTMANN
    Ein Mann hat auf dem Boulevard mit einem Sturmgewehr auf einen geparkten Mannschaftswagen der Polizei geschossen. Ein Polizist stirbt, zwei weitere Beamte sowie eine deutsche Passantin werden verletzt.
    Ein Mann hat auf dem Boulevard mit einem Sturmgewehr auf einen geparkten Mannschaftswagen der Polizei geschossen. Ein Polizist stirbt, zwei weitere Beamte sowie eine deutsche Passantin werden verletzt. © REUTERS | CHRISTIAN HARTMANN
    Die Polizei erschießt den Mann kurz nach dem Angriff. Die französischen Ermittler sperrten am Donnerstagabend den Prachtboulevard komplett ab.
    Die Polizei erschießt den Mann kurz nach dem Angriff. Die französischen Ermittler sperrten am Donnerstagabend den Prachtboulevard komplett ab. © dpa | Thibault Camus
    Anti-Terror-Beamte übernahmen nach der Schießerei die Ermittlungen. Die französischen Behörden waren in höchster Alarmbereitschaft.
    Anti-Terror-Beamte übernahmen nach der Schießerei die Ermittlungen. Die französischen Behörden waren in höchster Alarmbereitschaft. © dpa | Kamil Zihnioglu
    Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamiert die Attacke noch am selben Tag für sich.
    Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamiert die Attacke noch am selben Tag für sich. © Getty Images | Aurelien Meunier
    Frankreich erlebt seit Anfang 2015 eine Serie islamistischer Anschläge mit bislang über 230 Todesopfern. Seit der Pariser Terrornacht vom 13. November 2015 gilt der Ausnahmezustand.
    Frankreich erlebt seit Anfang 2015 eine Serie islamistischer Anschläge mit bislang über 230 Todesopfern. Seit der Pariser Terrornacht vom 13. November 2015 gilt der Ausnahmezustand. © REUTERS | BENOIT TESSIER
    Die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft ermittelt.
    Die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft ermittelt. © Getty Images | Aurelien Meunier
    Die Staatsanwaltschaft äußerte sich zunächst nicht zur Identität des Angreifers.
    Die Staatsanwaltschaft äußerte sich zunächst nicht zur Identität des Angreifers. © dpa | Kamil Zihnioglu
    Polizisten durchsuchten noch am 20. April die Wohnung des Angreifers im Pariser Umland.
    Polizisten durchsuchten noch am 20. April die Wohnung des Angreifers im Pariser Umland. © REUTERS | REUTERS / CHARLES PLATIAU
    Außerdem wurden drei Personen aus dem familiären Umfeld des Täters vernommen.
    Außerdem wurden drei Personen aus dem familiären Umfeld des Täters vernommen. © REUTERS | REUTERS / CHARLES PLATIAU
    Ein Bild des erschossen Polizisten Xavier Jugele vor der Pariser Polizeipräfektur. Führende Politiker und die Präsidentschaftskandidaten Frankreichs nahmen am Dienstag an einer nationalen Gedenkfeier im Hof der Pariser Polizeipräfektur teil.
    Ein Bild des erschossen Polizisten Xavier Jugele vor der Pariser Polizeipräfektur. Führende Politiker und die Präsidentschaftskandidaten Frankreichs nahmen am Dienstag an einer nationalen Gedenkfeier im Hof der Pariser Polizeipräfektur teil. © dpa | Thibault Camus
    Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande (l.) verneigt sich vor dem Sarg des getöteten Polizisten.
    Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande (l.) verneigt sich vor dem Sarg des getöteten Polizisten. © REUTERS | PHILIPPE WOJAZER
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    Zu diesem Zeitpunkt ist der getötete Attentäter bereits identifiziert. Es handelt sich um den vorbestraften 39-jährigen Franzosen Karim Cheurfi. Der in der Pariser Region beheimatete Mann hatte bereits 2001 zwei Mal Polizisten mit einer Schusswaffe angegriffen und war deswegen zu 15 Jahren Haft verurteilt wurden. Ende des Jahres 2015 kam er wegen guter Führung vorzeitig aus dem Gefängnis frei, doch die Behörden behielten ihn im Auge.

    Sympathien für den Dschihad waren unbekannt

    Erst im Februar wurde er unter dem Verdacht verhaftet, Pläne zur Ermordung von Polizisten zu schmieden – allerdings aus persönlichen Gründen und nicht etwa wegen bis dato unbekannten Sympathien für den Dschihad. Da die Polizei ihren Verdacht jedoch in mehreren Verhören nicht erhärten konnte, wurde er nach wenigen Tagen wieder aus dem Gewahrsam entlassen.

    Ein Einschussloch in der Fensterscheibe eines Ladens auf den Champs Elysees. Nur mit viel Glück sind bei dem Schusswechsel von Polizei und Attentäter nicht noch mehr Menschen verletzt worden.
    Ein Einschussloch in der Fensterscheibe eines Ladens auf den Champs Elysees. Nur mit viel Glück sind bei dem Schusswechsel von Polizei und Attentäter nicht noch mehr Menschen verletzt worden. © dpa | Christophe Ena

    Noch in der Nacht auf Freitag nahmen die Ermittler drei Familienangehörige Cheurfis fest und durchsuchten seine Wohnung. Offenbar gibt es inzwischen Zweifel an einem islamistischen Hintergrund des Anschlags, obwohl sich die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu ihm bekannt hat.

    Verdächtiger stellt sich in Antwerpen der Polizei

    Das IS-Sprachrohr Amak nämlich wies die Tat einem Mann namens Abu Jussuf al-Beldschiki (Der Belgier) zu. Die französische Polizei löste daraufhin am Freitagmorgen eine Fahndung nach einem weiteren Verdächtigen aus. Dieser, so teilte das Pariser Innenministerium mit, sei von belgischen Behörden identifiziert worden. Unklar ist, ob es sich um denselben Mann handelt, der sich kurz darauf in Antwerpen freiwillig der Polizei stellte.

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