London. Theresa May kündigt Neuwahlen an. Damit will sie sich das holen, was ihr fehlt: Rückhalt beim Volk. Eine kluge Wahl. Ein Kommentar.

Was für eine Überraschung: Entschlossen und mit langen Schritten geht die britische Regierungschefin Theresa May auf das Pult zu, das vor Downing Street Nr. 10 aufgebaut ist, und verkündet kurz nach 11 Uhr vorgezogene Wahlen in nur sieben Wochen. Den Zeitpunkt hat sie gut gewählt. Sie hat beste Chancen, gestärkt und mit einer breiten Mehrheit im Rücken aus dem Urnengang hervorzugehen und den Brexit zu vollziehen.

Das liegt nicht daran, dass die Briten inzwischen voll und ganz hinter dem Austritt aus der EU stehen. Im Gegenteil. Das Murren im Königreich über das Abstimmungsergebnis ist nach wie vor vernehmbar. Doch es gibt keine Gegenbewegung oder eine Partei, die sich den Exit vom Brexit auf die Fahnen geschrieben hat und im Wahlkampf nun eine Alternative zu May und ihrem Kurs bieten könnte. Und in weniger als zwei Monaten bis zur Wahl kann sich in Britannien auch keine tragfähige Gegenbewegung zum Austritt formieren. Es gab ernst gemeinte Anläufe dazu – der frühere Premierminister Tony Blair hat es versucht. Aber diese Initiative ist im Sande verlaufen – was allerdings auch an Tony Blair gelegen haben könnte. Der frühere Premierminister ist kein Politiker, dem die Briten noch vertrauen würden.

Keine Alternative zu May in Sicht

Theresa May hat vor allem so gute Karten, weil auch in den Parteien keine Alternative zu ihr in Sicht ist. Die oppositionelle Labour-Partei ist zu schwach und viel zu stark mit sich selbst beschäftigt. Ihr Vorsitzender Jeremy Corbyn, auch ein EU-Skeptiker, wirkt als stamme er aus einer anderen Zeit und verharrt mit seiner Partei in einem historischen Stimmungstief. Er war zu keiner Zeit ein Herausforderer, den Theresa May fürchten musste. Und er wird aller Voraussicht nach in so kurzer Zeit auch nicht über sich hinauswachsen können.

Die vorgezogenen Wahlen sind keine Abstimmung über den Brexit oder den Exit vom Brexit. Der Antrag in Brüssel ist gestellt, und es gibt kein Zurück mehr – so sehr es sich vielleicht immer mehr Briten auch wünschen. Nicht nur die Befürworter hatten es lange vorgezogen, die Augen vor den Folgen des Austritts zu verschließen und sich an vage Hoffnungen zu klammern.

May weiß, dass schwierige Jahre auf sie warten

Seit Theresa May im März den Antrag stellte, wurde deutlich, dass sich die restlichen EU-Staaten nicht so leicht auseinanderdividieren lassen, wie manche in London gehofft hatten. Die EU-Linie ist klar: erst die schwierigen Scheidungsgespräche, dann Verhandlungen über die künftigen Beziehungen. Die britische Regierung hatte gehofft, dass beides gleichzeitig geschieht. So hätte May ihren Bürgern nicht nur schmerzhafte Verluste mitteilen müssen, sondern auch Perspektiven aufzeigen können. Doch der kleine Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel – „Eins nach dem anderen“ – hat diese Hoffnungen zunichtegemacht.

Theresa May weiß, wie hart die nächsten Jahre werden und welche schlimmen Nachrichten sie aus Brüssel nach Hause bringen wird. Dafür muss sie innenpolitisch so stark sein, wie es nur möglich ist – das gilt auch für die Verhandlungen mit der EU.

Bislang ist May das nicht, auch wenn sie im Ausland so wahrgenommen wird. Die konservative Partei hat sie im vergangenen Jahr zur Nachfolgerin des zurückgetretenen Regierungschefs David Cameron gemacht. Sie hat bis jetzt keine deutliche Mehrheit im Unterhaus. Und ihre Macht ist nicht durch eine Wahl legitimiert. Jetzt wird sie ihren politischen Kurs von den Wählern bestätigen lassen. Es ist eine kluge Entscheidung, die Theresa May zeigen wird, wo sie steht. Auch wenn die Briten nicht wirklich eine Wahl haben.