Berlin/Dortmund. Erst rückten in Dortmund die Islamisten in den Fokus. Nun ermittelt die Polizei zunehmend in der rechten Szene – auch unter Hooligans.

Das Bombenattentat auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund stellt die Sicherheitsbehörden vor Rätsel. Wiewohl in alle Richtungen ermittelt wird, rückt – nach den Islamisten – zunehmend die rechte Szene in den Fokus.

Beim Bundesligaspiel am Samstag in Dortmund will die Polizei demonstrativ Präsenz zeigen. Im Stadion werden die Beamten mit Schutzwesten und Maschinenpistolen patrouillieren. Vermutlich reisten auch die beiden Teams von Dortmund und Eintracht Frankfurt nie zuvor so gut bewacht zu einem Spiel an.

Die Maßnahmen haben viel mit Psychologie zu tun, dienen dem Sicherheitsgefühl. Sie bedeuten nicht, dass es Hinweise auf eine Gefährdung gäbe. Bezeichnend ist, dass die Bundespolizei anders als beim Fußballspiel am vergangenen Mittwoch – einen Tag nach dem Anschlag – ihre Antiterroreinheit BFEplus nicht in Alarmbereitschaft versetzt hat. Das klassische Hochrisikospiel findet an diesem Wochenende vielmehr in der zweiten Liga in Hannover statt. Beim Derby gegen Braunschweig liegt immer Gewalt in der Luft, nicht wegen Terroristen, sondern wegen Hooligans.

Anschlag auf BVB-Teambus in Dortmund

Schock in Dortmund: Am 11. April 2017 detonierten auf der Fahrt zum Stadion neben dem Mannschaftsbus des BVB drei Sprengsätze. Das Champions-League-Spiel gegen AS Monaco am Abend wurde daraufhin abgesagt.
Schock in Dortmund: Am 11. April 2017 detonierten auf der Fahrt zum Stadion neben dem Mannschaftsbus des BVB drei Sprengsätze. Das Champions-League-Spiel gegen AS Monaco am Abend wurde daraufhin abgesagt. © dpa | Marcel Kusch
BVB-Profi Marc Bartra wurde bei dem Vorfall schwer verletzt, der Fußballer wurde noch am Abend operiert. Außerdem wurde ein Polizist verletzt.
BVB-Profi Marc Bartra wurde bei dem Vorfall schwer verletzt, der Fußballer wurde noch am Abend operiert. Außerdem wurde ein Polizist verletzt. © dpa | Ina Fassbender
Bei der Attacke durchschlug ein Teil des Sprengsatzes eine Scheibe des Mannschaftsbusses.
Bei der Attacke durchschlug ein Teil des Sprengsatzes eine Scheibe des Mannschaftsbusses. © dpa | Bernd Thissen
Die Polizei gab an, „mit starken Kräften vor Ort“ zu sein.
Die Polizei gab an, „mit starken Kräften vor Ort“ zu sein. © REUTERS | Kai Pfaffenbach
Die Mannschaft sollte zunächst mit einem anderen Bus zum Stadion gebracht werden. Mehrere Spieler hielten sich vor der Unterkunft auf.
Die Mannschaft sollte zunächst mit einem anderen Bus zum Stadion gebracht werden. Mehrere Spieler hielten sich vor der Unterkunft auf. © dpa | Carsten Linhoff
Der BVB informierte die Fans im Stadion über den Vorfall.
Der BVB informierte die Fans im Stadion über den Vorfall. © REUTERS | Ralph Orlowski
Die hielten sich zusätzlich über ihre Smartphones auf dem Laufenden.
Die hielten sich zusätzlich über ihre Smartphones auf dem Laufenden. © dpa | Federico Gambarini
Die Fans verließen das Stadion nach der Absage des Spiels ohne Zwischenfälle.
Die Fans verließen das Stadion nach der Absage des Spiels ohne Zwischenfälle. © dpa | Federico Gambarini
Fans des AS Monaco hatten zuvor ihre Anteilnahme mit „Dortmund! Dortmund!“-Sprechchören gezeigt.
Fans des AS Monaco hatten zuvor ihre Anteilnahme mit „Dortmund! Dortmund!“-Sprechchören gezeigt. © Getty Images | Lukas Schulze
Das Spiel wurde einen Tag nach dem Vorfall nachgeholt, der BVB verlor 2:3 gegen den AS Monaco.
Das Spiel wurde einen Tag nach dem Vorfall nachgeholt, der BVB verlor 2:3 gegen den AS Monaco. © dpa | Carsten Linhoff
Zunächst gab es keine heiße Spur zu den Tätern. Die Ermittler konzentrierten sich auf das, was an handfesten Spuren am Tatort gefunden wurde: Reste des bei dem Anschlag verwendeten Sprengstoffs und der Zünder, dazu die drei am Tatort gefundenen gleichlautenden Bekennerschreiben.
Zunächst gab es keine heiße Spur zu den Tätern. Die Ermittler konzentrierten sich auf das, was an handfesten Spuren am Tatort gefunden wurde: Reste des bei dem Anschlag verwendeten Sprengstoffs und der Zünder, dazu die drei am Tatort gefundenen gleichlautenden Bekennerschreiben. © dpa | Ina Fassbender
Fans hatten den Schriftzug „Keine Bombe kriegt uns klein! BVB wird ewig sein“ an einem Zaun geschrieben.
Fans hatten den Schriftzug „Keine Bombe kriegt uns klein! BVB wird ewig sein“ an einem Zaun geschrieben. © dpa | Friso Gentsch
Bei dem Anschlag hätte es weit schlimmere Verletzungen geben können: Die Bildkombo zeigt durch umherfliegende Metallstifte beschädigte Autos, einen Splitter, der sich in einen Zaun gebohrt hat und einen Splitter des Sprengsatzes am Boden.
Bei dem Anschlag hätte es weit schlimmere Verletzungen geben können: Die Bildkombo zeigt durch umherfliegende Metallstifte beschädigte Autos, einen Splitter, der sich in einen Zaun gebohrt hat und einen Splitter des Sprengsatzes am Boden. © dpa | David Young
Erst zuletzt kamen die Ermittler dem Deutschrussen Sergej W. auf die Spur.
Erst zuletzt kamen die Ermittler dem Deutschrussen Sergej W. auf die Spur. © REUTERS | Kai Pfaffenbach
Zehn Tage nach dem Anschlag war das der Durchbruch:
Zehn Tage nach dem Anschlag war das der Durchbruch: © dpa | Ina Fassbender
Am Morgen des 21. April nahm die Polizei den 28-jährigen Sergej W. als Tatverdächtigen nahe Tübingen fest.
Am Morgen des 21. April nahm die Polizei den 28-jährigen Sergej W. als Tatverdächtigen nahe Tübingen fest. © dpa | Christoph Schmidt
Im Prozess hat der Angeklagte die Tat gestanden, aber jede Tötungsabsicht bestritten. „Ich bedauere mein Verhalten zutiefst“, sagte der 28-jährige am 8. Januar 2018 vor dem Dortmunder Schwurgericht.
Im Prozess hat der Angeklagte die Tat gestanden, aber jede Tötungsabsicht bestritten. „Ich bedauere mein Verhalten zutiefst“, sagte der 28-jährige am 8. Januar 2018 vor dem Dortmunder Schwurgericht. © picture alliance / Revierfoto/Re | dpa Picture-Alliance / Revierfoto
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Die erste heiße Spur ist inzwischen etwas erkaltet

Beim Bundeskriminalamt gilt für die Ermittler eine Urlaubssperre. Die erste heiße Spur führte in die Szene der Islamisten. Sie ist freilich ziemlich erkaltet. Zum einen sind die am Tatort gefundenen drei Bekennerschreiben in vielen Details untypisch für den „Islamischen Staat“ (IS) und wenig authentisch. Auch drei Tage danach hat sich das Terrornetzwerk nicht auf den üblichen Kommunikationskanälen zur Tat bekannt.

Zum anderen hat sich der Verdacht gegen zwei am Mittwoch vernommene Männer nicht erhärtet. Bei ihnen fehlte ein Bezug zu Dortmund. Gegen einen von ihnen wurde Haftbefehl erlassen, allerdings wegen Verdachts auf Mitgliedschaft im IS. Der 26 Jahre alte Mann aus dem Irak soll eine IS-Einheit angeführt haben, die Entführungen, Verschleppungen, Erpressungen und Tötungen vorbereitet habe. Eine militärische Ausbildung, Erfahrungen mit dem Töten – das würde vieles erklären.

Iraker muss in Haft – ohne Beleg für Anschlagsbeteiligung

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    Die Behörden suchen jedenfalls nach „mordbereiten Tätern“, so der NRW-Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann. Überdies zeigte die Untersuchung von Sprengstoff und Zündmechanismus, dass die Bomben sehr professionell gebaut waren. „Die Sprengkraft war enorm“, sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), die Geschosse schlugen auch in benachbarte Wohnhäuser selbst in 20 bis 30 Meter Entfernung ein. Der Leiter des NRW-Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, sagte in Düsseldorf, es werde in alle Richtungen ermittelt, neben Islamisten auch Links- und Rechtsextremisten. Die Bekennerschreiben könnten eine falsche Fährte sein, gelegt beispielsweise von Rechtsradikalen.

    BVB Dortmund gegen RB Leipzig war der Auslöser

    Seit Hooligans im Februar beim Spiel in Dortmund gegen RB Leipzig Fans der Gästemannschaft attackierten, geht der Verein kompromissloser denn je gegen sie vor. War der BVB nun Opfer einer Racheaktion? Dagegen spricht, dass auch Hooligans und Rechtsradikale BVB-Fans sind und die Identifikation mit der Mannschaft ziemlich groß ist.

    Was Ermittler stutzig macht, sind die Formulierungen im Bekennerschreiben, etwa die Forderungen nach Schließung der Airbase in Rammstein und nach dem Abzug deutscher Tornados aus Syrien. Das passt nicht nur zum IS, sondern auch zur rechten Szene, etwa zum Leipziger Pegida-Ableger Legida.

    Rechtsextremes Bekennerschreiben droht mit neuem Angriff

    Am Freitagabend wurde bekannt, dass beim Berliner „Tagesspiegel“ per E-Mail ein neues Bekennerschreiben eingegangen ist. Dem Bericht zufolge handelt es sich um ein rechtsextremes Schreiben, in dem sich der Verfasser auf Hitler beziehe und gegen „Multi Kulti“ hetze. Außerdem werde ein weiterer Angriff angekündigt: Am 22. April werde „buntes Blut fließen“, heißt es, der „Trupp Köln“ stehe bereit. Möglicherweise bezieht sich die Drohung auf die Demonstrationen gegen den Bundesparteitag der AfD in Köln. Sicherheitskreise nähmen das Schreiben ernst, schreibt der „Tagesspiegel“.

    Das Schreiben wird nun von der Bundesanwaltschaft (GBA) in Karlsruhe auf seine Echtheit überprüft. GBA-Sprecherin Frauke Köhler bestätigte der Deutschen Presse-Agentur am späten Freitagabend, ihre Behörde habe das Schreiben von der Zeitung erhalten. Eine Bewertung wollte sie nicht abgeben.

    NRW-Innenminister Jäger steht unter großem Druck

    Die Motivforschung ist spekulativ, die praktischen Folgen des Anschlags sind es nicht. In einer Telefonkonferenz mit der Polizei kündigte Minister Jäger zusätzliche Maßnahmen zum Schutz von Großereignissen an. Die Polizei allein werde nicht reichen, auch die Vereine müssten sich fragen, ob sie mehr private Sicherheitsdienste einbeziehen, gab der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, zu bedenken. „Wir sollten schauen, wo wir etwas ändern können, vielleicht durch eine andere Begleitung der Busse am Spielort oder eine Änderung der Fahrtstrecken.“ Plickert ist überzeugt, „das wird Auswirkungen auf ganz Deutschland haben, mit solchen Anschlägen muss man auch in anderen Städten rechnen“.

    Das muss vor allem Minister Jäger beunruhigen, der politisch unter großem Handlungs- und Rechtfertigungsdruck steht, obwohl die Ermittlungen nicht vom Land, sondern vom Generalbundesanwalt geleitet werden. Allein aus NRW kommen fünf Erstligavereine, und in der Landeshauptstadt Düsseldorf stehen in den nächsten Wochen drei sportliche Großveranstaltungen an, die Tischtennis-WM, die Triathlon-EM und eine Etappe der Tour de France.

    Erschwerend kommt hinzu, dass sich Jäger mitten im Wahlkampf beweisen muss. Schon wegen des Berlin-Anschlags – der Attentäter Anis Amri hatte überwiegend in NRW gewohnt – standen er und die rot-grüne Regierung in der Kritik. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beklagte gegenüber unserer Redaktion, dass an Rhein und Ruhr keine Schleierfahndung praktiziert werde und dass dort auch präventive Überwachungsmaßnahmen nicht erlaubt seien.

    Merkel nennt BVB-Anschlag "widerwärtig"

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