St. Petersburg. Der Terror in St. Petersburg, der Heimat des russischen Präsidenten, gibt Rätsel auf. Eine Spur führt zu Islamisten in Zentralasien.

Einen Tag nach dem Anschlag in St. Petersburg verdichten sich die Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund. Die russischen Ermittler haben einen 22-jährigen Mann aus Kirgistan als Attentäter identifiziert. Akbarschon Dschalilow sei bei der Explosion getötet worden, teilte das staatliche Ermittlungskomitee in Moskau der Agentur Interfax zufolge mit.

Nach der Detonation soll nur sein Kopf übrig geblieben sein. Seine DNA-Spuren seien an zwei Bomben gefunden worden, so die Ermittler. Der Mann aus Kirgistan soll einen russischen Pass haben. Nach Medienberichten wurde er erst in diesem Jahr von einer islamistischen Organisation angeworben. Interfax beruft sich dabei auf eine nicht näher genannte Quelle.

Radikalisierung in Kirgistan?

Dieses Foto einer Überwachungskamera der St. Petersburger Metro zeigt den mutmaßlichen Attentäter.
Dieses Foto einer Überwachungskamera der St. Petersburger Metro zeigt den mutmaßlichen Attentäter. © REUTERS | HANDOUT

Bei dem Anschlag am Montag in der U-Bahn waren mindestens 14 Menschen ums Leben gekommen. Elf Menschen starben direkt bei der Explosion, drei weitere erlagen später ihren Verletzungen, wie Gesundheitsministerin Weronika Skworzowa mitteilte. Am Dienstag lagen noch 49 Verletzte in Kliniken. Am Montagmittag war zwischen zwei U-Bahnhöfen in einem Zug ein Sprengsatz explodiert. Eine zweite Bombe wurde rechtzeitig entschärft.

Der mutmaßliche Attentäter soll eine Hochschule besucht und seinem Vater in einer Autowerkstatt geholfen haben. Er habe in St. Petersburg gelebt und sei im Februar 2017 für einige Wochen nach Kirgistan gereist, hieß es. „Er ist als völlig veränderter Mensch zurückgekehrt“, zitierte Interfax einen Informanten.

Es könnte Kontakt zum IS bestanden haben

Die Behörden gehen davon aus, dass er während dieser Wochen von Extremisten angeworben wurde. Darüber hinaus heißt es, dass der Mann vor drei Jahren längere Zeit verschwunden sei, vielleicht in ein Ausbildungslager der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien oder im Irak.

Allerdings sind damit noch längst nicht alle Fragen geklärt. So zitiert die staatliche Agentur Tass eine Quelle, nach der ein Mann und eine Frau aus Zentralasien in die Tat involviert sein könnten. Der Kreml schloss nicht aus, dass das Attentat auf den Besuch von Präsident Wladimir Putin zielen sollte. „Allein die Tatsache, dass der Terroranschlag verübt wurde, während das Staatsoberhaupt in der Stadt war, zwingt zum Nachdenken“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow in Moskau.

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    2000 Kirgisen kämpfen in den Reihen des IS

    Die Terrorattacke löste auch in der Sportwelt Sorgen aus. Gut zwei Monate vor Beginn des Confederations Cup gab es Ängste vor einem möglichen Anschlag auf das große Fußballturnier. Die Fifa sieht aber derzeit keine Veranlassung für weitere Sicherheitsmaßnahmen – weder für den WM-Testlauf mit der deutschen Nationalmannschaft vom 17. Juni bis 2. Juli noch für die WM im Sommer 2018.

    „Die Fifa und das lokale Organisationskomitee haben das volle Vertrauen in die Arrangements und das für diese kommenden Veranstaltungen geplante umfassende Sicherheitskonzept“, sagte ein Weltverbandssprecher am Dienstag.

    Nach Angaben des kirgisischen Staatssicherheitsdienstes GKNP kämpfen in den Reihen des IS etwa 2000 Kirgisen. „Es gibt offenbar auch in Russland inzwischen eine terroristische Internationale“, sagt der Mittelasienexperte Juri Solosobow unserer Redaktion. „Es hilft nichts mehr, allein nach Schemata wie ,nordkaukasischer Terror‘ oder ‚Terror heimkehrender IS-Kämpfer‘ zu arbeiten.“

    Transnationales Terror-Netzwerk

    Inzwischen habe sich offenbar auch in Russland ein transnationales Terrornetzwerk ausgebreitet, das ähnlich funktioniere wie im Westen – mit ideologischer Vorbereitung im Internet, schlafenden Zellen und parallelen Täterketten. „Das Leben der zentralasiatischen Gastarbeiter spielt sich in Russland zum Großteil in einem halbkriminellen Graubereich ab. Viele leben schon in der zweiten Generation hier und sind inzwischen bereit, ihre Identität mit Gewalt zu demonstrieren“, betont Solosobow.

    Es gebe offenbar Koordinatoren des Terrors, sie hätten diese Tat auch akribisch geplant: „Die Tat zielt auch auf Putins Autorität als Führer. Er ist ja 1999 angetreten, um den tschetschenischen Terror zu beenden, und gilt seitdem als Garant der nationalen Sicherheit.“

    Unterdessen ist eine heftige Debatte über die möglichen Hintermänner und Motive ausgebrochen. Kremlnahe Beobachter werteten den Anschlag vor allem als Akt äußerer Bedrohung.

    Sergej Gontscharow, Veteran der Antiterroreinheit „Alfa“, verwies gegenüber der Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ auf die militärischen Erfolge Russlands in Syrien: „Alle Feinde, die Islamisten und ihre Schirmherren, versuchen sich an Russland zu rächen.“ Auch der nationalistisch gesinnte Politologe Sergei Kurginjan verkündete im Stadtfernsehen, der Anschlag in Petersburg sei Teil des Kalten Krieges, der gegen Russland geführt werde. Diesen könne das Land nur überleben, wenn es eine innere Spaltung vermeide.

    Opposition verdächtigt die Regierung

    Zahlreiche oppositionelle Stimmen verdächtigten dagegen die Staatsmacht selbst. „Ich habe keinerlei Zweifel, dass der russische Geheimdienst dahintersteckt“, sagte der liberale Politiker Konstantin Borowoi Radio Swoboda. Nach den Antikorruptionsprotesten vom 26. März habe der Kreml beschlossen, der Gesellschaft Angst einzujagen. „Es ist schon schmerzhaft, wie pünktlich dieser Terrorakt kam, um die wachsenden Proteste im Land zu kappen“, bloggt der Sozialpsychologe Alexei Roschtschin.

    Die Kreml-Kritiker befürchten, Putin werde den Anschlag von St. Petersburg als Anlass nutzen, um weiter Freiheiten einzuschränken. Der Finanzmanager Slawa Rabinowitsch fordert die Russen auf zu protestieren. Gemäßigtere Beobachter sagen allerdings, schon allein der Ermittlungsstand verbiete es, irgendwelche Schuldigen auszurufen. „Wir wissen nicht, wer die Verantwortung für den Anschlag übernimmt, wir wissen auch nicht, wie die Staatsmacht reagieren wird“, sagt der Petersburger Politologe Dmitri Trawin. „Das Einzige, was bisher geschieht, ist, dass heute reihenweise U-Bahnstationen geschlossen worden sind.“