Ankara. In Deutschland läuft das Referendum zu Erdogans Verfassungsänderung bereits. In der Türkei wirbt er noch am rechten Rand für Stimmen.

Bei der geplanten Verfassungsänderung in der Türkei stützt sich Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf die ultra-nationalistische Oppositionspartei MHP. Für die MHP ist es eine riskante Allianz. Denn die Partei steht keineswegs geschlossen hinter Erdogans Plänen – und könnte aufgerieben werden.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan winkt zeigt die Rabia-Geste vor seinen Anhängern.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan winkt zeigt die Rabia-Geste vor seinen Anhängern. © dpa | Kayhan Ozer

Erdogan und seine Regierung werben nicht nur mit feurigen Reden um Zustimmung zu ihrem geplanten Präsidialsystem beim Verfassungsreferendum am 16. April. Auch Gesten spielen im Wahlkampf eine große Rolle. Wenn Erdogan seinen Anhängern zuwinkt, legt er zum Beispiel den Daumen an die Handfläche. Das ist das Rabia-Zeichen, der Gruß der radikal-islamischen Muslimbruderschaft. Es hat seinen Ursprung in den Massenprotesten gegen den Militärputsch in Ägypten 2013. Mit der Rabia-Geste will Erdogan vor allem islamistische Wähler ansprechen.

Cavusoglu zeigt den Wolfsgruß

Der Wolfsgruß bei einer Demonstration Anfang März vor dem niederländischen Konsulat in Istanbul.
Der Wolfsgruß bei einer Demonstration Anfang März vor dem niederländischen Konsulat in Istanbul. © dpa | Depo Photos

Aber es gibt noch ein weiteres Handzeichen, das auf Kundgebungen türkischer Regierungspolitiker häufig zu sehen ist. Außenminister Mevlüt Cavusoglu zeigte es Anfang März bei seinem umstrittenen Auftritt auf dem Balkon des türkischen Generalkonsulats in Hamburg: Er legte die Kuppen des Mittel- und Ringfingers auf den Daumen und spreizte Zeige- sowie kleinen Finger ab. Das ist der Wolfsgruß, das Erkennungszeichen der berüchtigten ultra-nationalistischen Grauen Wölfe.

Die politische Heimat dieser rechtsextremistischen Bewegung, die in den 1970er Jahre für zahlreiche politische Morde verantwortlich gemacht wurde, ist die MHP. Mit 36 Abgeordneten ist sie zwar die kleinste Oppositionsfraktion in der Nationalversammlung. Für Erdogan ist sie aber der wichtigste Verbündete bei seinen Präsidentschaftsplänen, nachdem ihm MHP-Chef Devlet Bahceli nach langen Verhandlungen im vergangenen Herbst seine Unterstützung zusagte.

Türkei: Darum ist Erdogans Referendum so umstritten

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    Erdogan verspricht die Einführung der Todesstrafe

    Bei der parlamentarischen Abstimmung über die Verfassungsänderung votierten 339 Abgeordnete mit Ja. Ohne Unterstützung aus den Reihen der MHP hätte Erdogan die erforderliche Dreifünftelmehrheit von 330 Stimmen verfehlt. Seine Regierungspartei AKP verfügt nur über 316 Mandate.

    Nun wirbt Erdogan um die Stimmen der Ultranationalisten beim bevorstehenden Referendum. Er verspricht ihnen die Einführung der Todesstrafe und stellt eine Volksabstimmung über den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen in Aussicht. Auch Erdogans anti-europäische Tiraden und die Nazi-Vorwürfe gegen EU-Politiker richten sich in erster Linie an die MHP-Klientel.

    Das Referendum spaltet die MHP

    Für MHP-Chef Bahceli ist der Referendums-Wahlkampf zugleich ein Kampf um seine eigene Macht. Im vergangenen Mai konnte der 69-Jährige, der die MHP seit 20 Jahren führt, eine parteiinterne Revolte niederschlagen – mit der Hilfe Erdogans. Die Polizei verhinderte mit Wasserwerfern und einem Großaufgebot von Beamten in Ankara eine Versammlung von MHP-Rebellen, die Bahceli stürzen wollten. Angeführt wurde die Revolte von Meral Aksener, die Ende der 1990er Jahre als erste Frau in der Türkei das Innenministerium leitete.

    Warum Berliner Türken für oder gegen Erdogan gestimmt haben

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      Jetzt vertieft Bahceli mit seinem Ja zum Präsidialsystem die Spaltung der Partei. Meinungsforscher prognostizieren, dass rund 80 Prozent der MHP-Wähler gegen die offizielle Parteilinie zu einem Nein tendieren. Gemessen an der Parlamentswahl vom November 2015 wären das immerhin knapp 4,6 Millionen Stimmen.

      Kundgebungen der abtrünnigen werden gestört

      Die Abtrünnigen haben es nicht leicht. Mal werden ihre Kundgebungen von militanten Grauen Wölfen gestört, mal fällt plötzlich der Strom aus. Eine der prominentesten Stimmen der Nein-Kampagne ist die MHP-Dissidentin Aksener. Ihre Versammlungen ziehen im ganzen Land zahlreiche Zuhörer an. Die 60-jährige Politikerin ist wortgewandt und schlagfertig. Als kürzlich bei einer ihrer Kundgebungen die Scheinwerfer verloschen, konterte sie: „Wir suchen im Dunkeln nach der Demokratie.“

      Mit ihrer Kampagne profiliert sich Aksener immer stärker als Alternative zu Bahceli. Er setzt die MHP einer schweren Zerreißprobe aussetzt, die Spaltung scheint vorgezeichnet. Für Erdogan wäre das eine willkommene Perspektive: Je mehr sich die Opposition selbst zerlegt, desto stärker wird seine AKP.