Berlin. Die Beschlüsse des jüngsten Koalitionstreffens zeigen, dass Union und SPD jetzt nur noch um ein Ziel geht: den Start in den Wahlkampf.

Horst Seehofer gefällt der Abend. Am Morgen danach spottet er im Kreis der CSU-Abgeordneten, er habe die Erkenntnis gewonnen, „dass niemand über Wasser laufen kann“. Jeder weiß sogleich, wen der CSU-Chef meint: Martin Schulz, der als neuer SPD-Vorsitzender am Mittwochabend im Kanzleramt seinen ersten Koalitionsausschuss hinter sich gebracht hat.

Schulz wäre gern um das Treffen herumgekommen. Auch ist es fraglich, ob er sich noch einmal von Angela Merkel (CDU) ins Kanzleramt bitten lässt. Beim nächsten Mal will er zur Büroübergabe kommen, nach der Bundestagswahl. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann glaubt, „das war in dieser Art der letzte Koalitionsausschuss“.

Sitzung geht bis spät in die Nacht

Es ist fast drei Uhr in der Nacht, als die Partei- und Fraktionschefs auseinandergehen, nach gut sechs Stunden. Zu jedem Thema werden Fachminister hinzu gebeten, zuletzt Barbara Hendricks (SPD). Die Umwelt- und Bauministerin ist doppelt geschlagen, hat einen späten Slot und erreicht wenig: Es wird kein Gebäudeenergiegesetz geben.

Die Liste der verhinderten Beschlüsse ist eindrucksvoller als die der Einigungen. Bei Gerechtigkeitsfragen, den „Herzensangelegenheiten der SPD“, kommen beide Seiten nicht zusammen. Da sei er beim Partner an „ideologischen Grenzen“ gestoßen, erzählt Oppermann nachher, „mehr geht nicht mehr.“ Man werde diese Themen „in der nächsten Bundesregierung unter einem Bundeskanzler Martin Schulz umsetzen.“ Hingegen sieht sich die Union als Siegerin, setzte etwa ihr Lieblingsthema Innere Sicherheit durch. Was liegen blieb, was angepackt wurde:

Begrenzung von Managergehältern

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU, r) nach dem Treffen.
Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU, r) nach dem Treffen. © dpa | Soeren Stache

Obwohl sich die Koalition darin einig ist, dass astronomischen Jahresgehältern in Chefetagen ein Riegel vorgeschoben werden soll, scheitert ein Kompromiss. Die SPD will, dass die Unternehmen Managergehälter nur bis 500.000 Euro steuerlich absetzen können. CDU und CSU geht das zu weit. Sie wollen nur für mehr Transparenz sorgen und vorschreiben, dass die Hauptversammlungen auf Vorschlag des Aufsichtsrats über die Gehälter befinden.

Keine Ehe für alle
Die SPD fordert, dass die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Partnern offensteht. In der CDU gibt es Vorbehalte, vor allem bei der CSU. Die Ehe sei definiert als Gemeinschaft von Frau und Mann. Punkt. Diese konservative Position wollen die Christsozialen auf keinen Fall räumen. Eine Steilvorlage für den SPD-Wahlkampf.

Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit
Bei diesem Punkt wird etwa eine Stunde lang hart gerungen, allerdings ohne Ergebnis. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) möchte das Recht auf befristete Teilzeit- und Rückkehr in Vollzeitarbeit festschreiben. In der Union wird kritisiert, dass ein solcher Anspruch ab einer Betriebsgröße von 15 Beschäftigten dem Mittelstand schaden würde. Vorstellen können sich die Konservativen so eine Regelung erst ab 200 Mitarbeitern. Das Thema betrifft besonders viele Frauen, die wegen der Familie eine Zeit lang beruflich kürzertreten und dann nicht mehr in eine volle Stelle zurück können.

Kein Gebäudeenergiegesetz
Die Wirtschaft ist sauer, dass sich die Koalition nicht auf einen Kompromiss verständigen konnte. „Verbraucher und Investoren verlieren wertvolle Zeit. Damit muss die Energiewende weiter auf die Wärmewende warten“ sagte Holger Lösch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Keine leichtere Abschiebung
Asylbewerber und andere Ausländer sollten nach dem Willen der Union leichter abgeschoben werden können, wenn sie in größerem Stil falschen Angaben staatliche Hilfszahlungen bezogen haben. Die SPD stellte sich quer.

Schutz vor Sozialmissbrauch

Der CSU-Parteivorsitzende Horst Seehofer bei der Ankunft zum Koalitionsausschuss.
Der CSU-Parteivorsitzende Horst Seehofer bei der Ankunft zum Koalitionsausschuss. © dpa | Monika Skolimowska

Erstmals sollen die Sozialbehörden auf Fingerabdrücke zugreifen können, um die Identität von Antragstellern zu überprüfen. Die Innen- und Justizministerien werden beauftragt, einen Gesetzentwurf zum Missbrauch von Vaterschaftsanerkennungen vorzulegen. Gentests werden erlaubt, um sicherzugehen, dass niemand zum Schein eine Vaterschaft einräumt, bloß um nicht abgeschoben zu werden. Das betrifft geschätzt einige hundert Fälle. Diese Punkte verbucht die Union für sich.

Verbot von Kinderehen
Der Ausschuss bestätigte die Einigung der Koalitionsfraktionen auf ein Verbot von Kinderehen. Danach sollen alle Ehen von Menschen unter 16 Jahren für nichtig erklärt werden, was auch für im Ausland geschlossene Ehen gelten soll. Generell sollen Ehen erst im Alter von 18 Jahren geschlossen werden dürfen. Das Gesetz soll schon kommende Woche ins Kabinett. „Kinder gehören nicht an den Traualtar“, sagt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

Schutz vor Einbrechern
Weil die Zahl der Wohnungseinbrüche steigt, setzt die Koalition auf stärkere Abschreckung. Der Einbruch in eine „dauerhaft genutzte Privatwohnung“ soll mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Haft bestraft werden. Maas hat Bedenken, weil damit Wohnungseinbrüche härter als eine Körperverletzung bestraft würden. Die Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Joachim Herrmann (Bayern, CSU) halten dagegen und setzen sich durch – auch weil Schulz ihnen und nicht seinem Parteifreund folgt. Teilnehmer berichten, Maas habe die Runde als erster allein und ziemlich angesäuert verlassen. Die Strafverschärfung gilt nicht für Ferienwohnungen, Datschen oder für Einbrüche in Büro- oder Fabrikhallen. Die Koalition will der Polizei eine Verkehrsdatenabfrage erlauben. Sie kann damit erkennen, wo und wann sich Einbrecher ins Mobilfunknetz eingeloggt haben. Wenn Ermittler einen Einbrecher überführen, können sie nach Anhaltspunkten dafür suchen, ob er auch an weiteren Taten beteiligt war.

Kindergeldkürzung für Ausländer aus den Staaten der EU
Kein Gesetz – nur ein Eckpunktepapier. Der Plan ist, das Kindergeld an das Niveau des jeweiligen Heimatlandes anzupassen, wenn die Kinder dort leben. Ein Beispiel: Für Kinder, die in Rumänien oder Bulgarien aufwachsen, bekommen die Eltern nur so viel Geld wie in Rumänien oder Bulgarien. Die Koalition wartet aber ab, bis die EU eine Richtlinie vorgelegt hat. Das dürfte sich noch Monate hinziehen.

Nachzug von Familienangehörigen Die SPD bekam durch eine „Härtefallregelung“ mehr Spielraum beim Familiennachzug, damit junge Flüchtlinge nicht völlig auf sich allein gestellt sind. Das betrifft aber nur rund 50 Fälle. Auch soll es Schutzkonzepte in Flüchtlingsheimen geben, um Übergriffe zu verhindern.

Verbot des Versandhandels für verschreibungspflichtige Arzneien
Die Union wollte ein Verbot, um die Apotheken zu schützen – die SPD war dagegen. Allerdings ist die SPD nicht geschlossen. Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen traten bisher im Bundesrat für ein Verbot ein. Vertagt.

Pflegeberufe
Mit der Reform will die Koalition die Kranken-, und Altenpflege attraktiver machen Das Gesetz sei auf gutem Weg, versichert Oppermann. Der Plan ist, es noch vor der Sommerpause zu verabschieden. Vielleicht das letzte Projekt.