Washington . Merkel hat Trump als freundlich und ihr zugewandt erlebt. Doch die Beziehung der USA zu Deutschland hat sich geändert – grundlegend.
Er war zufrieden. Sie ist es auch. Angela Merkel nimmt aus ihrer ersten Begegnung mit dem amerikanischen Präsidenten viel mit, sogar mehr Einsichten, als die Kanzlerin erwartet hatte.
Sie hat Donald Trump als freundlich, ihr zugewandt und interessiert erlebt, als einen Mann, der sich von ihr Europa erklären und im Ukraine-Konflikt beraten lässt, der Interesse für die Bekämpfung von Pandemien und für das Problem der Antibiotikaresistenzen zeigt, die zu den Themen gehören, die sie auf die Agenda des G20-Gipfels Anfang Juli in Hamburg gesetzt hat. Das ist eine Seite des Amerikaners, die der breiten Öffentlichkeit verborgen blieb.
Trump gibt den Wutbürger
Millionen TV-Zuschauer daheim konnten sich ein völlig anderes Bild von Trump machen. Sie sahen seine maskenhafte Miene, spürten seine abweisende Art, verfolgten seine aggressiven Klagen über die unfaire Handelsbilanz („das muss aufhören“). Sie sahen keinen Staatsmann, sondern einen Wutbürger, keinen Verbündeten, sondern jemanden, der Konkurrenzgefühle auslebt.
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Kann es sein, dass die Kanzlerin das Treffen beschönigt („es war mir eine große Freude“), weil jeder Misserfolg auch auf sie zurückfallen würde und weil sie ihre Wähler im Glauben lassen möchte, alles unter Kontrolle zu haben? Sie muss sich durchlavieren und ist erst einmal froh, dass sie zum Präsidenten einen Gesprächsfaden gefunden hat. Wie belastbar das Verhältnis ist, das muss sie erst einmal herausfinden.
Mit Trump beginnt neue Zeitrechnung
Trump ist ein neuer Politikertypus. Eigentlich ist er gar kein Politiker und vor allem kein Transatlantiker. Er beschwört keine Freundschaften, redet ohne jede Sentimentalität über Europa. Die Nachkriegszeit scheint für ihn nicht 70, sondern 700 Jahre zurückzuliegen. Es beginnt eine neue Zeitrechnung. Ab jetzt: Der Trump-Kalender.
Er hat Vorstellungen, die gefestigt sind und die er so schnell nicht ändern dürfte, etwa die Forderung, dass Verbündete mehr zur Verteidigung tun müssen oder andernfalls für den amerikanischen Schutzschirm zahlen sollen. Politische Prozesse interessieren ihn kaum. Ergebnisse will er sehen, mehr Jobs für seine Landsleute, militärische Macht für Amerika, und zwar nicht erst in fünf oder zehn Jahren, nicht perspektivisch, sondern jetzt und gleich.
Für Trump ist Merkel ein unbeschriebenes Blatt
Merkel war für ihn „white paper“, in gewisser Weise ein unbeschriebenes Blatt. Das klingt einerseits seltsam, weil sie zwölf Jahre im Amt und im internationalen Geschäft so erfahren wie wenige andere ist. Andererseits entspricht es der Realität: Was bisher war, zählt für Trump wenig.
Er sieht sich selbst nicht in der Kontinuität von irgendjemand. Sie kann froh sein, wenn er nach dem Treffen aus dem unbeschriebenen Blatt keinen Papiertiger zusammenfaltet, sondern der Kanzlerin mit Respekt begegnet. Von Vertrauen, von Verlässlichkeit zu reden, wäre unangemessen und verfrüht.
Merkel sichert Ausweitung der Verteidigungsausgaben zu
Merkel hat sich nicht selbst und ihre Politik verleugnet, sie hat beim ersten Treffen schon die Unterschiede markiert – etwa, was den Umgang mit Flüchtlingen betrifft – aber sie kam dem Präsidenten weit entgegen. Sie hat sich nicht zum ersten Mal, aber nun wohl unwiderruflich und verbindlich auf die Position festlegen lassen, die Ausgaben für Verteidigung massiv auszuweiten.
Hingegen hat er keine Option vom Tisch genommen, auch nicht die Drohung mit Strafzöllen. Sie sind ein nicht zu unterschätzendes Risiko für eine Exportnation wie Deutschland. Sie sind momentan nur deshalb nachrangig, weil andere Pläne in Washington mehr drängen: zum Beispiel einen Ersatz zu finden für die Gesundheitsreform seines Vorgängers, einen Haushalt durchzubekommen oder alle Schaltstellen im Regierungsapparat zu besetzen.
Merkel fährt auf Sicht
Weil die langen Linien, die über viele Jahrzehnte das Verhältnis geprägt haben, nicht mehr viel gelten, wird Merkel auf Sicht fahren. Sie wird Trump testen, auf dem Nato-Gipfel, beim Weltwirtschaftsgipfel, bei G20, sie wird sehen, was mit ihm geht und was nicht. Sie wird ein Gefühl für die richtige Ansprache finden und ahnt, auf wen sie wofür zugehen muss. In Trumps Welt verteilt sich die Macht mitunter auf Menschen, die dazu gar nicht demokratisch legitimiert sind: die Tochter zum Beispiel.
Er vertrete amerikanische und sie deutsche Interessen, hat die Kanzlerin in Washington gesagt. Das klang fast schon verständnisvoll. Bloß: Gut und fair ist in Trumps Welt nur, was sich für die USA auszahlt. Da wird der Egoismus zur Staatsräson. Trump macht sich gar nicht die Mühe, sich in die Lage anderer zu versetzen, die Kultur, die Traditionen, die Geschichte, die Zwänge seiner Partner zu verstehen.
Trump stellt Forderungen per Twitter
Dass die Deutschen zum Beispiel ihre Militärausgaben drastisch erhöhen sollen, auf zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung, empfindet er als deren Pflicht und Schuldigkeit. Es ist schon ein Wunder, dass er der Bundesrepublik nicht eine Rechnung präsentiert für den militärischen Schutzschirm der vergangenen 60 Jahre.
Selbst das ist nicht ausgeschlossen. In seiner Kurzmitteilung nach dem Treffen schrieb Trump auch: „Deutschland schuldet der Nato riesige Summen, und die Vereinigten Staaten müssen besser für ihre mächtige und kostspielige Verteidigung bezahlt werden, die sie Deutschland bieten!“
Trump ahnt nicht, was Merkel bevorsteht
Trump hat keine Ahnung davon, was Merkel in den nächsten Wochen und Monaten – im Fall einer Wiederwahl: Jahren – an Überzeugungsarbeit bevorsteht. Sie muss rechtfertigen, warum die Verteidigungsausgaben, die heute schon bei 36 Milliarden Euro liegen, bis 2024 auf 60 oder mehr Milliarden steigen sollen.
Trump wird von ihr Jahr für Jahr Mehrausgaben verlangen. Daran werden sich innenpolitisch wiederum Verteilungskonflikte entzünden. Schon warnt Außenminister Sigmar Gabriel überdies davor, dass in der Mitte Europas „ein Militärbulle“ entstehen könne.
Solidarität der USA nicht mehr das, was sie mal war
Die Botschaft war unschwer zu entziffern: Das müssen Merkel und ihre Partei allein vertreten und durchsetzen. Die monströsen Verteidigungsausgaben sind ein Alleinstellungsmerkmal, das ihr keiner streitig machen wird, weder rechts noch links. Merkel traut sich nicht, auszusprechen, was ist: Die Solidarität der USA ist nicht mehr gelebte Normalität. Der Freund ist fremd geworden.