Homburg/Saarbrücken . Die Sozialdemokraten sind kurz vor der Landtagswahl im Saarland am 26. März im Höhenflug. Köpfe statt Themen, scheint das Motto.

Anke Rehlinger wahlkämpft sich gerade in Laune. „Wir spielen auf Sieg“, ruft sie ins Mikrofon. Das hätte sie schon gesagt, als die SPD noch bei 24 Prozent in den Umfragen dastand. Man habe sie belächelt. Aber jetzt läuft es. Die Zuschauer klatschen, manchmal lauter, manchmal höflich. Hunderte sind in den „Saalbau“ in Homburg gekommen, sie stehen bis zum Eingang. „Die Hütte ist voll,“ ruft Rehlinger. Und die neueste Umfrage sieht die SPD im Saarland bei 33 Prozent der Stimmen, noch ein Prozentpünktchen hinter der CDU.

Rehlinger zirkelt auf der Bühne durch ihr Wahlkampfprogramm: Mehr Geld für Kitas! Mehr für die Pflege! Mehr für Alleinerziehende! Irgendwann, nach einer guten Viertelstunde, ruft einer im Saal: „Wir wollen Martin!“ Rehlinger stutzt kurz, dann antwortet sie: „Locker bleiben!“

Schulz-Effekt drückt sich in Dezibel aus

Rehlinger ist Spitzenkandidatin im Saarland, sie war mal Kugelstoßerin und ist jetzt Wirtschaftsministerin in einer Großen Koalition. Ende März wählen 800.000 Menschen hier eine neue Landesregierung. Aber die Leute sind an diesem Abend vor allem wegen eines anderen Sozialdemokraten gekommen. Martin Schulz. „Der Martin“, so sagen viele in der saarländischen SPD. Und als der Martin die Bühne betritt, tobt der „Saalbau“ in Homburg. Der „Schulz-Effekt“ lässt sich in Dezibel messen.

Darum geht es wirklich bei der Saarland-Wahl

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    Anfang des Jahres schien die Wahl im Saarland schon entschieden. Die Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihre CDU lagen klar vorne, weitere vier Jahre Regierung mit der SPD standen in Aussicht. Aber jetzt ist nichts mehr klar, in den Umfragen hat sich einiges getan. Das politische Jahr der Bundestagswahl beginnt im Saarland – nicht mehr nur GroKo ist drin, sondern auch ein rot-rotes Bündnis. Ein älterer Herr im Saal sagt: „Schulz hat’s möglich gemacht.“ Nur: Wie lange hält Hype?

    Schulz gibt den Saarländer

    Schulz beginnt in seiner Rede sehr weit in der Vergangenheit. Sein Vater sei in Elversberg geboren, anno 1912, ein kleiner Ort ganz in der Nähe. Am Nachmittag haben Martin Schulz und Anke Rehlinger die Familie besucht, den Großcousin, der noch immer in dem Haus in Elversberg lebt. Es gab Kuchen. Die Schulzens, eigentlich Saarländer, das ist die Botschaft.

    Seit Ende Januar führt Schulz die SPD an. Nicht einmal in seiner eigenen Partei haben sie damit gerechnet, dass so viele neue Mitglieder in die SPD eintreten und die Umfragewerte so durch die Decke gehen. Die ersten Wochen haben die SPD-Wahlkämpfer damit verbracht, das Bild des wenig bekannt Menschen Schulz zu zeichnen.

    Viel Applaus für Steuerversprechen

    Es ist das sozialdemokratische Märchen des „kleinen Mannes“, der die Schule abgebrochen hatte, um Fußballprofi zu werden. Der mit seinem Traum scheiterte, tief fiel, um dann wieder anzufangen. Ein Politiker, der sich hocharbeitete – ohne Abitur, aber mit Passion. Schulz malt auch in seiner Rede in Homburg kräftig an diesem Porträt weiter, erzählt diese Geschichten aus seinem Leben. Aber manche fragen sich nach den ersten Schulz-Wochen: Wofür steht der Mann politisch?

    Schulz redet fast eine Stunde in Homburg. Kaum eine Berufsgruppe, die er auslässt: Krankenpfleger, Bäcker, Feuerwehrleute, Polizisten, Künstler, Ingenieure. Für sie will er Politik machen. Worte wie „Respekt“ oder „Bildungsoffensive“ schiebt er mit geballter Faust in den Saal. Er wettert gegen die AfD und wirbt für Europa. Am stärksten ist der Applaus, als er ankündigt, dass unter seiner Kanzlerschaft ausländische Firmen ihre Gewinne in Deutschland auch hier versteuern müssen.

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      Schulz rückt die SPD nach links

      Schulz rückt die SPD nach links. Spitzenkandidatin Anke Rehlinger gilt als Linke in der Partei, wie eigentlich ihr ganzer Saar-Verband. Es ist die alte Oskar-Lafontaine-SPD. Lafontaine verließ 1999 im Streit die Genossen, verbittert über den Agenda-Kurs von Gerhard Schröder. Lafontaine ist jetzt Chef der Linksfraktion im Saarland – und Spitzenkandidat. Er könnte die Partei in eine Regierung mit der SPD führen. Bei den Sozialdemokraten wird der Druck hoch sein, das Bündnis einzugehen, wenn es für eine linke Mehrheit reicht.

      Jochen Flakus ist Nummer 2 der Linken im Saarland. Er kennt Lafontaine seit vielen Jahren, war dessen Büroleiter und Regierungssprecher. Flackus sitzt in einem Büro seiner Fraktion. An der Wand hängt ein Ausdruck: „Kapitalismus war schon als Kind scheiße.“ Im Korb liegen Fotos mit Lafontaine und Sarah Wagenknecht, lachend, nah beieinander, die neuen Plakate. „Duftmarken“ im Wahlkampf, sagt Flackus. Er schwärmt von den beiden.

      Auch die Linke büßt ein

      Wie gut sie ankämen im Saarland. Warum die Linken wegen „Oskar“ hier immer einige Prozente über dem Bundesschnitt lägen. Warum er sich eine rot-rote Regierung sehr gut vorstellen könne. „Die Linke-Basis will jetzt endlich mal mitregieren“, sagt er. Und eigentlich könne er sich kein Feld der Politik vorstellen, bei dem man sich mit der SPD nicht einigen würde.

      Auch die Linke will mehr Investitionen. Allein der Universität würden 400 Millionen Euro fehlen, sagt Flackus. Von der Schulz-SPD unterscheide seine Partei, dass sie sage, woher das Geld komme. Von den Reichen. Doch auch die Linke hat in den Umfragen seit Januar leicht eingebüßt. Seit Schulz.

      Linker lobt seinen früheren FDP-Chef

      Laut wird Flackus nie, er legt Gemütlichkeit in seine Worte. Den Info-Stand in Neunkirchen hat er heute abgesagt, das schlechte Wetter. Flackus leitet mehrere Forschungszentren im Saarland und war schon Beamter unter einem FDP-Wirtschaftsminister, der sogar ziemlich gut regiert habe, sagt der Linken-Politiker. Einen Moment klagt er über die deutsche Rüstungspolitik, die Kriege befeuere. Und damit auch die Flüchtlingskrise. Im nächsten Augenblick spricht er von „Industrie 4.0“ und Innovationen in Unternehmen. „Die aktuelle Regierung verwaltet das Saarland nur noch“, sagt er. Es fehle eine Vision für das Land. Der meint vor allem die Ministerpräsidentin.

      Annegret Kramp-Karrenbauer läuft mit einem Pappkarton in den Armen durch den Nieselregen. Es ist kurz vor acht Uhr morgens, und in der Fußgängerzone von Saarbrücken pilgern die Pendler vom Bahnhof in die Stadt. „Was Gesundes?“, fragt Kramp-Karrenbauer. Aus dem Karton reicht sie kleinen Tütchen: eine Mandarine, ein Kugelschreiber, ein Flyer. Manche lächeln und greifen zu, andere winken ab. Zum Plaudern an der Haltestelle bleibt niemand stehen.

      Kramp-Karrenbauer kämpft um Stimmen – und Themen

      Annegret Kramp-Karrenbauers stärkstes Thema im Wahlkampf ist – Annegret Kramp-Karrenbauer.
      Annegret Kramp-Karrenbauers stärkstes Thema im Wahlkampf ist – Annegret Kramp-Karrenbauer. © dpa | Oliver Dietze

      Kramp-Karrenbauer ist beliebt im Saarland. 75 Prozent sind laut einer Umfrage aus dem Januar mit ihrer Arbeit zufrieden – der zweithöchste Wert unter den deutschen Regierungschefs. Sogar die politischen Gegner loben die Integration der Flüchtlinge im Saarland. Doch bei der Arbeitslosigkeit liegt das Bundesland leicht über dem Durchschnitt in Deutschland, auch die Schulden sind hoch.

      Und wenn Kramp-Karrenbauer an der Macht bleiben will, muss sie jetzt um Stimmen kämpfen. Die Ministerpräsidentin sagt: „Soziale Gerechtigkeit ist ein Thema, das die Menschen beschäftigt.“ Den Leuten gehe es gut, aber viele würden sich um ihren Arbeitsplatz sorgen. Ihre CDU wolle sich für einen stabilen Arbeitsmarkt einsetzen. Und Armut bekämpfen. „Nur ein Beispiel: Wenn sich Arbeitnehmer mit wenig Einkommen viel Mühe geben und eine Rente mit einem Riester-Vertrag ansparen, dann darf das nicht mit der Grundsicherung verrechnet werden.“ Kramp-Karrenbauer steigt in den Ring mit Schulz im Kampf um den „kleinen Mann“.

      CDU will weiter in großer Koalition regieren

      Sie hat vom Schulz-Auftritt in Homburg gelesen. Die Geschichte mit dem Großcousin fand sie ziemlich daneben. Schulz, ein Saarländer? „Wenn ich einen bayerischen Dackel habe, bin ich dann ein Verwandter von Horst Seehofer“, sagt sie. Kramp-Karrenbauer weiß, sie hat die größten Chancen, wenn sie die Bundespolitik möglichst raushält aus dem Saarland: die Merkel-Kritik, den Zoff zwischen CDU und CSU. Den Schulz-Effekt.

      Die Ministerpräsidentin ist an diesem Morgen nicht allein. Einige Wahlkämpfer in orangenen Jacken füllen die Tüten mit Mandarinen und verteilen mit. Auf ihren Plakaten steht: „Zusammen. Weiter. Voran.“ Aber eigentlich will die CDU vor allem ein Weiter. Weiter Große Koalition. Weiter Annegret Kramp-Karrenbauer an der Spitze.

      CDU hat Schnaps-Idee

      Neben ihr steht der junge CDU-Mann Manuel Kerber. „Unsere Leute haben Bock auf Wahlkampf.“ Nächste Woche wollen sie in der Innenstadt wieder eine Aktion starten: rote und grüne Schnäpse an die Passanten verteilen. „Weg mit denen! Runter mit den Roten!“, erklärt Kerber das Motto. Und überhaupt, die Sache mit Schulz sieht er ziemlich entspannt – und schwärmt lieber von seiner Chefin. Die im Wahlkampf auch mal Pizza für die Helfer ausgebe. Die nah bei den Leuten sei. Die auf allen Plakaten zu sehen ist. „Wir setzen auf den Annegret-Effekt“, sagt Kerber.