Brüssel/Berlin. Der Europäische Gerichtshof urteilt: Arbeitgeber können das Tragen von Kopftüchern untersagen – aber nur unter bestimmten Bedingungen.

Religion ist Privatsache. Eigentlich. Aber was, wenn zum Beispiel eine Muslimin mit Kopftuch im Büro erscheint? Nach zwei am Dienstag verkündeten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) können Firmen bei der Arbeit unter bestimmten Bedingungen das Tragen von Kopftüchern untersagen (Rechtssachen C-157/15 und C-188/15). Aber das Verbot ist an strikte Kriterien gebunden.

Beschwerden von Kunden reichen nicht für ein Verbot

Fall 1: Asma Bougnaoui hatte von 2008 an als Projektingenieurin für ein IT-Unternehmen in Frankreich gearbeitet. Sie trug dabei einen Hidschab, der Haar und Nacken bedeckt, aber das Gesicht freilässt. Zu den Aufgaben der Ingenieurin gehörten Kundenbesuche. Bei einem dieser Besuche beschwerte sich eine Firma über die Bekleidung. Wegen ihrer Weigerung, den Hidschab abzulegen, wurde die Frau 2009 entlassen.

Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass der Wille des Arbeitgebers, derartigen Kundenwünschen zu entsprechen, „nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne des EU-Rechts angesehen werden könne. Dies allein würde eine Kündigung nicht rechtfertigen.

Unterschiede von Burka, Niqab und Co.

Burka, Niqab, Hidschab: In der islamischen Welt tragen Frauen verschiedene Verschleierungen. Sie unterscheiden sich stark voneinander. Die extremste Form der Verschleierung ist die Burka. Das Ganzkörpergewand, das die Augen mit Stoff verdeckt, ist vor allem in Afghanistan und Pakistan verbreitet. In Afghanistan sind die Burkas meist blau, sie werden aber auch in anderen Farben gefertigt. Am meisten verbreitet in europäischen Ländern sind...
Burka, Niqab, Hidschab: In der islamischen Welt tragen Frauen verschiedene Verschleierungen. Sie unterscheiden sich stark voneinander. Die extremste Form der Verschleierung ist die Burka. Das Ganzkörpergewand, das die Augen mit Stoff verdeckt, ist vor allem in Afghanistan und Pakistan verbreitet. In Afghanistan sind die Burkas meist blau, sie werden aber auch in anderen Farben gefertigt. Am meisten verbreitet in europäischen Ländern sind... © imago/Paulo Amorim | imago stock&people
... die schwarzen Burkas. Die Vollverschleierung dient auch dazu, ärmere Kleidung zu verbergen. Bis zum Ende der Taliban-Herrschaft in Afghanistan galt eine Burka-Pflicht. Trotzdem verlassen die meisten Frauen das Haus nach wie vor nicht ohne die Verschleierung.
... die schwarzen Burkas. Die Vollverschleierung dient auch dazu, ärmere Kleidung zu verbergen. Bis zum Ende der Taliban-Herrschaft in Afghanistan galt eine Burka-Pflicht. Trotzdem verlassen die meisten Frauen das Haus nach wie vor nicht ohne die Verschleierung. © REUTERS | © Gonzalo Fuentes / Reuters
Das zweite traditionelle Kleidungsstück der Vollverschleierung ist der sogenannte Niqab. Der Unterschied zur Burka besteht darin, dass die Augenpartie sichtbar ist. Seinen Ursprung hat der Niqab in der Beduinen-Kultur auf der Arabischen Halbinsel, er diente in erster Linie als Sonnenschutz. Es gibt wie auch bei den anderen Kleidungsstücken diverse Variationen. Der einfache Niqab wird hinter dem Kopf verknotet, eine andere Variante wird mit einem Stirnband befestigt. Vor allem...
Das zweite traditionelle Kleidungsstück der Vollverschleierung ist der sogenannte Niqab. Der Unterschied zur Burka besteht darin, dass die Augenpartie sichtbar ist. Seinen Ursprung hat der Niqab in der Beduinen-Kultur auf der Arabischen Halbinsel, er diente in erster Linie als Sonnenschutz. Es gibt wie auch bei den anderen Kleidungsstücken diverse Variationen. Der einfache Niqab wird hinter dem Kopf verknotet, eine andere Variante wird mit einem Stirnband befestigt. Vor allem... © Gwendoline Le Goff / PanoramiC
... in Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Irak tragen Frauen den Niqab. Aber auch in anderen nordafrikanischen Ländern ist die Vollverschleierung verbreitet. Die Verbote in den europäischen Ländern betreffen die Burka und auch die Niqabs – und somit alle Formen der Vollverschleierung. Der Niqab wird gewöhnlich kombiniert mit dem sogenannten Tschador. Dieser wird auch allein getragen, ...
... in Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Irak tragen Frauen den Niqab. Aber auch in anderen nordafrikanischen Ländern ist die Vollverschleierung verbreitet. Die Verbote in den europäischen Ländern betreffen die Burka und auch die Niqabs – und somit alle Formen der Vollverschleierung. Der Niqab wird gewöhnlich kombiniert mit dem sogenannten Tschador. Dieser wird auch allein getragen, ... © dpa | Boris Roessler
... so dass die Frauen sehr viel mehr Gesicht zeigen. Der Tschador ist vor allem im Iran verbreitet. Die Frauen tragen diesen Umhang um Kopf und Körper, wobei die Motive dafür ganz unterschiedlich sind. Für einige Berufszweige ist diese Verschleierung sogar verpflichtend, zum Beispiel in Schulen.
... so dass die Frauen sehr viel mehr Gesicht zeigen. Der Tschador ist vor allem im Iran verbreitet. Die Frauen tragen diesen Umhang um Kopf und Körper, wobei die Motive dafür ganz unterschiedlich sind. Für einige Berufszweige ist diese Verschleierung sogar verpflichtend, zum Beispiel in Schulen. © imago / Xinhua
Vor der islamischen Revolution galt im Iran vorübergehend ein Verbot des Hijabs und somit jeglicher Verschleierung. Später durften Frauen nur noch mit Hijab für staatliche Institutionen arbeiten und letztlich wurde der Tschador für alle Mädchen und Frauen ab neun Jahren verpflichtend eingeführt.
Vor der islamischen Revolution galt im Iran vorübergehend ein Verbot des Hijabs und somit jeglicher Verschleierung. Später durften Frauen nur noch mit Hijab für staatliche Institutionen arbeiten und letztlich wurde der Tschador für alle Mädchen und Frauen ab neun Jahren verpflichtend eingeführt. © imago/JOKER | imago stock&people
Der Hidschab, das Kopftuch, ist die häufigste Form der Verschleierung. Ein einfaches Kopftuch bedeckt Haare, Ohren und den Hals. In zahlreichen muslimischen Ländern ist diese Form der Verschleierung Pflicht.
Der Hidschab, das Kopftuch, ist die häufigste Form der Verschleierung. Ein einfaches Kopftuch bedeckt Haare, Ohren und den Hals. In zahlreichen muslimischen Ländern ist diese Form der Verschleierung Pflicht. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
Für viele Frauen ist das Kopftuch nicht nur Bekenntnis zu ihrer Religion, sondern auch ein Ausdruck von Modebewusstsein.
Für viele Frauen ist das Kopftuch nicht nur Bekenntnis zu ihrer Religion, sondern auch ein Ausdruck von Modebewusstsein. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
1/8

Firma berief sich auf eine Betriebsvorschrift

Fall 2: Samira Achbita war bei einem Unternehmen für Sicherheits- und Rezeptionsdienste in Belgien beschäftigt. Sie hatte bereits drei Jahre dort gearbeitet. Im April 2006 kündigte sie an, sie werde ihr Kopftuch künftig auch während der Arbeitszeit tragen, statt wie bisher nur in der Freizeit. Wenig später wurde die Frau mit einer Abfindung vor die Tür gesetzt. Die Firma berief sich dabei auf eine Betriebsvorschrift, wonach das Tragen sichtbarer religiöser, politischer und philosophischer Zeichen bei der Arbeit generell verboten sei.

Hier erklärten die Richter nun, dass eine solche firmeninterne Regelung unter Umständen rechtens sei, wenn sie der „Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität“ diene. Sie verwiesen dabei auf die unternehmerische Freiheit. Dies gebe Firmen das Recht, ihren Kunden das Bild der Neutralität in Fragen der Weltanschauung und Religion zu vermitteln.

Verbot darf nicht individuell ausgesprochen werden

Die Luxemburger Richter knüpften die Möglichkeit eines Kopftuchverbots an ganz bestimmte Bedingungen. Das Verbot darf nicht individuell ausgesprochen werden – das wäre direkte Diskriminierung. Es muss in einer Firmenregelung festgehalten werden, dass das Verbot nicht für eine bestimmte Religion gilt, sondern alle weltanschaulichen und religiösen Zeichen umfasst. Also die Kippa jüdischer Männer genauso wie den Turban männlicher Sikhs oder das Kopftuch muslimischer Frauen.

Der EuGH gibt weiter zu bedenken: Wenn eine Arbeitnehmerin mit Kopftuch bislang im Kundendienst eingesetzt war, so wäre zu überlegen, ob sie im Unternehmen an einen Ort ohne Kundenkontakt arbeiten könne.

Die Urteile der Luxemburger Richter geben nationalen Gerichten die Richtung vor. Wenn sich bei Klagen vor deutschen Gerichten die gleichen Rechtsfragen stellen wie nun vor dem EuGH, dann müssen die Richter sich an die Luxemburger Auslegung halten.

Verbote in Deutschland müssen angemessen und zumutbar sein

In Deutschland sind die Vorgaben bislang vergleichsweise liberal. Arbeitgeber können muslimischen Arbeitnehmerinnen im Allgemeinen nicht verbieten, während der Arbeit aus Glaubensgründen ein Kopftuch zu tragen. Zwar ist es ihnen erlaubt, im Rahmen ihres Direktions- und Weisungsrechts Bekleidungsregeln aufzustellen. Diese müssen aber angemessen und für die Arbeitnehmer zumutbar sein, die Glaubensfreiheit muss ausreichend berücksichtigt werden.

Die Religionsfreiheit ist hierzulande ein hohes Gut. „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich“, heißt es in Artikel 4 des Grundgesetzes. Auch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz darf im Arbeitsleben niemand aus Gründen der Religion benachteiligt werden.

Dies lässt sich an einer Reihe von Urteilen ablesen. So entschied das Bundesarbeitsgericht 2002, einer Kaufhausverkäuferin habe wegen Tragens eines islamischen Kopftuchs nicht gekündigt werden dürfen. Auch Lehrer können sich in Schulräumen grundsätzlich auf die Religionsfreiheit berufen. So schränkte das Bundesverfassungsgericht 2015 ein bis dahin in einigen Bundesländern geltendes pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte ein.

„Für Musliminnen könnte es noch schwerer werden, einen Job zu finden“

Es sei nur dann gerechtfertigt, wenn durch das Tragen eine „hinreichend konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ausgeht. Generell wird das Tragen eines Kopftuchs nicht als Belästigung angesehen. Karlsruhe bekräftigte 2016 in einem Fall um eine muslimische Erzieherin aus Baden-Württemberg, es gebe keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, „von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben“.

Kritiker in Deutschland warnen Unternehmen vor einer zu strengen Handhabung des Kopftuchverbots. Dies könne muslimischen Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren, sagte die Antidiskriminierungs-Beauftragte des Bundes, Christine Lüders. „Die Arbeitgeber in Deutschland sollten sich in Zukunft gut überlegen, ob sie sich durch Kopftuchverbote in ihrer Personalauswahl einschränken wollen“, kommentierte Lüders die EuGH-Urteile. Dadurch könne es für Musliminnen noch schwerer werden, einen Job zu finden. Arbeitgeber würden mit einem solchen Verbot gut qualifizierte Beschäftigte ausgrenzen.