Berlin. Am Mittwoch wählen die Niederlande. Ministerpräsident Rutte punktet mit seiner Haltung zur Türkei – Geert Wilders verliert Zustimmung.

In Brüssel bastelt man seit einiger Zeit an Albtraumszenarien: Wenn bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden am Mittwoch die rechtspopulistische Partei von Geert Wilders stärkste Kraft wird, schwappt die Welle über ganz Europa. Dann würde die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen im Frühjahr möglicherweise in den Élysée-Palast getragen, befürchten die Schwarzmaler. Die EU in ihrer heutigen Form wäre passé. Wer weiß, welchen Schub das der AfD bei den Bundestagswahlen im September verleihen würde?, unken die Pessimisten.

Wilders hatte lange Zeit mit islamophoben Parolen und einer großen sozialpolitischen Wundertüte viele Wähler fasziniert. Die Sparvorschläge des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte, einem der treuesten Mitstreiter von Finanzminister Wolfgang Schäuble, wischte er vom Tisch. Weniger Zuzahlungen bei der Krankenversicherung, späteres Renteneintrittsalter, lauteten seine wahltaktischen Bonbons.

Wilders’ Partei knickt in den Umfragen ein

Doch seit einigen Tagen erlebt Wilders’ Partei für die Freiheit (PVV) einen Knick in den Umfragen. Sie liegt knapp auf Platz zwei hinter der Rutte-Partei. Gut möglich, dass der europaweite Türkei-Streit dem Regierungschef nützt. Der ließ zwei Wahlkampfauftritte von türkischen Ministern vor dem Referendum am 16. April platzen und handelte sich daraufhin eine Kanonade mit Nazi-Beleidigungen aus Ankara ein. Die geografisch kleine Niederlande bietet dem gewichtigen Nato-Partner Türkei und dessen verbal ausrastenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Stirn: Mit dieser Klare-Kante-Politik wird Rutte bei seinen Landsleuten punkten. Viele hätten dem bedächtigen Premier, der den diskreten Charme eines Buchhalters hat, eine derart kraftvolle Vorstellung nicht zugetraut.

Hinzu kommt, dass sich Wilders in eine solche Außenseiterrolle kapriziert hat, dass niemand mit ihm koalieren will. In einem Elf-Parteiensystem wie den Niederlanden ist dies aber politischer Selbstmord. Wer vorhat, zu regieren, muss sich auf Kompromisse einlassen. Einige der Protestwähler, die bislang Wilders zuneigten, haben sich offenbar abgewendet.

Sie wollen ihre Stimme nicht verschenken und wechseln zur Konkurrenz. Das war dem Mann mit der blonden Haartolle bereits 2012 zum Verhängnis geworden. Dieser hatte damals seine Unterstützung für die Minderheitsregierung aus Rechtsliberalen und Christdemokraten zurückgezogen – aus Protest gegen die Senkung von Staatsausgaben. Bei den Wahlen danach wurde er abgestraft.

Soziale Schieflagen begünstigen die Rechtspopulisten

Dennoch verfügen die niederländischen Rechtspopulisten über eine beträchtliche Wählerbasis, vor allem bei den Arbeitslosen und Geringverdienern. Seit 2008 gab es etliche Privatisierungen im Gesundheitssystem, die Versorgung der Alten und Kranken wurde auf die Familien abgeschoben.

Auch in Frankreich profitiert der rechtsextreme Front National von sozialen Schieflagen: Die Arbeitslosenrate klebt an der Zehn-Prozent-Marke. Viele kommen nur mit Niedriglohnjobs über die Runden. Vor allem in dieser Klientel verfangen die ausländerfeindlichen Sprüche der Spitzenkandidatin Marine Le Pen. In Deutschland hat die AfD in letzter Zeit vor allem deshalb Federn gelassen, weil SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz die Hartz-IV-Reformen zurückdrehen will.

Es gibt zwar kein Patentrezept gegen den Rechtspopulismus in Europa. Aber zwei Faktoren verbessern die Chancen bei der Abwehrschlacht: eine Politik der sozialen Balance, die sich auch um die unteren Einkommensschichten kümmert, und eine Flüchtlingspolitik, die Grenzen bei der Aufnahme setzt.