Berlin. Deniz Yücel wird Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung vorgeworfen. Nun muss er in Haft.

Es ist ein Schlag gegen die Pressefreiheit: Nach 13 Tagen Polizeigewahrsam in Istanbul hat die türkische Staatsanwaltschaft am Montag Untersuchungshaft gegen den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel verhängt. Das berichtete seine Zeitung.

Der Vorwurf: Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung. Untersuchungshaft kann in der Türkei bis zu fünf Jahre dauern.

Nach Auskunft der „Welt“ wurde Yücel bei seiner Vernehmung vom Staatsanwalt allgemein nach Angaben zu seinen Artikeln befragt. Dabei sei es sowohl um seine Recherchen in den Kurdengebieten als auch um die Affäre um angebliche E-Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak gegangen, die Ende September von der linken Hackergruppe Redhack im Internet veröffentlicht wurden. Albayrak ist der Schwiegersohn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Merkelt nennt U-Haft „unverhältnismäßig hart“

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Untersuchungshaft scharf kritisiert. „Die Nachricht (...) ist bitter und enttäuschend“, erklärte sie am Montagabend in Berlin. „Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig hart, zumal Deniz Yücel sich der türkischen Justiz freiwillig gestellt und für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat.“

Die Bundesregierung erwarte, dass die türkische Justiz in ihrer Behandlung des Falles Yücel „den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft“ berücksichtige. „Wir werden uns weiter nachdrücklich für eine faire und rechtsstaatliche Behandlung Deniz Yücels einsetzen und hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt.“

Verdächtige können bis zu 14 Tage festgesetzt werden

Der Journalist hatte sich am 14. Februar selbst zur Polizei begeben, weil nach ihm gefahndet wurde. Er sollte nicht mehr freikommen. Nach dem Putschversuch im Sommer 2016 können Verdächtige in der Türkei bis zu 14 Tage in Polizeihaft festgesetzt werden.

Der Fall Yücel war von Beginn an ein Politikum: Bereits kurz nach der Festnahme hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim eine „faire Behandlung“ angemahnt.

Am Wochenende hatte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) die Polizeihaft als weder nötig noch fair bezeichnet. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes betonte noch am Montagmittag, man werde alles tun, damit Yücel freikomme und seiner Arbeit als Journalist wieder nachgehen könne. Auch mehr als 160 Bundestagsabgeordnete hatten sich in einem Schreiben an den türkischen Botschafter in Deutschland, Kemal Aydin, für Yücel eingesetzt.

Autokorsos in Berlin und der Heimatstadt Flörsheim

„Wie es bei jedem freien Journalisten und kritischen Geist der Fall ist, erregt seine Arbeit teilweise Anstoß. Es ist der Anstoß des freien Denkens und der offenen politischen Debatte“, formulierten die Politiker. Autokorsos in Berlin und Flörsheim, wo Yücel herkommt, zeigten in den vergangenen Tagen die Solidarität von Kollegen, Familie und Freunden.

Autokorso für inhaftierten Journalisten Yücel

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    Grünen-Parteichef Cem Özdemir jedoch warf der Regierung vor, sie sei „viel zu ängstlich gegen Erdogan“. Dieser glaube, Merkel wegen des Flüchtlingspakets in der Hand zu haben und Deutschland „wie eine Außenstelle der Türkei behandeln zu können“. Auch habe Gabriel zu lange geschwiegen.

    Der Fall Yücel zeigt sowohl die tiefen Verwerfungen in der Türkei selbst als auch das komplizierte Verhältnis zwischen Ankara und Berlin. Erdogan demonstriert Macht auf dem Rücken eines Journalisten. Das Dilemma: Für Deutschland ist das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei weiter der Garant dafür, dass die Zahl der Flüchtlinge hierzulande nicht wieder zunimmt. Die Türkei wiederum erhofft sich wirtschaftliche Unterstützung Deutschlands. Doch die Verstimmungen zwischen den Ländern mehren sich. Auch deshalb, weil am 16. April die Türken darüber abstimmen, ob der Präsident künftig mächtiger wird.

    Erdogan will Staats- und Regierungschef sein

    Bekommt Erdogan seinen Willen, dann ist er nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef, darf Ministerien nach seinem Wunsch formen, Gesetzesvorhaben blockieren und das Parlament auflösen. Die Türken in Deutschland dürfen mit abstimmen, weshalb es Berichte gab, Erdogan wolle in Nordrhein-Westfalen persönlich um diese Stimmen werben. Dazu hieß es von deutscher Regierungsseite am Montag knapp, ein konkreter Wunsch Ankaras liege nicht vor.

    Der leidenschaftliche Journalist Yücel selbst hatte noch aus dem Polizeigewahrsam seinen Anwälten diktiert, was er dort erlebte: die Wanduhr mit der türkischen Fahne auf dem Zifferblatt vor seiner Zelle. Heizkörper mit festgeklemmten Konservendosen zum Aufwärmen von Essen. Kein warmes Essen, fünf Toilettengänge am Tag, keine Kissen, schlimme hygienische Bedingungen, Rauchverbot.

    Sein einziger Kontakt: die Anwälte, die ihn auch mit frischer Kleidung und Zeitungsartikeln über seinen Fall versorgen. Die er allerdings nicht mit in die Zelle nehmen durfte. „Aber das tut so gut. So unglaublich gut zu wissen, dass ich hier nicht allein bin und vergessen werde“, so sein Kommentar. Der Freigeist Yücel benötigt die Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit nun nötiger denn je. Und zwar dringend.