Mossul. Der Osten der irakischen Millionenstadt Mossul ist befreit, im Westen herrscht der IS-Terror. Reportage aus einer geteilten Stadt.

Anas steht in seinem kleinen Laden und lächelt. Die Regale sind voll. Parfümflaschen, Make-up, Bodylotion, das ganze Programm. Vor knapp einem Monat hat er sein „Beauty Center“ in Muhandeseen wieder eröffnet, und das kommt ihm vor wie ein Wunder. Muhandeseen ist ein Stadtteil im Osten der irakischen Millionenstadt Mossul, die im Juli 2014 von den Dschihadisten des „Islamischen Staates“ (IS) besetzt wurde. Ein Geschäft wie Anas’ Beauty Center war für sie „haram“ – verboten, sündig.

Ende Januar wurde der Osten Mossuls befreit. Seitdem blüht das Leben wieder auf. Im Westen, jenseits des Tigris, des Flusses, der die Stadt in zwei Hälften zerschneidet, herrschen die Islamisten noch immer. Dort wird heftig gekämpft. Explosionen von Granaten, Bomben und Artilleriegeschossen erschüttern die Stadt. Menschen werden verletzt, getötet. Im Westen Mossuls droht eine humanitäre Katastrophe.

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    Wellen von Selbstmordattentätern

    Fast drei Monate tobten die Gefechte im Osten der Stadt. Irakische Antiterroreinheiten, Spezialkräfte der Bundespolizei und die reguläre Armee stießen auf heftigen Widerstand der Dschihadisten, die sich ihnen mit Wellen von Selbstmordattentätern und Scharfschützen entgegenwarfen. Die Auswirkungen der Kämpfe und der Bombardements sind überall zu sehen. Die Universität Mossul ist nur noch ein Schutthaufen, ebenso der große Palast des früheren Diktators Saddam Hussein. Etliche Häuser liegen in Trümmern, viele Fassaden tragen Narben von den Einschlägen der Geschosse.

    Überall hat der „Islamische Staat“ seine Spuren hinterlassen. Geschwärzte Gesichter von weiblichen Models auf Werbeschildern, ausgekratzte Gesichter von Comicfiguren auf der Mauer einer Grundschule, eine Wandmalerei, auf der ein vermummter Kämpfer und das Kolosseum zu sehen sind und ein Schriftzug, der sinngemäß sagt: „Wir werden Rom erobern, so Gott will.“Viele Menschen, die vor den Kämpfen geflohen waren, sind wieder zurückgekehrt. An der Einfallstraße stauen sich die Lastwagen.

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      Geräusch der Bomben

      Händler bieten an den Straßen Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch an, viele Läden sind geöffnet, Kinder spielen in den Trümmerbergen. Frauen sind nur wenige in der Öffentlichkeit zu sehen, aber wenn, dann sind sie nicht mehr komplett verschleiert, wie sie es unter dem IS sein mussten. Immer wieder ist aber das dumpfe Geräusch der Bomben zu hören, die auf der anderen Seite des Tigris in die Stellungen des IS einschlagen, das Bellen der Mörser, das Geknatter von Gewehrfeuer.

      Niemand scheint sich darum zu scheren. Die Menschen in Mossul haben sich an den Krieg gewöhnt. „Ich bin glücklich, dass Daesh weg ist“, sagt Anas – Daesh, so wird im Nahen Osten der IS genannt. Der Parfümhändler versprüht Proben und schwärmt von seiner Ware. „Sie haben Mossul zu einer Hölle gemacht.“ Leider bleiben aber noch die Kundinnen aus. „Die Frauen haben Angst auf die Straße zu gehen, wegen der Drohnen.“

      Beginn der Militäroffensive

      Die Drohnen sind ein neues Requisit aus dem Arsenal des IS-Terrors. Handelsübliche Maschinen, wie man sie im Internet kaufen kann, aber modifiziert, um zu töten. Die Dschihadisten bestücken sie mit kleinen Bomben, lassen sie auf die Zivilisten in Mossul und die Stellungen der irakischen Armee herunterregnen. Dutzende Menschen sollen schon durch diese Waffe getötet oder verletzt worden sein. Immer wieder explodieren auch im befreiten Osten Bomben, immer wieder schickt der IS Selbstmordattentäter.

      Es sind Verzweiflungstaten. Die irakischen Truppen haben im Südwesten den strategisch wichtigen Flughafen der Stadt und das Militärcamp Ghazlani wenige Tage nach dem erneuten Beginn der Militäroffensive am vergangenen Sonntag zurückerobert. Auch ein erster westlicher Stadtteil soll bereits befreit sein, vermeldet die Armee. An diesem Sonntag wird ein weiterer Stadtteil eingenommen. Die Kämpfe werden immer heftiger.

      Versorgungsrouten sind gekappt

      Doch für die Menschen im schwer umkämpften West-Mossul wird die Situation immer schlimmer. Etwa 750.000 Zivilisten sind dort nach UN-Angaben eingeschlossen, nur wenigen gelang bislang die Flucht. Die Versorgungsrouten sind gekappt, Nahrungsmittel und Benzin werden knapp, die Strom- und Wasserversorgung ist zusammengebrochen. Die in der Stadt verbliebenen IS-Kämpfer, es sollen noch etwa 6000 sein, benutzen die Menschen als Schutzschilde.

      Sie haben sich in Krankenhäusern einquartiert und auf Wohnhäusern Stellung bezogen. Die Kämpfe sind hart und verlustreich. Trotzdem „werden wir Daesh in weniger als zwei Monaten aus der Stadt vertrieben haben“, ist sich Muntader al-Shemary sicher.

      Operation soll zügig verlaufen

      Er ist Kommandeur des Mossul-Bataillons, einer Einheit der „Goldenen Division“, wie die irakische Antiterrortruppe CTS genannt wird. Al-Shemary sitzt in seinem Stützpunkt nahe der Stadt, ein wuchtiger Mann, der eine Zigarette nach der anderen raucht. Sein Bataillon ist in die Kämpfe nicht eingebunden, steht als Reserve bereit. Seine Männer haben Ruhe nötig. Sie kämpfen seit Monaten. Etwa ein Drittel der CTS-Kämpfer soll bereits gefallen oder verletzt worden sein.

      Darüber spricht al-Shemary nicht gerne. Er ist deswegen so optimistisch, dass die Operation zügig verlaufen wird, weil seine Männer noch immer hoch motiviert seien, sagt er. Zu seinem Optimismus dürfte beitragen, dass US-amerikanische, britische und kanadische Spezialkräfte aktiver als bislang in die Kämpfe eingreifen. Doch Kommandeur al-Shemary sagt auch: „Daesh ist wie ein Krebsgeschwür. Man kann die Idee nicht töten.“ Auch Parfümhändler Anas spricht von seiner Angst: „Sie werden immer wieder zuschlagen.“